Die Nationalmannschaft vor der Schacholympiade: Extratraining in Hamburg

Auf dem Weg zur Schacholympiade absolviert die Nationalmannschaft der Männer in diesen Tagen ein weiteres Trainingslager, das zweite binnen weniger Wochen. Im Vereinsheim des Hamburger SK, unterstützt von der Weissenhaus-Akademie, trainieren Dmitrij Kollars, Matthias Blübaum, Alexander Donchenko, Frederik Svane und Bundestrainer Jan Gustafsson jetzt für eine Woche, um für bevorstehende Herausforderungen gewappnet zu sein. Besonders an dieser Trainingswoche: Ohne Initiative der Nationalspieler wäre sie nicht zustande gekommen.

Ausgerechnet diejenigen, die am besten spielen, sind diejenigen, die der finanzielle Niedergang des Deutschen Schachbunds am härtesten trifft. Trainings, Wettkämpfe, Zuschüsse verschiedener Art für die Kader sind gestrichen oder gekürzt. Eigentlich wäre das Training beider Nationalmannschaften im Mai in Magdeburg (siehe dieser Bericht) das letzte vor der Schacholympiade gewesen. Mehr ging nicht.

Um trotzdem noch eine Einheit möglich zu machen, wandte sich nach einem Bericht der Weissenhaus-Akademie jetzt Dmitrij Kollars an Akademiedirektor Sebastian Siebrecht. Und bat für die Nationalmannschaft um Hilfe. Nach Rücksprache mit Akademiegründer Jan Henric Buettner sagte Siebrecht zu. Buettner imponierte offenbar, dass die Spieler sich nicht in ihr Schicksal fügen, sondern von sich aus nach Möglichkeiten suchen, eine weitere Schachschicht zu schieben.

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Da die Weissenhaus-Akademie ohnehin mit dem Hamburger SK kooperiert, da der Traditionsklub als zweites Spitzenschachzentrum fungieren soll, da zudem der Bundestrainer in Hamburg lebt, lag es nahe, das Training ebenfalls in die Hansestadt zu verlegen. Gustafsson findet die zusätzlichen Einheiten gut: „Das wird jedem Einzelnen helfen, das wird uns auch als Team weiter zusammenschweißen.“

Traininig im Schachzentrum des HSK von 1830, der zu den wenigen deutschen Vereinen mit eigener Immobilie gehört. | Foto: Johannes Feise/Hock+Partner

Vincent Keymer und Rasmus Svane sind in Hamburg nicht mit von der Partie. Der ältere Svane-Bruder ist diesmal nicht spielender Teil der Mannschaft. Gustafsson würde ihn gerne als Coach mitnehmen, so wie er es zur EM 2023 mit Frederik Svane gehalten hat. Aber der Bundestrainer hat schon angedeutet, dass auch hier die Finanzierungsfrage offen ist. Das Präsidium des DSB wägt in diesen Tagen ab, wer neben Spielerinnen und Spielern in Budapest die deutsche Delegation bilden soll und wie sich das bezahlen lässt bzw. wo gespart werden kann.

Keymer hat gerade in Weissenhaus ein längeres, individuelles Training mit Peter Leko absolviert. Nun sammelt er sich für den ersten Turnierauftritt seit seiner Grand-Chess-Tour-Premiere im Mai in Warschau. Ab dem 13. Juli wird Keymer als Stammgast beim Schachfestival Biel (Anmeldung für die Open noch offen) auf erlesene Gegner treffen, darunter der WM-Kandidat 2024 Praggnanandhaa. Vor der Schacholympiade im September steht für ihn ein weiterer Wettbewerb an: das stark besetzte Superturnier im Rahmen des Rubinstein-Schachfestivals in Polen.

Hinten Vincent Keymer mit Peter Leko im Weissenhaus, vorne die Nationalmannschaft inklusive Trainer. Im Video: ein strategisches Meisterstück von Dmitrij Kollars mit einigen Taktik-Kirschen als Dreingabe.

Auch andere Nationalspieler werden noch an den Brettern zu sehen sein, bevor sie in Budapest versuchen, nach EM-Silber 2023 eine weitere Marke im internationalen Schach zu setzen. Alexander Donchenko reist von Hamburg mehr oder weniger direkt nach Biel weiter. Dort spielt er im B-Turnier unter anderem gegen Pragg-Schwester Vaishali, den ukrainischen Wunderknaben Ihor Samunenkov oder den Junioren-Weltmeister 2023 und St.-Pauli-Neuzugang Marc’Andria Maurizzi.

Dmitrij Kollars und Frederik Svane absolvieren die Generalprobe für Schacholympia in Dortmund. Im (bereits ausgebuchten) Open der im Vergleich zu den Vorjahren etwas abgespeckten Dortmunder Schachtage zählen beide zu den Mitfavoriten.

Fünf Wochen noch bis zu den Dortmunder Schachtagen, die in diesem Jahr etwas anders aussehen.

Auch zwei Mitglieder der Frauen-Nationalmannschaft absolvieren in Dortmund den (wahrscheinlich) letzten finalen Test vor Schacholympia. Dinara Wagner, seit Neuestem hauchdünn deutsche Nummer 1, spielt in Dortmund ein Match gegen Elisabeth Pähtz, die von Januar 2006 bis Juni 2024 auf dem ersten Rang der Rangliste gestanden hatte – und ihn sich nun im direkten Vergleich zurückholen kann.

In den Wochen bis zum Beginn der Schacholympiade wird der Schachbund die Nationalspielerinnen und -spieler mit kleinen Videointerviews dem Publikum vorstellen. Den Anfang hat jetzt Lara Schulze gemacht.

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acepoint
acepoint
2 Monate zuvor

«Aber der Bundestrainer hat schon angedeutet, dass auch hier die Finanzierungsfrage offen ist. Das Präsidium des DSB wägt in diesen Tagen ab, wer neben Spielerinnen und Spielern in Budapest die deutsche Delegation bilden soll und wie sich das bezahlen lässt bzw. wo gespart werden kann.» Man gewinnt so eine ziemlich gute Vorstellung davon, warum der A-Trainer des Jahres Engagements beim Schachbund auf seiner Prioritätenliste nicht ganz oben stehen hat…um es mal vorsichtig zu formulieren. Aber dafür hat der Deutsche Schachbund jetzt für einen mittleren sechsstelligen Betrag eine Mitgliederverwaltung, die – educated guess – auf dem technischen Stand der Jahrtausendwende ist, umständlich… Weiterlesen »

trackback

[…] von sechs Spielern für das Finale zu qualifizieren. Alexander Donchenko hingegen, direkt vom Trainingslager in Hamburg angereist, ist im B-Turnier weiter im […]

Walter Rädler
Walter Rädler
2 Monate zuvor

Da meint es jemand gut mit dem deutschen Schach, DANKE!

Thomas Richter
Thomas Richter
2 Monate zuvor

Auch das noch, nicht zum ersten Mal: “nach einem Bericht der Weissenhaus-Akademie ….” – ganz unten steht da “von Conrad Schormann”, diese “Quelle” kannte er also schon bevor sie veröffentlicht wurde. “Erfinder dieser Methode” ist er dabei nicht: auch Stefan Löffler schrieb mitunter “auch in der FAZ steht” – ohne den Autor Stefan Löffler zu erwähnen.

—-

Gekürzt, falsche Zitate, Herabwürdigen anderer Menschen entfernt, Anm. d. Red.

Thomas Richter
Thomas Richter
2 Monate zuvor

“Besonders an dieser Trainingswoche: Ohne Initiative der Nationalspieler wäre sie nicht zustande gekommen.” Wenn die Spieler das selbst nicht wollten, würde es nicht stattfinden, schon logisch …. . Gab es eigentlich vor den Sparmaßnahmen (“finanzieller Niedergang”) _mehrere_ Trainingseinheiten für Nationalmannschaften? Welche Kosten fallen für diese “interne Aktion” (keine “Gastreferenten”) genau an? Wird der Bundestrainer dafür extra bezahlt? Werden die Spieler dafür extra bezahlt? “Das wird jedem Einzelnen helfen” (Gustafsson) bedeutet ja, dass sie auch für ihre individuellen schachlichen Aktivitäten – vor und nach der Olympiade – profitieren. Würde der Hamburger SK für Nutzung seines Vereinsheims Miete verlangen und verzichtet nur… Weiterlesen »