Hybridliga, zweiter Spieltag: ein Vizeweltmeister und reichlich Knoblauch

Ein Spitzenduo droht in der Hybridliga davonzuziehen. Nach dem zweiten Spieltag (bzw. dem vorgezogenen vierten) führen die Niedersachsen-Auswahl und die SF Berlin mit vier Punkten, gefolgt von Mariendorf mit zwei. Die Spielgemeinschaft Werder Bremen/Online-Schachclub Bremerhaven und der SC ML Kastellaun stehen bei einem Punkt. Die SF Pattonville müssen noch punkten.

Eine 0:4-Höchststrafe ereilte die freundlichen Außenseiter aus Pattonville gegen den Berliner Bundesligisten, obwohl die Württemberger ganz nah am Ehrenpunkt waren. Thomas Ramolla aus Pattonville, noch ohne Deutsche Wertungszahl am Brett, hatte schon in der ersten Runde gezeigt, dass er auf veritablem Vereinsspielerlevel unterwegs ist. Nun, in der zweiten Runde, hatte er mit Berlins Frederik Blum gar einen 2000er an der Angel – und das nach acht Zügen:

Das Foto von Bernhard Riess zeigt Blum vor einer Fehlentscheidung: Der Berliner sollte 7…Sxe4 spielen mit der Idee, sich nach 8.Sxe4 d5 per Bauerngabel die Figur zurückzuholen. Dieses Vorhaben scheiterte an 9.Lb5!, und Schwarz musste die Partie mit Minusfigur fortsetzen. Blum biss sich trotz dieser kalten Dusche rein, kreierte Gegenspiel und schaffte es letztlich, sich doch einen vollen Punkt zu erschummeln.

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Der Testcharakter, den die weltweit erste Liga dieser Art hat, schien auch in der zweiten Runde durch. Der für 18.30 angepeilte Beginn verzögerte sich abermals um knapp eine halbe Stunde, bis an allen Spielorten alles eingerichtet und alle Beteiligten angemeldet waren. Tim Pfregle aus Kastellaun regt an, nicht alle Partien zeitgleich zu beginnen. Wer bereit ist, solle spielen dürfen.

Damit gar nicht erst das Gefühl aufkommt, gegen einen leeren Stuhl zu spielen, hatten sich die Niedersachsen und die Schachfreunde in Pattonville (unten rechts) diesmal einander gegenüber gesetzt. Kastellaun (oben links) und Bremen (oben rechts) versuchten es derweil mit der Hühner-auf-der-Stange-Strategie. | Screenshot: Salvatore Ketterer

Eine Bedingung, ohne die weder Online- noch Hybrid-Schach funktionieren: Das Internet muss stabil sein. In Pattonville war es das. Die Mannen um den Vereinsvorsitzenden Salvatore Ketterer hatten einen LTE-Router aufgestellt, um Verbindungsabbrüchen vorzubeugen. Und so kam Ketterer hinterher zu dem Urteil: „Die Spieler waren mit der Technik und dem Ablauf sehr zufrieden. Es gab keine Verbindungsprobleme und alle Partien konnten reibungslos stattfinden.“

Diesem Urteil werden sich die Bremer nicht anschließen. Im Bremer Spiellokal, wo die Heimmannschaft mit IM Jonathan Carlstedt ein schachliches Schwergewicht ins Gefecht schickte, fiel die Verbindung einige Male aus, und es liegt der Verdacht nahe, dass die Toleranz der Bretter gegenüber mehrfachen Verbindungsabbrüchen endlich ist.

Nachdem sich anfangs nach Abbrüchen alles wieder herstellen ließ, wurden ausgerechnet in Zeitnot auf Bremer Seite am dritten Brett die gegnerischen Züge nicht mehr angezeigt. Weil er sich des gegnerischen Zuges nicht bewusst war, überschritt FM Olaf Steffens gegen Achim Michels (Kastellaun) die Zeit, und das in einer Stellung, die er höchstwahrscheinlich gewonnen hätte. So kam es zur Bremer 1,5:2,5-Niederlage gegen Kastellaun. Zumindest sah es anfangs danach aus, dazu später mehr.

Steffens hat die Partie bei den Veganen Schachkatzen launig kommentiert.

Oliver Müller, Ex-Vizeweltmeister. | Foto: Maria Emelianova/FIDE

„Wir werden unser lokales Internet mit einem Techniker prüfen“, kündigt Bremens Käptn Jens Kardoeus an – und hat doch eine gute Nachricht: Der sehbehinderte Bremer Oliver Müller, ehemaliger Vizeweltmeister der Blinden und Sehbehinderten, sei mit dem Brett zurechtgekommen. Die LEDs auf höchste Helligkeitsstufe eingestellt, sah Müller die gegnerischen Züge und konnte problemlos am Mannschaftskampf teilnehmen.

Olaf Steffens hat nach dem Mannschaftskampf in seiner zweiten Identität als vegane Schachkatze über das Erlebte berichtet – und einen kulinarischen Vorteil von hybridem Schach herausgearbeitet: Vor der Partie ist ein knoblauchhaltiges Mahl möglich, Spaghetti mit einer Tomatensoße etwa, die extra mit Knoblauch angereichert ist. Den Gegner im weit entfernten Hunsrück stört ja nicht, was dem Riecher eines direkten Gegenübers nicht zuzumuten wäre.

Allerdings würde Steffens hybrides Schach noch nicht als Turnierform für Größeres empfehlen, zu unrund sei es in Bremen gelaufen. Außerdem: Die Partie ende schweigend, keine gemeinsame Analyse, kein Schnack sei möglich.

Angesichts dieser Argumentation sind wir gespannt auf Steffens nächsten Bericht, wenn er in seiner dritten Identität als DSOL-Schreibkatze vom Online-Schach berichtet. Ob dort geschnackt und gemeinsam mit dem Gegner analysiert wird? Und: Bietet hybrides Schach neben dem Vorteil, am Brett zu spielen, nicht gerade den Vorzug, einander im Kreise der Mannschaftskamerad:innen schnackend zu begegnen, anstatt daheim alleine (bzw. mit Katze) vor dem Bildschirm zu hocken? Von der Sicherheit vor Cheating gar nicht zu reden.

Angesichts der unglücklichen Niederlage aufgrund besonderer Umstände: Oberschiedsrichter Bernhard Riess hat schon am Tag nach dem Wettkampf angedeutet, dass er willens wäre, Steffens Partie nachträglich Remis zu werten, sollten beide Teams damit einverstanden sein und es so beantragen. Und genau dazu kam es. Bremen-Kastellaun 2:2, Steffens-Michels 0,5:0,5.

Steffens wichtigster Punkt aus oben verlinktem Beitrag sei hier eingefügt: „Danke an alle Helfer, Organisatoren und Schiris bundesweit vor Ort an den sechs Spielorten – durch Euer Engagement konnten wir ein aufregendes Match austragen. Auch wenn Ihr an diesen Abenden selber gar nicht spielt – Ihr seid für viele Stunden mit dabei und gefordert, aufbauen, Technik checken, betreuen, Präsenz, abbauen, da kommt was zusammen. Ohne Euch geht nichts. Sehr herzlich bedankt dafür!“

Wer aus den Reihen der Schachfreunde Berlin kann Rustam Kasimdzhanov Paroli bieten? Felix Nötzel arbeitet an der Antwort auf diese Frage. | Foto: Bernhard Riess

Schauen wir noch kurz auf den nächsten Spieltag, an dem womöglich eine Vorentscheidung fällt – und an dem voraussichtlich zum ersten Mal Großmeister an den Wettkämpfen teilnehmen. Die Tabellenführer Niedersachsen und SF Berlin treffen aufeinander. Erstere haben schon angekündigt, im Vergleich mit dem Bundesligisten ihren Trainer und Ex-Weltmeister Rustam Kasimdzhanov einzusetzen.

Aus Berlin hören wir von Teamchef Felix Nötzel, dass dort jetzt ausgeknobelt wird, wer aus den eigenen Reihen dem 2650-GM Paroli bieten kann. An Großmeistern mangelt es im Berliner Kader glücklicherweise nicht.

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