In allen Sportarten gibt es das Phänomen vom Spieler, der ein knappes Spiel gewinnt, weil er den Sieg mehr gewollt hat. Auch beim Schach, wie diese Partie zeigt.
In der dritten Runde war noch nicht abzusehen, dass nicht einer der drei Top-Ten-Spieler, sondern Sam Shankland die US-Meisterschaft dominieren würde. Aber die Partie zeigte schon in aller Deutlichkeit die Attitüde, mit der Shankland jeden seiner Gegner in den kommenden Runden beharken würde: Stellung komplex halten, Ungleichgewichte provozieren, taktische Chancen suchen. Wer so spielt und dazu noch in Galaform ist, der gewinnt Turniere – auch wenn sie so stark besetzt sind wie die US-Meisterschaft.
Izoria, Zviad (2.599) – Shankland, Samuel (2.671)
US-Meisterschaft St. Louis 2018, 3. Runde
1. c4 e6 2. Nc3 d5 3. d4 Nf6 4. cxd5 Nxd5
Kramniks Zug.
5. Nf3 c5 6. e3 cxd4 7. exd4 Nxc3
Ist erst in der jüngeren Vergangenheit populär geworden. Normalerweise geschieht hier 7…Le7 oder 7…Lb4 mit einer Standard-Isolani-Stellung, wie sie aus vielen Eröffnungen entstehen kann. Aber Shankland bringt die Stellung noch weiter aus dem Gleichgewicht.
8. bxc3 Qc7
9. Bb2
Wenn Weiß in der Folge zu c4 und d5 kommt, steht der Läufer hier gut. Wenn nicht, dann nicht. Weiß träumt jetzt schon von einem Angriff gegen den kurz rochierten schwarzen König. 9.Ld2 wird gleichwohl häufiger gespielt.
(9. c4?! Direkt eine Stellung mit hängenden Bauern anzustreben, wäre fragwürdig. Schwarz kann sofort per 9…Lb4+ Material vom Brett nehmen, und jede Vereinfachung hilft der Seite, die gegen die hängenden Bauern kämpft.)
9… Nd7
Bevor er sich anderweitig entwickelt, muss Schwarz die Option Se5 nebst f4 aus der Stellung nehmen.Nach z.B. 9…b6 10.Se5 hätte Schwarz schon Probleme.
10. Bd3 Be7
(10… Ba3!? sieht nach einer veritablen Option für Schwarz aus. Aber Vereinfachung will Shankland an diesem Tag aus dem Weg gehen, wo immer er kann.)
11. O-O
11… b6
Lässt sehenden Auges 12.d5 zu, provoziert es sogar.
(11… O-O Erst rochieren, danach …b6 gibt Weiß die Möglichkeit 12. Qe2 b6 13. Qe4 Die Angelegenheit ist aber nicht so klar. 13…Nf6 14. Qxa8 Bb7 15. Qxa7 Ra8 16. Qxa8+ Bxa8 und für den Moment ist die Dame stärker als die beiden Türme.)
12. d5
Der Bauer ist natürlich tabu. …exd5 würde mit Te1 beantwortet, und der schwarze König wäre im Zentrum festgenagelt. Ist die schwarze Eröffnung schiefgegangen?
12… O-O
(12… Nc5 wäre der normale Zug. Auf 13. c4 O-O würden sich die meisten Schwarzspieler ohne allzu große Bedenken einlassen. Der Kg8 steht zwar ohne Leibgarde da, aber unmittelbar hat Weiß noch kein Spiel gegen den König.)
13. dxe6 fxe6
Schwarz lässt sich bereitwillig einen rückständigen Isolani auf der e-Linie andrehen…
14. Qc2 h6
…und weißfeldrige Löcher am Königsflügel noch dazu. “Und was bekommt er dafür?”, könnte man fragen. Shankland sucht Chancen auf der f-Linie und der langen Diagonalen a8-h1.
15. Bh7+
(15. Rae1 Bb7 16. Nd4 Nc5 17. Bh7+ Kh8 18. Nxe6 Qc6 19. Qg6 Rf7 mit unklarem Spiel (Yermolinsky) ist eine Variante, die veranschaulicht, in welchem Maße Shankland bereit ist, Risiko zu nehmen, um taktische Chancen zu bekommen.)
15… Kh8 16. Be4
Eben diese Diagonale darf Weiß dem Schwarzen nicht überlassen.
16… Rb8
Und wieder wählt Schwarz den Zug, der die Stellung am komplexesten hält.
17. c4 Bf6
18. Ba3
Jetzt endlich ist der Sd7 beweglich, der bislang an Ort und Stelle bleiben musste, um Se5 zu verhindern. Um diesen Zustand beizubehalten, wäre womöglich 18.Lxf6 besser gewesen. Aber dem Weißen schwebt eine spezifische Aufstellung vor.
18… Nc5 19. Rad1 Bd7 20. Bxc5 bxc5 21. Rb1 Rb4 22. Qe2
Weiß will eine Dame-Läufer-Batterie auf der Diagonalen b1-h7 installieren.
22… Rfb8 23. Bc2
23… Rxb1 24. Bxb1 Kg8!
Ein erstes Indiz, dass die weiße Strategie zu scheitern droht. Weiß hat seinen schwarzfeldrigen Läufer gegeben und darauf gesetzt, dass er mit einer Dame-Läufer Batterie Unheil am Königsflügel anrichten kann. Aber dort ist jetzt schwarzfeldrig alles unter schwarzer Kontrolle, dem Sf3 ist die Perspektive e5 komplett abhanden gekommen, und der schwarze König neutralisiert alle Drohungen, indem er schlicht zur Seite geht.
25. h4 Kf8 26. Qe3 Rb2 27. g4
Will seinen Sf3 wiederbeleben und um die schwarzen Felder kämpfen, indem er den Lf6 befragt.
27… Qd6 28. g5 hxg5 29. hxg5 Bd4 30. Nxd4 Qxd4
31. Be4?
Gibt zu früh die aggressiven Ambitionen auf.
( 31. Qxd4?! cxd4 Das Endspiel wäre günstig für Schwarz, dessen gedecktem Freibauern auf der d-Linie weiße Wackelkandidaten auf a2 und c4 gegenüberstehen.)
(31. Qf3+ Ke7 32. Bg6 Qxc4 33. Qf7+ Kd8 Nun sieht es angesichts der Möglichkeit …Dg4+ und der scheunentoroffenen langen Diagonalen zwar aus, als habe Weiß ausgespielt, aber der kleine (und wahrscheinlich von Izoria übersehene) Zug 34. Bh5! entpuppt sich als äußerst giftig. Td1 droht, und nur mit 34…Qd5 bleibt Schwarz in der Partie. 35. Qxg7= Es stellt sich heraus, dass Weiß sich nach …Lc6 ins ewige Schach retten kann, weil nach Dg7+ auf b2 ein Turm mit Schach hängt, sollte Schwarz die b-Linie betreten.)
31… Rxa2
32. Qf3+?
(32. Qxd4 cxd4 33. Rb1 Jetzt würde die Drohung Tb7 dem Schwarzen gute Überlebenschancen geben.)
32… Ke7
Weiß hat keine guten Züge mehr.
33. Rd1 Ra1 34. Bb1 Bc6
Weiß gab auf.
0-1
[…] landete er am Ende vor dem Weltmeister. Und hätte Sam Shankland nicht bei der US-Meisterschaft über den Dingen gestanden, Caruana hätte in den Monaten vor der WM jedes Turnier gewonnen, an dem er teilgenommen […]
[…] An der Tabellenspitze triumphierte letztlich Caruana, der Auftakt zu einem fantastischen Schachjahr des Amerikaners, in dessen Verlauf er Magnus Carlsen mehrfach das Nachsehen gab und ihn in der Weltrangliste beinahe als neue Nummer eins abgelöst hätte. ChessBase kürte ihn jetzt zum Spieler des Jahres – vor Magnus Carlsen, auch vor seinem Landsmann Sam Shankland, der zuletzt spielte, als habe ihm ein Schach-Zaubertrank Flügel verliehen. […]
[…] 2018 blieb Großmeister Samuel Shankland ganz cool, als sein Gegner sich anschickte, eine Dame-Läufer-Batterie gegen Shanklands König aufzustellen. Die Wirkung der Batterie verpuffte, Shankland […]