Abgekühlte Partnerschaft

Seit bald 40 Jahren ist ChessBase für Schachprofis ein unverzichtbares Werkzeug. Für die besten deutschen Schachspielerinnen und -spieler galt bislang, dass sie neue Programmversionen und die neuesten Datenbanken vom DSB-Sponsor ChessBase gestellt bekommen. Wie erst jetzt bekannt geworden ist, hat das Hamburger Unternehmen als Folge eines Konflikts mit dem DSB diesen Service Anfang 2024 beendet. Ab sofort müssen Keymer, Costa & Co. ihre Software bezahlen.

Die Frage dieser Seite, ob und wie sich dieser Bruch in der Zusammenarbeit reparieren lässt, haben weder ChessBase noch der Deutsche Schachbund beantwortet. Nach Darstellung des Deutschen Schachbunds gibt es den Bruch nicht einmal: „Ein Zwist kann nicht bestätigt werden“, teilt der DSB auf Anfrage mit – erstaunlich. Legt nicht das plötzliche Ende einer über Jahrzehnte etablierten und für die Nationalkader wertvollen Kooperation das Gegenteil nahe? Wer mit Beteiligten bzw. Betroffenen spricht, findet leicht Leute, die den Zwist bestätigen.

Für die in den Kadern versammelten Talente und Spitzenspieler/-innen kommt dieser neuerliche Nackenschlag zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die fortgesetzten Kürzungen der jüngsten Vergangenheit bürden ihnen ohnehin mehr und mehr Belastungen auf: Kaderzuschüsse halbiert, EM-Zuschüsse halbiert bzw. gestrichen (C-Kader). Ausgerechnet diejenigen, deren Ausnahmebegabung hervorsticht, spüren den Rotstift (bzw. ihre Eltern). Die Sonderförderungen für die größten Talente hat der DSB mehr als halbiert. Leistungssportreferent Gerald Hertneck fürchtete Ende 2023, dass in seiner Abteilung bald die Totenglocke erklingt. Und nun fällt auch noch die Software weg.

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Wer im deutschen Schach Nationalspieler/-in ist oder werden will, kann nicht damit rechnen, sich in Ruhe und verlässlich unterstützt auf den Sport fokussieren zu können. Nach Jahren des hausgemachten Tohuwabohus im Leistungssport kam es Ende 2020 zwar zu einem „Neuanfang“, aber der hielt kaum zwei Jahre. Im Herbst 2022 zeichnete sich ab, dass die DSB-Führung auch finanziell abgewirtschaftet hatte. Der Spitzenverband des Schachsports stand vor dem Ruin.

Der Neuanfang: Nach einer Serie herzlich unnötiger Katastrophen galt es im Angesicht eines Scherbenhaufens, Vertrauen aufzubauen, Vetternwirtschaft abzuschaffen, Verlässlichkeit einzuführen, eine gewaltige Aufgabe.
Mitte 2023 zeigte sich, dass mit der neuen DSB-Spitze ein wenig Vertrauen zurückgekehrt war, aber auch, dass im Leistungssport nun der Rotstift Regie führt. Das verschärfte sich 2024 noch einmal. Erst 2025 wird das tiefste Tal durchschritten sein.

2023 und noch mehr 2024 waren und sind aus Sicht der Kaderspieler/-innen gekennzeichnet von erheblichen Kürzungen. Neben den rund 500.000 Euro, die Ende 2022 plötzlich fehlten, muss der DSB für einen ähnlichen Betrag das aus dem Ruder gelaufene und nicht mehr einzufangende IT-Projekt bezahlen. Der größte Batzen dafür, mehr als 200.000 Euro, ist 2024 fällig. Da der Verband auf andere Einnahmen als das Geld seiner Vereinsspieler/-innen weitgehend verzichtet, muss er sich diese Belastungen aus den gegebenen Beitragsmitteln zusammensparen. Dieses Geld fehlt nun anderswo, allen voran bei denen, die am besten Schach spielen.

Ab 2025 ist Erleichterung in Sicht. Die IT-Ausgaben schrumpfen auf voraussichtlich gut 56.000 Euro, sodass im Vergleich zu 2024 mehr als 150.000 Euro zusätzlich in der Kasse sind. Dazu kommen noch rund 70.000 aus der Beitragserhöhung, die der Kongress 2024 beschlossen hat. Für die DSB-Kader bedeutet das die Perspektive, mit Beginn des kommenden Jahres das tiefste Tal durschritten zu haben.

Vor dem Hintergrund des anhaltenden DSB-internen Trubels gab es über Jahrzehnte eine verlässliche Konstante, die Zusammenarbeit mit ChessBase. Logisch: Was läge näher, als dass der Spitzenverband des Schachsports und das heimische Schach-Spitzenunternehmen zusammenarbeiten. Ordentlich gerappelt hat es zwischen diesen beiden natürlichen Partnern dennoch mindestens einmal, 2018 nämlich.

Fritz und Fertig, ein empfehlenswertes Produkt für Kinder, um die Reise auf dem Schachozean zu beginnen. Als die vierte Version im Oktober 2017 erschien, empfahl sie auch der DSB. Heute nicht mehr. Der Vertrag zum Empfehlungssiegel sei “aus Sicht des DSB absurd” gewesen, sagt Ossi Weiner.

Ossi Weiner, seit Ende 2017 Geschäftsführer der Wirtschaftsdienst GmbH des DSB, prüfte seinerzeit die Verträge, die der DSB abgeschlossen hat. Ein Vertrag mit ChessBase gefiel ihm gar nicht. Darin war geregelt, was das Unternehmen für DSB-Empfehlungssiegel auf seinen Produkten bezahlt – viel zu wenig, fand Weiner. Die Vereinbarung sei „aus Sicht des DSB absurd“ gewesen, sagt Weiner auf Anfrage. Er kündigte den Vertrag, was wiederum dem Partner in Hamburg gar nicht gefiel. Andere Vereinbarungen des DSB mit ChessBase seien von dieser Kündigung nicht berührt gewesen, betont Weiner.

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Vereinbarungen auf verschiedenen Feldern, einige schriftlich, andere gewachsen, ohne dass sie fixiert worden wären. Die Frage nach der eingestellten Softwareunterstützung für die Nationalkader beantwortet der DSB nicht, betont aber: „Die ChessBase GmbH und der Deutsche Schachbund e.V. sind seit mehreren Jahrzehnten Partner und fördern Schach in Deutschland. Diese Kooperation besteht weiterhin und umfasst die unterschiedlichsten Bereiche (u.a. A-Trainerausbildung, DSAM, Förderung der Kader- bzw. Nationalspieler*innen).“

Durchweg rund läuft es in diesen „unterschiedlichsten Bereichen“ eher nicht.

Die Trainerausbildung in Zusammenarbeit mit ChessBase hatte jetzt einen wenig schmeichelhaften Auftritt im DSB-Kassenprüfbericht, eher ein DSB-internes Problem. Am Beispiel DSAM lässt sich ablesen, wie kleinteilig der Verband spart, um überhaupt über die Runden zu kommen. Bislang war bei DSAM-Turnieren stets ein ChessBase-Experte mit seinem Softwarestand vertreten. Dessen Spesen übernahm der DSB. Diese Ausgabe will sich der DSB nicht mehr leisten, was bei ChessBase eher keine Begeisterung ausgelöst hat. Die Folge: Es gibt keinen ChessBase-Stand mehr bei der DSAM.

Parallel belastet nach Informationen dieser Seite eine Zwischendepression rund um ein geplantes Imageprojekt des DSB das Verhältnis. Der Verband möchte ChessBase als Sponsor gewinnen, aber ChessBase will den dafür aufgerufenen Betrag nicht geben. Umgekehrt gibt der Schachbund seit der Finanzschmelze kein Geld mehr für ein Schulschachprojekt, das ChessBase besonders am Herzen liegt. Auch das trägt zum getrübten Verhältnis bei.

Ingrid Lauterbach am 24. November zu Besuch im ChessBase-Studio. | via ChessBase/YouTube

Zum Bruch in Sachen „Förderung der Kader- bzw. Nationalspieler/-innen“ kam es dem Vernehmen nach, als DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach am 24. November 2023 die ChessBase-Zentrale in Hamburg besuchte. Woran sich die Differenzen entzündeten, wollen beide Seiten nicht sagen bzw. die Differenzen gar nicht erst einräumen. Anhand übereinstimmender Aussagen Dritter lässt sich die Konfliktlinie nachvollziehen.

Rainer Woisin. | Foto: DSB

Aus Sicht des Schachbunds ist ChessBase kein vollwertiger Sponsor, weil das Unternehmen zwar Software gibt, aber kaum einmal die Schatulle öffnet. ChessBase, in Sachen Softwaregaben auch gegenüber Vereinen und Veranstaltern stets großzügig, sieht den Wert dieser Gaben nicht wertgeschätzt. Außerdem grämt die Hamburger, dass die vereinbarten Produktrezensionen von DSB-Kaderspieler/-innen oder -Trainer/-innen seit geraumer Zeit schleppend bis gar nicht in Hamburg eintrudeln.

Zielführend im Sinne einer für beide Seiten fruchtbaren Zusammenarbeit, im Sinne eines Ausräumens der strittigen Punkte sind die Verhandlungen zwischen Lauterbach und ChessBase-Chef Rainer Woisin nicht verlaufen. Stattdessen soll es kontrovers zugegangen sein. Hinterher beendete Woisin den seit mehr als zehn Jahren bestehenden Service für Kader- und Nationalspieler/-innen.

Nur ein Muster, kein autorisiertes Zitat: Vielleicht muss es für den Anfang ja gar keine Produktrezension sein? So ein Testimonial mit einem DSB-Kaderspieler anzufertigen, dauert keine fünf Minuten, egal, ob es in Hamburg oder Berlin gemacht wird. | Foto: @bielchess

„Früher haben wir meistens im Januar die neue Mega-Datenbank zur Verfügung gestellt bekommen, manchmal neue Chessbaseprogrammversionen und gelegentlich neue Komodo-, Houdini- oder Fritzversionen oder etwas anderes“, erklärt Nationalspieler und Aktivensprecher Rasmus Svane auf Anfrage. Ganz früher sei noch dazu das Chessbase-Magazin gekommen, aber das gebe es schon sei einigen Jahren nicht mehr, ergänzt Nationalspielerin und Aktivensprecherin Josefine Heinemann.

Am wichtigsten für die Gegnervorbereitung sei aus Profiperspektive die Mega-Datenbank gewesen, sagt Svane. Das bestätigt Heinemann. Dass ihr jetzt die Mega fehle, sei „am schlimmsten“. Die ChessBase-Onlinedatenbank gleiche das zwar in gewisser Weise aus, „aber in vielen Situationen reicht sie nicht aus. Wenn man kein Internet hat, kann man sie offensichtlich nicht nutzen. Wenn die Gegner sehr viel online spielen, kann es von Vorteil sein, wenn man auf mehr als die letzten 1000 Partien Zugriff hat.“

Die gute Nachricht sechs Wochen vor der Schacholympiade: Den Service einer externen Engine hat ChessBase nicht eingestellt. In Budapest werden Spieler/-innen und Trainer auf der Suche nach schachlichen Wahrheiten eine Hochleistungsengine aus der ChessBase-Cloud benutzen können.

Die schlechte: Auf beiden Seiten scheint die Sturheit stärker ausgeprägt zu sein als der Wille, unseren Besten bestmöglich zu helfen. Noch einmal, siehe oben: Die Frage, wie sich das Problem aus der Welt schaffen lässt, ließen ChessBase und der Deutsche Schachbund unbeantwortet.

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Georg Adelberger
Georg Adelberger
1 Monat zuvor

Zwei Gedanken: Wenn das Interesse von 600 Schachspielern auf der DSAM so gering ist, daß Chessbase nicht selbst für einen Stand zahlen will, dann kann man dem Schachbund aber auch schlecht vorwerfen, daß er ein Angebot streicht, das keiner vermisst. Ist es dazu einem Nationalspieler wirklich nicht zuzumuten, einmal im Jahr 200 Euro für sein wichtigstes Werkzeug zu zahlen? Sonderkonditionen sollten doch wirklich kein Problem sein, und mit einer Gegenleistung in Form von Rezension oder einem “60 Minutes” eventuell ganz kostenlos zu beziehen sein. Mir ist schon klar, daß dies im Kontext von Streichungen der Förderung steht und es nun… Weiterlesen »

Frank
Frank
1 Monat zuvor

Ich denke, Chessbase überschätzt sich kolossal. Werden die Buchhändler auch bezahlt, damit sie ihren Stand auf der DSAM aufbauen? Eher sollte doch CB zahlen, damit sie dort vertreten sein dürfen.

Klaus
Klaus
1 Monat zuvor

Das CB als möglicher Sponsor den dafür “aufgerufenen Betrag” nicht zahlen möchte und die Gratisgaben an Kaderspieler einstellt ist nachvollziehbar. Jahrelange kostenlose Bereitstellung von Software und Magazinen als Selbstverständlichkeit ohne Gegenleistung? Mit diesem Jammern auf hohem Niveau des DSB werden kaum neue Sponsoren gefunden werden, die bereitwillig finanziell unterstützen und nicht die Löcher mit “aufgerufenen Beträgen” stopfen… Wer ist hier auf wen angewiesen – eher der DSB auf CB als Sponsor, dann sollte man ihn auch entsprechend pflegen, CB kann hingegen auch ohne DSB.

Rudolf Spielmann
Rudolf Spielmann
1 Monat zuvor

Der Erwerb der neusten Chessbase-Version ist tatsächlich ein immenser Kostenfaktor für den Verband. Im Kommentar unten versuche ich deutlich zu machen, dass es alternative Ansätze gibt und dass die daraus resultierenden Einsparungen den Spielern andersweitig zu Gute kommen könnten. Funktiospalette von Chessbase: Der Vorteil von CB ist natürlich, dass es eine all-in-one Lösung für den professionellen oder auch ambitionierten Schachspieler darstellt. Die letzten Versionen von CB sind bereits hervorragend mit diversen, nützlichen Tools ausgestattet, die in den neueren Versionen hinzukamen. Zum Beispiel der Plan Explorer (nützlich beim Studium des Übergangs von Eröffnung zu Mittelspiel), aber auch Suchmasken wie Similar Structures/Similar… Weiterlesen »

Thorsten Cmiel
Thorsten Cmiel
1 Monat zuvor

Ich denke es gibt weitere Aspekte zu nennen: In der organisierten Schachszene und bei manchen Kaderspielern fehlt es am Verständnis, dass man Sponsoren auch etwas bieten sollte. Dem DSB fehlt es in dieser Hinsicht an so ziemlich allem. Die Vertragsdetails kann man von außen natürlich nicht beurteilen. Aber der DSB hat es eigentlich nie geschafft andere als die üblichen Verdächtigen als Partner zu gewinnen. Das hat sicher Gründe. Falls ich Marc Buettner einen Tipp geben sollte, würde ich an seiner Stelle bei der Akademie möglichst wenig mit dem Schachbund zusammen arbeiten. Having said that: Es ist nicht die wichtigste Aufgabe… Weiterlesen »

Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
1 Monat zuvor

Der Verlust der Nationalspieler an Chessbase Dienstleistungen beträgt pro Person vielleicht 100€ pro Jahr, also zusammen weit weniger als eine Promille des Geldes, das der DSB für sein heiß geliebtes neues Programm pro Jahr ausgibt. Auch im Vergleich zu den anderen Punkten im Artikel eher Peanuts. Weiterhin kann man berücksichtigen, dass im Allgemeinen Spitzenspieler nicht der Treiber neuer Features in Chessbase sind. Warum also sich alle zwei Jahre eine neue Version kaufen?

Kommentierender
Kommentierender
1 Monat zuvor

Das Auftreten von Frau Lauterbach empfinde ich bisweilen als fränkisch-burschikos. Nicht auszuschließen, dass sich dadurch jemand vergrault fühlt.

Peter
Peter
1 Monat zuvor

Was sagt die Geschäftsführerin zu dem Thema ?

joschi
joschi
1 Monat zuvor

Ich finde es gut, wenn der DSB evaluiert wieviel Gegenleistung er von Chesbase für seine eigene Leistung erhält.
Und wenn man der Meinung ist, es gibt kaum oder wenig Gegenleistung, dann muss man die Zusammenarbeit eben beenden.
Für einen Stand bei einer Meisterschaft zahlt ein Aussteller in der Regel eine Gebühr. Dass der DSB dafür noch zahlen soll, muss eine Menge an Gegenleistung bringen – definitiv mehr als ein paar Softwre-Lizenzen.

Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
18 Tage zuvor

Wenn man auf die Seiten des DSB geht, findet man doch zehn Referenzen von Chessbase bevor man eine zur DSJ findet. Und ist nicht die eigene Jugend das wichtigste eines Verbandes?

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
1 Monat zuvor

ChessBase ist ein sehr seriöses kleines mittelständisches Software-Unternehmen. An der Uni Jena war ich Verantwortlicher für die Studiengänge in Wirtschafts-Mathematik. Manchmal habe ich da auch mitgeholfen, wenn sich Studenten schwer taten, Praktikumsplätze zu finden. ChessBase war oft meine Lieblings-Empfehlung. Leider ist nie ein Student darauf angesprungen: Viele klebten an der Thüringer Scholle; andere waren zwar bereit für Unternehmen ausserhalb, aber die wollten dann immer in größere Firmen. Meine Ausstrahlung war wohl nicht gut genug, sie für ChessBase einzunehmen. Ich halte es für möglich, dass Frau Lauterbach bei dem Treffen mit ChessBase einfach einen schlechten Tag hatte. ChessBase war und ist… Weiterlesen »