Jahrelang haben im Schachbund Akteure der Länder und Gremien diskutiert, wer der deutsche Meister sein solle. Beide Seiten hatten Argumente, und wie immer im deutschen Schach dieser Tage fand eine weitgehend anachronistische Diskussion statt.
Die Turnierordnung will den Deutschen Meister bei einer deutschen Meisterschaft ermitteln. Logisch. Aber: Faktisch ist eindeutig, dass der Sieger im German Masters das stärkere Turnier gewinnt. Für das Masters gibt es keine Qualifikation außer, dass der Sieger der deutschen Meisterschaft im Folgejahr teilnehmen kann. Andere Teilnehmer sind Kaderspieler, wenn sie teilnehmen wollen und Zeit haben.
Der Weltschachbund spielte zudem zuletzt eine Rolle in der jahrelangen Diskussion, weil die FIDE nur ein nationales Turnier pro Spieljahr für seinen Qualifikationsmodus wertet, die nationale Meisterschaft. Im FIDE-Circuit geht es um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft, die Teilnahme am Kandidatenturnier. Die Befürworter der nationalen „Aufwertung“ des Masters bekamen ein Argument geschenkt, um den Sieger des Masters künftig deutscher Meister nennen zu dürfen. Letztlich zog dieses Argument, da deutsche Spieler nicht gegenüber anderen Nationen im Nachteil sein sollten. Nur interessiert die Spieler das überhaupt?
Es gibt im deutschen Schach zurzeit nur einen Spieler, der realistischerweise eine Chance hat in diesem internationalen Wettbewerb: Vincent Keymer. Der spielte im letzten Jahr nicht mit. Im Dezember 2023 gewann etwas überraschend Dennis Wagner das Masters in Rosenheim. Man könnte argumentieren, dass es da ja noch keine Circuit-Punkte gab. In diesem Jahr findet das German Masters unter neuem Titel als „Deutsche Meisterschaft Meisterklasse“ vom 18. bis 27. August in Ostfildern statt. Von den deutschen Topgroßmeistern sind nur Dmitrij Kollars und Rasmus Svane dabei. Die anderen haben sich möglicherweise für das gezielte Vorbereiten auf die Schacholympiade Mitte September in Budapest entschieden. Das ist verständlich und wohl ein weiteres Missgeschick beim Festlegen des Termins.
Wie immer im organisierten deutschen Schach wird die eigentlich spannende Frage nicht im Entferntesten diskutiert. Die richtige Frage war: Wie gelingt es, das Masters so interessant zu gestalten, dass es ausreichend attraktiv ist, um Aufmerksamkeit zu erzielen und die besten deutschen Großmeister anzulocken, um Öffentlichkeit und Sponsoren zu gewinnen? Der Titel des deutschen Meisters ist es nicht. Das werden wir in den nächsten Jahren weiterhin sehen, und die jahrelangen Diskussionen haben viele Funktionäre bewegt, Papiere wurden geschrieben und jetzt wähnte man sich am Ziel.
Pustekuchen. Eine weitere Chance ist vergeben. Es wäre viel wichtiger zur Fortentwicklung des deutschen Spitzenschach gewesen, wenn hierzulande das Masters zu einem internationalem Turnier weiterentwickelt worden wäre statt zur deutschen Meisterschaft. Das hätte den deutschen Spitzenspielern wichtige Vergleichschancen gegeben, den internen Wettbewerb befeuert, und die Spieler hätten beispielsweise mit den indischen Stars messen können. Hätte der Deutsche Schachbund ein internationales Turnier, würde es auch für die zweite Reihe hinter Vincent vermutlich einfacher, Turniereinladungen zu erhalten. Solche Überlegungen gibt und gab es im Schachbund aber nie.
Die Inder haben im Dezember 2023 in Chennai ein hochkarätiges Großmeistertunier veranstaltet. Der Rest ist Geschichte. Gukesh gewann letztlich knapp die Qualifikation zum Kandidatenturnier in Toronto vor dem aktuellen indischen Spitzenspieler Arjun Erigaisi. Beide hatten versucht Anish Giri noch aus dem Rennen zu nehmen. Später dieses Jahr spielt Gukesh um den Weltmeistertitel. In Indien werden in Zukunft mehr Spitzenturniere stattfinden. Der indische Schachverband, die All India Chess Federation (AICF), investiert in den nächsten drei Jahren massiv in seine Jugendförderung, das Entstehen von Schachakademien und neue Turniere.
Wer meint, das wäre in Indien einfacher nach den Erfolgen der goldenen indischen Generation, der hat die Diskussion nicht wirklich verstanden. Es geht um Kreativität und den Willen, etwas anders zu machen. Bei uns wird im organisierten Schach neben Finanzfragen und Verwaltungssoftware über die Turnierordnung, also eine recht unwichtige Spielbetriebsfrage, diskutiert. Wichtiger wäre es eine positive Vision für das deutsche Schach zu entwickeln und die dann machbar zu machen, nicht nur im Spitzenschach.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Beitrags stand, der Termin des Masters im Dezember 2023 habe spät festgestanden, “da der Schachbund keinen Veranstaltungsort fand”. Das stimmt nicht. Schon im Mai 2023 hat diese Seite exklusiv berichtet, das Masters werde in Rosenheim stattfinden.
Danke für den Link auf https://www.schachbund.de/deutsche-meisterschaften.html und die dort veralteten Einträge. Leider konnte ich noch keinen Automatismus einbauen, der automatisch diese Seite aktualisiert. Es gibt nämlich im Backend gepflegte Meisterlisten, die aktueller sind. Eine der Meisterlisten, die im Frontend dann zu sehen sind ist https://www.schachbund.de/dem.html. Leider hatte ich noch nicht die Zeit ein Modul zu programmieren, was sich die aktuellsten Einträge aus den Meisterlisten holt und diese auf https://www.schachbund.de/deutsche-meisterschaften.html anzeigt.