Zwei Spitzenspieler ringen die Besten der bis dahin führenden Schachnation nieder, sie machen ihr Land zur neuen Nummer eins im Schach, der Beginn einer Ära. Fortan sind beide Teil der gehobenen Gesellschaft, sie werden von Päpsten und Königen empfangen, um mit diesen Schach zu spielen. Nebenbei schlagen sie sich mit Seeräubern herum. Beide sterben früh, möglicherweise durch Giftmorde eifersüchtiger Neider zur Strecke gebracht.
Was sich wie ein fantasievolles Filmgebräu aus „Der Name der Rose“ und „Fluch der Karibik“ anhört, war vor 450 Jahren Realität. 1575 war der Königshof in Madrid Schauplatz des ersten internationalen Meisterturniers überhaupt, ein Ereignis, das bis ins 19. Jahrhundert ein einmaliges bleiben sollte. Die Geschichte dieses Turniers wollen wir in dieser Serie erzählen.
Wenn wir heutige Grenzen und Länder zugrunde legen, war das Vier-Teilnehmer-Turnier ein Ländervergleich Spanien-Italien. Sieger wurde Giovanni Leonardo da Cutri (Königreich Neapel) in einem Stichkampf gegen Paolo Boi (Sizilien) – und das am Madrider Königshof unter den Augen des schachbegeisterten Gastgebers.
Die Italiener hatten den Spaniern also direkt in der Höhle des Löwen die Show gestohlen und nicht nur das – von nun an wurde das italienische Schach als dominierend in Europa eingeschätzt. Spanien war nicht länger die erste Schachnation.
Der 33-jährige Turniersieger Giovanni Leonardo da Cutri hatte den Höhepunkt seines schachlichen Schaffens erreicht. Er hatte zwar seit Jahren zu den besten Spielern Roms und damit auch Italiens gezählt, aber nach diesem Triumph galt er als der stärkste Schachmeister seiner Zeit.
Den Überblick über die Protagonisten des Madrider Turniers beginnen wir mit dem wohl bekanntesten Namen:
Ruy López (1530-1580)
Vater der Schachtheorie
Kirchliche Angelegenheiten führten den mit einer enormen Spielstärke gesegneten spanischen Priester Ruy López de Segura 1560 nach Rom. Dort stieß er auf das 1512 erschienene Buch „Questo libro e da imparare giocare et le pertite“ des Portugiesen Damiano de Odemira, das für lange Zeit als „das“ grundlegende Schachlehrbuch galt. Auf Deutsch wurde es beispielsweise erst viel später, 1855/56, in der Berliner Schachzeitung erstmals gedruckt. Seine frühe Verbreitung im französischen und englischen Sprachraum begünstigte der Umstand, dass Papst Leo X. im Jahr 1513 das kirchliche Verbot des Schachspiels aufhob.
López gefiel das Werk schon dreihundert Jahre vor dem Erscheinen der deutschen Ausgabe überhaupt nicht. Er beschloss, ein eigenes Schachbuch zu veröffentlichen. Dieses erschien ein Jahr nach seinem Rom-Besuch unter dem Namen „Libro de la invención liberal y arte del juego del Axedrez“ („Die Erfindungsgabe und Spielkunst im Schach“). Es zählt wie das Werk von Damiano zu den ersten grundlegenden Schachlehrbüchern.
Ruy López schrieb darin unter anderem über die Ursprünge des Schachs und die Spielregeln. Als Erster verwendete er den Ausdruck „Gambit“, den er aus der Ringersprache entlehnte („dem Gegner ein Bein stellen“). Ruy López analysierte die damals bekannten Eröffnungen; er beschäftigte sich zum Beispiel mit dem Königsgambit und vor allem mit der Spanischen Eröffnung, die nach ihm und seinem Heimatland benannt wurde (englisch: Ruy Lopez Opening). Er wird seither als „Vater der Schachtheorie” bezeichnet.
Im Zuge seines kirchlichen Aufenthalts duellierte er sich ganz weltlich mit den stärksten einheimischen Schachspielern, die er alle besiegte. Ob es sich bei den Vergleichen um einzelne Partien handelte oder längere Wettkämpfe, konnte ich nicht ermitteln. Unter anderem traf López erstmals auf den jungen Giovanni Leonardo Di Bona Da Cutri, den er 1560 noch dominierte.
1573 verschlug es Ruy López, der übrigens auch als versierter Blindschachspieler galt, anlässlich des Pontifikats von Papst Gregor XIII. (der, der 1582 den Gregorianischen Kalender einführte) erneut nach Rom. Er wiederholte sein 13 Jahre zurückliegendes Kunststück und besiegte die besten einheimischen Spieler.
Zwei Jahre später bei “unserem” Turnier in Madrid musste er sich etwas überraschend mit Platz drei begnügen. Dennoch – seine Spielstärke war für die damalige Zeit beträchtlich. Eine spanische Quelle bezeichnet ihn gar als inoffiziellen Weltmeister 1570-1575. Dass solche Einschätzungen äußerst subjektiv sind, habe ich durch das Recherchieren in Quellen unterschiedlicher Länder feststellen dürfen: Spanier und Italiener sind sich speziell, was ihre schachliche Vormachtstellung im 16. Jahrhundert betrifft, nicht in allem einig – beide wollen möglichst lange die Besten gewesen sein. Als uneingeschränkt gesichert gilt indes, dass spanische und italienische Spieler das Schachgeschehen im 16. Jahrhundert dominierten.
Alfons Seran
Der große Unbekannte
Leider habe ich keine weiteren Informationen, Lebensdaten, oder gar Partieaufzeichnungen zu ihm finden können. Er wurde beim Madrider Turnier „nur“ Vierter. Da er neben Ruy López de Segura als einer von zwei Spielern für sein Königreich nominiert wurde, spricht dies indes für sein großes schachliches Können. Falls hier Schachfreunde mit ergänzenden historischen Kenntnissen mitlesen, würde ich mich freuen, wenn sie sich in den Kommentaren melden.
(wird fortgesetzt)
Unter seinem Pseudonym „Nathan Rihm“ hat Martin Hahn bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht. Mehr über ihn auf der Nathan-Rihm-Fanpage bei Facebook. Kontakt: nathanrihm@gmx.de
Lieber Martin, ganz großartig, was du da zusammengetragen hast! Wo hast du denn diese Infos alle ausgegraben? Jetzt fehlen nur zeitgenössische Zeichnungen der Spieler und heikler Situationen in den Partien, sowie die Notationen!
Suche nach “Alfonso Cerón”, der spanischen Variante von “Alfons Seran”. Bei “Alfonso Cerón ajedrez” oder “Alfonso Cerón chess” spuckt google ein klein wenig aus.
Lieber Martin, es ist sicher ein hartes Schicksal, wenn solch ein bekloppter Zug wie 2…f6 nach 1.e4 e5 2.Sf3 mit dem eigenen Namen verbunden ist. Doch genau welchen Eröffnungsmumpitz hat man Frank Marshall zugeschrieben, so dass er sich dafür schämen muss?