Würde der Deutsche Meister OSG Baden-Baden nach den kommenden beiden Spieltagen am Samstag und Sonntag nicht mit 12:0 Punkten dastehen, das wäre eine Überraschung. Bei ihren Heimspielen gegen die beiden Berliner Teams werden die Baden-Badener klarer Favorit sein. Trotzdem rechnet OSG-Chef Patrick Bittner nicht mit einem lockeren Spaziergang zur Titelverteidigung. Gute Chancen, am Ende wieder oben zu stehen, habe man, aber die vergangenen Saisons hätten gezeigt, wie knapp es zugeht. Angesichts der starken Konkurrenz, Bittner nennt neben Viernheim und Kiel den Baden-Badener Reisepartner Deizisau, geht Bittner davon aus, dass seine Auswahl von Elitegroßmeistern auch in dieser Saison manchen knappen Kampf überstehen muss.
Patrick, die OSG Baden-Baden ist mit vier Siegen in die Saison gestartet. Du bist wahrscheinlich zufrieden.
Zumindest beim ersten dieser Siege in Bremen stand das Ergebnis nicht im Vordergrund. Unsere Bremer Freunde waren von der Sorge um ihre Ukrainer bewegt, wir haben diese Sorge geteilt. Ich bin hingefahren, um Flagge zu zeigen, die Stimmung war bedrückend. Dass wir gewonnen haben, war nicht so wichtig wie das gemeinsame Zeichen, das wir gesendet haben. Aber gut, jetzt stehen wir mit 8:0 Punkten da, natürlich gefällt mir das. Wir haben ja einen Titel zu verteidigen.
Eure Aufstellung war für Baden-Badener Verhältnisse an den ersten vier Spieltagen moderat. Eloschnitt unter 2700!
Für alle ist es gerade nicht ganz einfach, Leute ans Brett zu bekommen. Wir bilden da keine Ausnahme, vielleicht sind wir mit unserem internationalen Kader noch ein wenig stärker betroffen als andere. Unsere Topspieler müssen häufig anderen Turnierverpflichtungen nachkommen. Und die Turniere ballen sich gerade, einiges überschneidet sich. In den ersten vier Runden haben wir einfach die Leute eingesetzt, die verfügbar waren. Ich hoffe, dass wir im Lauf der Saison noch stärker werden aufstellen können, vor allem gegen die Spitzenteams.
In der dritten und vierten Runde, Düsseldorf und Aachen, hattet Ihr es eher mit Mannschaften aus dem unteren Tabellendrittel zu tun.
Und trotzdem saß auf unserer Seite MVL am Brett! Im Prinzip versuchen wir Runde für Runde, so stark wie möglich anzutreten, aber wir müssen natürlich auch innerhalb der Grenzen unseres Budgets agieren. Gegen nominell deutlich schwächere Teams setzen wir vielleicht nicht immer alles daran, unsere Top acht an die Bretter zu schicken. Wobei ich mich mit dem Begriff „schwach“ schwer tue.
Warum?
Weil ich großen Respekt vor allen Vereinen habe, die die notwendigen Euros zusammenkratzen, um an der Bundesliga teilzunehmen. Das ist nicht einfach, ich finde das ganz schön stark. Insofern rede ich ungern von „schwachen“ Mannschaften. Die gibt es in der Bundesliga nicht.
Trotzdem seid Ihr in einer vergleichsweise komfortablen Situation.
Unser Sponsor, die GRENKE AG, macht es möglich, dass wir auch in dieser Saison eine gute Chance haben, unseren Titel zu verteidigen. Aber manche Leute glauben, dass in Baden-Baden das Geld einfach so vom Himmel fällt. So ist es bestimmt nicht. Wir müssen schon genau kalkulieren und planen, um aus den gegebenen Möglichkeiten das Maximum zu machen. Auch wenn wir am Ende jeweils oben standen: Die vergangenen Saisons haben gezeigt, wie knapp es in der Bundesliga zugeht. Uns saßen stets bis zum Ende die Verfolger im Nacken.
Wer kann euch 2022 die Titelverteidigung streitig machen?
Schau auf die Tabelle, da zeichnet sich schon das eine oder andere ab. Viernheim ist traditionell sehr stark und immer ein Meisterschaftskandidat. Deizisau natürlich, sehr gute Mannschaft mit jungen Spielern, die sich alle kontinuierlich verbessern. Und, das war mir vor der Saison gar nicht aufgefallen, Turm Kiel sollte niemand unterschätzen.
Wenn die Kieler auffahren, was sie haben…
…haben sie bislang nicht einmal – und stehen trotzdem bei 7:1 Punkten.
Für die Liga kann es ja nur gut sein, wenn euch andere im Nacken sitzen.
Zumal nach dem Rückzug von Hockenheim, die in der vergangenen Saison beinahe noch Meister geworden wären. Die Lücke, die das Fehlen dieser starken Mannschaft hätte reißen können, erscheint mir ganz gut geschlossen. Im Sinne einer homogenen Liga ist mir zum Saisonstart übrigens auch der FC Bayern positiv aufgefallen. Früher war das eine Fahrstuhlmannschaft, jetzt bleiben sie ganz locker drin – mindestens.
Was verschlägt Anish Giri nach Baden-Baden?
Einer unserer Spieler hatte angeregt, ihn zu fragen, ob er sich einen Wechsel vorstellen kann: ein starker Spieler, der gut in unsere Mannschaft passen würde. Ich habe dann erstmal in Solingen angeklopft, wo Anish ja noch gemeldet war, aber schon lange nicht mehr gespielt hatte. In Solingen sollte keinesfalls das Gefühl aufkommen, wir würden Spieler abwerben. Und das war auch kein Problem. Dann habe ich mit Anish telefoniert, ein ganz nettes Gespräch. Unseren Verein kannte er natürlich, auch wegen des Grenke Opens und Grenke Classic. Ich habe ihn gebeten, seinen Status in Solingen zu klären, und ihm einen Vertrag geschickt. Das lief reibungslos, ohne großes Feilschen und Lamentieren. Mein Eindruck war, er hat Lust, Bundesliga zu spielen.
Am Brett saß er für euch noch nicht.
Das wird sich mit Sicherheit ändern. Anish hat zugesagt zu spielen, wenn er kann.
Nicht nur Anish Giri ist das Grenke Open und Classic ein Begriff. 2022 fallen beide Wettbewerbe wieder aus. Das Ende einer Ära?
Dafür ist das Schachzentrum Baden-Baden als Organisator der bessere Ansprechpartner. Nach allem, was ich mitbekommen habe, war die Absage 2022 Corona geschuldet. Solche Veranstaltungen müssen mit viel Vorlauf organisiert werden, aber das gaben die Umstände einfach nicht her, auch wenn unsere Leute lange gehofft haben, es doch irgendwie hinzubekommen. Die Absage 2022 bedeutet aber nicht das Aus der Turniere.