Judit Polgar, die stärkste Schachspielerin jemals, hat im New-in-Chess-Podcast vorgeschlagen, die Frauentitel im Schach abzuschaffen. „Warum haben wir Frauentitel?”, fragte Polgar. “Wäre es nicht viel besser, Titel ausschließlich nach Wertungszahl und Spielstärke zu vergeben, unabhängig vom Geschlecht?“ Ihr schweben geschlechtsneutrale Titel vor, die beispielsweise bei 2000 Elo beginnen könnten.
Polgar weiß, dass es sich bei der Trennung der Geschlechter im Schach um ein verankertes System handelt, seit Jahrzehnten etabliert. Frauentitel ebenso wie Frauenturniere gelten als Instrument, um Frauen im Schach zu fördern. Polgar stellt dieses System infrage. Ihr Vorschlag spiegelt ihre eigenen Erfahrungen auf dem Weg in die Weltspitze.
Als Ausnahmetalent mied Polgar Frauenwettbewerbe weitgehend, um sich in offenen Turnieren mit den besten Spielern der Welt zu messen. Polgar erkennt zwar die Bedeutung reiner Frauenwettbewerbe an und versteht Frauen, die sich nicht in der offenen Sektion messen wollen. Aber sie betont: „Es gibt keinen Grund, warum eine Frau nicht besser sein kann als Magnus Carlsen.“
Das deckt sich mit der Attitüde ihres Vaters Laszlo, der seinerzeit nicht wollte, dass seine Töchter sich auf Frauenwettbewerbe beschränken. “Frauen können intellektuell ähnliche Leistungen vollbringen wie Männer”, schrieb Laszlo Polgar in einer Zeit, in der so eine Aussage noch keine Selbstverständlichkeit war. “Schach ist eine intellektuelle Tätigkeit, also gilt dies auch für das Schachspiel.” Frauenwettbewerbe sah Vater Polgar als “Diskriminierung”. Judit Polgar als beste und wahrscheinlich begabteste der drei Polgar-Schwestern ist die einzige Frau in der Geschichte des Sports, die WM-Kandidatin war, eine Elozahl über 2700 erreichte und in die Top 10 der Welt vorgestoßen ist.
Legendär ist die Kehrtwende von Garry Kasparow. Anfangs sagte der Weltmeister über Judit: “Sie hat ein fantastisches Schachtalent, aber sie ist nun einmal eine Frau mit den Unzulänglichkeiten der weiblichen Psyche. Keine Frau kann einen langen Kampf durchhalten.” Nachdem er 2002 eine Schnellpartie gegen Polgar verloren hatte, revidierte Kasparow seine Meinung: “Die Polgars haben gezeigt, dass es keine Grenzen für ihre Begabung gibt – eine Idee, die viele männliche Spieler nicht akzeptieren wollten, bis sie kurzerhand von einer Zwölfjährigen mit Zöpfchen zerquetscht wurden.”
Dass ihre Heimatstadt Budapest in Kürze Gastgeber für die Schacholympiade sein wird, begeistert Polgar. Sie betont die einzigartige Atmosphäre, die den großen Nationenwettbewerb auszeichnet. „Die Olympiade ist das Treffen der Schachgemeinschaft, wo man alte Freunde trifft und neue Talente entdeckt.“ Sie hebt hervor, dass Budapest als Austragungsort ideal sei, da die Stadt nicht nur wunderschön ist, sondern ihrer Meinung nach auch alle notwendigen Voraussetzungen bietet, um ein solches Großereignis erfolgreich auszurichten. Polgar hofft, dass die Teilnehmer und Besucher die Stadt ebenso genießen werden wie sie selbst.
China, Indien und die USA zählt Polgar als stärkste Teams auf, betont aber, dass Überraschungen bei einer Olympiade immer möglich sind. „Die Olympiade ist unberechenbar, das macht sie so spannend“, erklärt sie. Im norwegischen Team, mit einem Eloschnitt von 2670 an 6 gesetzt, sieht sie Magnus Carlsen nicht nur als Spitzenspieler, auch als Mentor. „Magnus ist ein Teamplayer. Seine Präsenz macht alle Norweger stärker.“
Das „Global Chess Festival“, das Polgar jedes Jahr in Budapest organisiert, wird in diesem Jahr zeitgleich mit der Schacholympiade stattfinden. Polgar beschreibt das Festival als „inspirierendes Ereignis, das Kunst, Bildung und Schach auf einzigartige Weise kombiniert“. Der Veranstaltungsort, die Ungarische Nationalgalerie, biete eine wunderbare Kulisse für die zahlreichen Veranstaltungen unter dem Dach des Festivals. Dazu gehören Simultanschach, künstlerische Darbietungen und eine Buchsignierung mit den drei Polgar-Schwestern. Besonders stolz ist Polgar auf die Vielfalt und Kreativität, die das Festival auszeichnet: „Es ist viel mehr als nur ein Schachturnier. Es ist ein Ort, an dem Menschen aller Altersgruppen zusammenkommen und inspiriert werden.“
Im Gespräch mit Dirk Jan ten Geuzendam erinnert sich Polgar an ihre erste Olympiade 1988 in Thessaloniki, als sie zwölfjährig mit ihren Schwestern Zsofia (14) und Zsusza (19) das ungarische Damenteam bildete. Die Polgars zusammen mit Ildiko Madl (19) Sie waren damals das jüngste Team im Wettbewerb, und die Erwartungen an sie waren hoch. „Es war eine unglaubliche Erfahrung. Wir haben das seit mehr als 30 Jahren dominierende sowjetische Team besiegt“, erzählt Polgar. Sie selbst sorgte seinerzeit mit 12,5 Punkten aus 13 Partien und einer 2694-Performance für Aufmerksamkeit.
Dieser Sieg war nicht nur sportlich bedeutend, auch ein Wendepunkt im Leben der Familie Polgar, da er das Verhältnis zu den ungarischen Behörden erheblich verbesserte. Die Behörden, die zuvor skeptisch gegenüber dem unkonventionellen Ausbildungsweg der Polgar-Schwestern waren, mussten nun anerkennen, dass dieser Weg zum Erfolg führte. Als Anerkennung für ihre Leistung erhielt die Familie die höchste staatliche Auszeichnung Ungarns.
1994 spielte Judit im offenen Turnier für Ungarn. Sie besetzte das erste Brett der Mannschaft – vor den (ehemaligen) Weltklassespielern Lajos Portisch, Zoltan Ribli und Peter Leko. „Es war eine Umstellung, in einem reinen Männerteam zu spielen, aber es war auch eine enorme Motivation für mich“, sagt Polgar. Sie erzielte 6,5 Punkte aus 13 Partien.
Gegen Ende des Interviews spricht Polgar über ihre Erfahrungen mit jungen Schachspielerinnen, die sie als Mentorin unterstützt. Sie lobt die Disziplin und den Ehrgeiz dieser Spielerinnen und betont die Bedeutung familiärer Unterstützung für ihren Erfolg: „Die Eltern spielen eine entscheidende Rolle.”
(Titelfoto: Sarah Carmody/St. Louis Chess)
„Warum haben wir Frauentitel?”, fragte Polgar.“
Diese Frage ist recht einfach zu beantworten.
Weil dies so gewünscht wird.
Es wird niemand gezwungen einen Titel zu beantragen.
Eher im Gegenteil, dafür muss auch noch eine Gebühr entrichtet werden.
Warum soll etwas abgeschafft werden, was ausdrücklich gewünscht und gekauft wird?
Gleiches gilt für Frauen-, Jugend- und Seniorenturniere.
Diese finden statt, weil es eine hinreichende Anzahl von Teilnehmern gibt, die dies möchten, bzw. sich bei diesen Turnieren anmelden und teilnehmen.
Zum Thema Frauenschach liegt zur DSB-Hauptausschussversammlung ein Diskussionspapier mit vielen interessanten Vorschlägen bereit.
Es wird Zeit, dass man da etwas voranbringt.
Das Frauenschach sollte künftig stärker gefördert werden.
Da bin ich mal gespannt, ob da entsprechende Beschlüsse gefasst werden.
Schaut man mal nach, auf welchen Plätzen der deutschen DWZ-Rangliste von heute die besten einheimischen Spielerinnen stehen, sieht man Dinara Wagner auf Platz 54 und Elisabeth Paehtz auf Platz 57, d.h. immerhin unter den TOP 100.
Die drittbeste deutsche Spielerin, Tatjana Melamed, taucht aber erst auf Platz 229 auf, Hanna-Marie Klek als viertbeste auf Platz 252.
Dies zeigt deutlich, dass Frauen in der von Männern dominierten Welt des Schachs bei weitem nicht Schritt halten können. Daher ist es gut, dass es auch für Frauen und Mädels Titel gibt, die erobert werden wollen.
lékó péter als »(ehemaligen) weltklassespieler« für das jahr 1994 zu bezeichnen, ist gelinde gesagt »unglücklich« … er ist jahrgang 1979 und hatte in jenem jahr (1994) seinen grossmeistertitel erlangt. vorher nochmal korrekturlesen hilft. ;D
Wir leben im Zeitalter der Gleichberechtigung, Frauen machen dieselben Jobs wie Männer, wollen dasselbe Geld verdienen, erledigen dieselben intellektuellen Aufgaben wie Männer … dieser ganze Bereich Frauenschach und -titel ist völliger Unsinn und sowas von nicht mehr zeitgemäß
Judit Polgar, die ja nicht nur als Supergroßmeisterin, sondern auch als Kommentatorin und ihrem Global Chess Festival Maßstäbe gesetzt hat, hat hier einen hervorragenden Vorschlag gemacht. Natürlich werden sämtliche Bedenkenträger*innen und Besitzstandswahrer über die Idee herfallen, aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit. Bei allen intellektuellen Verrenkungen um die Gender-Leistungsgap im Schach zu rechtfertigen, haftet den Frauentiteln letztlich immer etwas Zweitklassiges an. Dazu kommt: Sobald der erste Mann sich gemäß dem neuen Gesetz zur Frau erklärt, einen lebenslang gültigen Frauentitel erhält und es sich nach einem Jahr vielleicht doch wieder anders überlegt, wird die Schachwelt ein weiteres Mal auf… Weiterlesen »
Ich habe die Turnierleitung nach Partien der Berliner Fraueneinzelmeisterschaft gefragt, denn die Turnierseite bot nur Fotos. “Die Frauen möchten nicht, dass ihre Partien veröffentlicht werden.” bekam ich als Antwort. Wenn Frauen sich keiner sportlichen Kritik stellen wollen, warum sollen sie gefördert werden?
Bis heute konnte mir niemand logisch erklären, warum bei der D-Kadereinteilung schon die jungen Mädchen geringere Kriterien erfüllen müssen als die Jungs. Schon die 10-jährigen Mädchen brauchen für eine Aufnahme in den D1 Kader eine 150 Punkte geringere DWZ als die Jungen. MMn wirkt das genau kontraproduktiv auf die Leistungsentwicklung. Welches Bild vermittelt man denn jungen Schachspielerinnen, wenn die schon von klein auf mitbekommen, sie müssen für eine Förderung weniger leisten als ein gleichalter Junge? Für das Selbstwertgefühl kann das jedenfalls nicht gut sein. Genau das setzt sich dann im Erwachsenenbereich fort und auch die Extra-Titel für Frauen spiegeln das… Weiterlesen »
Wenn es Frauen- und Männertitel gibt, dann müssten das zwei unterschiedliche Sportarten sein. Mit getrennten Turnieren und Männer dürften (außer im Mixed-Doppel – ähnlich dem Tennis) nicht gegen Frauen spielen.
Aber wenn es offene Turniere gibt (vor Jahren wurde in Österreich eine Frau Staatsmeister in der offenen Klasse – vor den Männern!), dann sind die unterschiedlichen Titel absurd. – Und genau den Fall haben wir momentan!
P.S.: Gottseidank hat Eli Pähtz dem GM-Titel geschafft, den nimmt ihr keiner mehr! 😉
Die interessante Frage ist doch warum sind Frauen weniger erfolgreich in diesem Spiel. Antwortet man politisch korrekt, es liege an der kleineren Anzahl. so ist ein Frauentitel genauso wenig gerechtfertigt wie einer für Rothaarige.