Schacholympiade (10): kampflos

Im April 2018 in der Bodenseeliga lag der SC Überlingen gegen Messkirch 2:4 zurück. Es sah schlecht aus, hoffnungslos noch nicht. Dann passierte etwas Unerwartetes, das den Schreiber dieser Zeilen, neu im Verein und in dieser Liga, erzürnte. Anstatt um den Punkt zu kämpfen, gab Schachfreund Klaus sein ausgeglichenes Endspiel remis. Er besiegelte einfach so unsere Niederlage – und fand das gar nicht schlimm! Nicht zu fassen.

Unter dem Eindruck des Geschehens beim Duell Überlingen vs. Messkirch ist der damalige Beitrag übers Remisanbieten vielleicht ein wenig garstig ausgefallen. Aber die Essenz steht: Wer ambitioniert Schach spielen will, bietet nicht remis an.

Ein paar Jahre später fällt die Bewertung jener Episode milder aus. Beim SC Überlingen sind wir Amateure, Hobbyspieler, sportliche Ziele haben wir nicht. Wir wollen nur gelegentlich ein bisschen spielen. Ein Sonntag, an dem das heimische Mittagessen und ein paar Extrastunden mit der Frau oder dem Mann wichtiger sind als die vage Hoffnung auf einen Punkt unseres Clubs in der zweituntersten Liga des badischen Spielbetriebs – normal.

Dinara Wagner, Elisabeth Pähtz und Josefine Heinemann sind Profis, die in Budapest unser Land vertreten. Das sportliche Ziel hatten sie anfangs im Sinn, seit dem Sieg über England vor Augen: eine Medaille beim mit Abstand größten, wichtigsten Schachmannschaftswettbewerb der Welt. Mit dieser Chance sind sie umgegangen wie Schachfreund Klaus vor sechs Jahren in der Bodenseeliga mit dem Kampf gegen Messkirch.

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Dass Hanna Marie Klek nach einer Stunde platt steht – okay, dumm gelaufen. Dann müssen es eben die anderen drei Viertel der Mannschaft richten. Was dann passierte, ist nicht zu begreifen. An keinem der anderen drei Bretter löste es eine Reaktion aus, dass Brett vier früh verloren war. Eine Partie nach der anderen plätscherte vor sich hin und wurde remis, jeweils um die 30 Züge. Am Ende spielte beim Stand von 1,5:1,5 noch Hanna Marie Klek, und sie stand immer noch platt. An ihr lag es nicht. Die anderen drei hatten nicht fürs Team gekämpft.

Smooth sailing für die Polinnen vor ihrem Schlussrundenmatch gegen Georgien. | Foto: DSB

1,5:2,5 gegen Polen. Mit einer Medaille bei der Schacholympiade vor Augen haben wir uns nicht einmal gegen die Niederlage gewehrt. Niemand zeigte die Bereitschaft, im Sinne der Mannschaft eine individuelle Null zu riskieren um der kleinen Chance willen, dem Team wenigstens einen Punkt zu retten. Am Ende haben wir an keinem Brett die ausgeglichene Stellung weitergespielt, bis komplett die Luft raus ist, so, wie es sich gehört, wenn die Mannschaft (gefühlt) zurückliegt. Wir nehmen stattdessen kollektiv den halben Punkt nach 30 Zügen, und dann spielt halt als Letzte noch die, deren Niederlage sich schon ganz zu Anfang abgezeichnet hatte.

Plausible individuelle Erklärungen für jeden einzelnen halben Punkt gibt es bestimmt. Die Stellung so blutleer, der Kopf so müde, der Körper so kränklich, die Gegnerin so solide, die Stellung der Kollegin nebenan falsch eingeschätzt. Im Kollektiv gilt: So, what? Die deutschen Fußballfrauen waren im Finale von 2007 auch müde, die Brasilianerinnen hatten mehr Elo, in der ersten Hälfte haben sie uns an die Wand gespielt, so, what? So lange es nicht vorbei ist, wehren wir uns.

Oder, zurück zum Schach, gucken wir zu unseren Männern. Da rumpelt es zuweilen arg, dazu Pech, dazu die eine oder andere schiefgegangene Vorbereitung. Aber sie kämpfen alles aus, hier 80, da 100 Züge, versuchen, es zu erzwingen. Am Ende werden sie mit einem Ergebnis unter Plan dastehen. Keymer&Co. haben Anlass, sportlich unzufrieden zu sein, aber sie werden feststellen können, dass sie alles versucht haben, das verkorkste Turnier in ihre Richtung zu ziehen. Die Frauen können das nach diesem Samstag nicht von sich sagen.

Schachlich ist ein 1,5:2,5 gegen starke Polinnen im Rahmen. Der Attitüde nach war dieses eine indiskutable, enttäuschende Vorstellung. Nach zehn Tagen Schacholympia bekommen wir (auch die Fans!) endlich ein Match gegen ein Spitzenteam, und dann ergeben wir uns kampflos.

Messkirch ist damals mit Überlinger Hilfe aufgestiegen. Gönnen wir den Polinnen, dass ihnen der Ruhetag gegen Deutschland hilft, am Sonntag den Sprung aufs Podium zu schaffen.

Die Männer besiegen Argentinien 3:1 in einem Match, das ausnahmsweise normal gelaufen ist: vier unklare, umkämpfte Partien, und dann setzt sich irgendwann das Eloplus der stärkeren Mannschaft durch.
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Gerhard S.
Gerhard S.
23 Tage zuvor

Also ich komme zur selben Schlussfolgerung wie Schachfreund Conrad Schormann. Nicht nur wegen dem Spielverlauf und das Ergebnis gegen Polen, sondern auch wenn man sich die vorherigen Partien ansieht! Der Unterschied zu den Matches der Männer ist auffällig. Gerade Vincent Keymer hat sehr viel riskiert, was leider zweimal nicht gut gegangen ist und ihm persönlich viele Elopunkte gekostet hat. Aber ihm war das Ergebnis der Mannschaft anscheinend wichtiger als sein Elokonto! Und so muss es im Mannschaftswettbewerb auch sein!

Daniel
Daniel
23 Tage zuvor

Ich gebe Ihnen Recht das man in solchen Situationen niemals die Stellung Remis gibt, auch nicht im Amateurbereich. So ein Verhalten schadet der Mannschaft und ich finde es unmöglich. Aber die Männer zu “loben” finde ich schon etwas merkwürdig, schon das Remis von Mathias Bluebaum aus der dritten Runde vergessen Da hatte Keymer schon fast keine Zeit in schwieriger Stellung, Donschenko hatte mit Weiß auch nichrs rausgeholt….im Gegenteil sogar und Bluebaum hatte mit Schwarz gegen einen etwas schwächeren Gegner locker ausgeglichen. Niemals git man hier Remis, so ein Verhalten finde ich schon krass und egoistisch. Bitte das nächste mal bei… Weiterlesen »

Last edited 23 Tage zuvor by Daniel
Uwe Böhm
Uwe Böhm
23 Tage zuvor

Die Kritik im Artikel ist völlig überzogen. Die Verwendung des Begriffs kampflos ist respektlos. Um eine Partie zu gewinnen, muss man wenigstens eine Spielidee haben. Mit einfachem Hin- und Herziehen wird man niemanden erschrecken und unter Druck setzen. Das sind dann reine Alibizüge. Ich glaube nicht, dass einer von denen, die hier kritisieren, sich in einer der drei Partien eine Gewinnchance erarbeitet hätten. In der Stellung von Dinara ging gar nichts. Die halten doch schon engagjerte Jugendliche mit einer Elozahl von 1500 remis. Elisabeth hätte im 21. Zug eine Gewinnstellung erreichen können. Leider nicht gesehen, das war doch der eigentliche… Weiterlesen »

Thomas Richter
Thomas Richter
23 Tage zuvor

Man kann das auch umdrehen: im Amateurbereich wird – je nach Naturell der Spieler und Ambitionen der Mannschaft – eher bis zur letzten Patrone gekämpft als bei den Profis, dann aus zwei Gründen: 1) je niedriger das Niveau, desto mehr ist auch in ausgeglichenen (eventuell symmetrischen und/oder verflachten) Stellungen noch denkbar. Bei Deutschland-Polen dachten die drei anderen Damen vielleicht auch “wenn ich auch noch überziehe, liegen wir bereits 0-2 hinten”. 2) das sind womöglich eher echte Teams: Spieler, die sich regelmäßig am Vereinsabend sehen, vielleicht auch gemeinsam auf Turniere fahren, vielleicht auch mal außerschachlich etwas zusammen unternehmen. Bei der Olympiade… Weiterlesen »

Oliver
Oliver
22 Tage zuvor

Als Schach-Neuling verstehe ich das auch nicht ganz. Aber mich hat die Aussage im Vorfeld schon gewundert, dass Dinara an 1 gespielt hat, weil sie gut darin ist Remis zu halten. Sie hat dann auf den Sieg zum Auftakt 9 Remis folgen lassen und die letzte Runde verloren. Fast so, als hätte sie kein anderes Ziel gehabt, als mit 5,5 aus dem Turnier zu gehen.

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
23 Tage zuvor

Späßchen, aus dem Frust an der Seitenlinie heraus geboren. Textbausteine für ein wohlwollendes Arbeitszeugnis  für die deutschen Schachfrauen: * spielen regelmäßig auf internationaler Ebene mit * haben gegen Teams vom Kaliber Andorra oder die  Seychellen schon große Erfolge gefeiert * sind an guten Tagen sogar auf Augenhöhe mit Top-Teams * wenn es manchmal nicht ganz so gut läuft, behalten  sie trotzdem immer ihre guten Manieren, sagen Gardez,  Schadoub und remis * andere Länder haben wahre Kampfmaschinen, aber so ist es in Deutschland zum Glück nicht * wir wünschen den deutschen Schachfrauen alles nur erdenklich Gute auf ihren weiteren Wegen Vor… Weiterlesen »

Peter
Peter
23 Tage zuvor

Um das abermalige Versagen der Männer zu übertünchen lässt man sich über die Frauen aus. Irgendwo muss der Frust ja raus.
Die “Männer” haben Argentinien besiegt, wunderbar. Der Bundestrainer hat sein Buch durch und der Sportchef hat ein Jahr erfolgreich an der Taktik gefeilt, alle starken Verbände aus dem Weg zu gehen. Und Frau Lauterbach wird allen Teilnehmern Dank aussprechen(für nichts).

Dan
Dan
23 Tage zuvor

Sehr geehrter Herr Schormann,

die Vorwürfe gegenüber den drei Spielerinnen sind absurd. Sofern Sie sich mit ihrem Verein mal für eine DPMM qualifizieren und einen Mannschaftskampf an 4 Brettern gegen entsprechende Gegner spielen, werden Sie nachvollziehen können, dass so eine Eröffnungskatastrophe mit Weiß kaum noch zu korrigieren ist.

Schlagen Sie doch bitte konkrete Züge vor anstatt pauschal und schachlich unqualifiziert auf alle draufzuhauen.

Last edited 23 Tage zuvor by Dan