Ein Punkt noch bis zum großen Preis – Vincent Keymer: “Bin sehr glücklich.”

Rechenspiele gehören zum Schach, wir haben das zuletzt am Beispiel von Elisabeth Pähtz‘ denkbar knapp verpasster GM-Norm gesehen. Diese Rechnung vor der elften und letzten Runde des Grand Swiss am Sonntag ab 13 Uhr ist ganz einfach: Wenn Elisabeth Pähtz und Vincent Keymer gewinnen, sind sie für den Grand Prix und damit den weiteren WM-Zyklus 2021/22 qualifiziert. Pähtz bekäme im Falle eines Sieges außerdem den GM-Titel verliehen.

Liveübertragung (ab 13 Uhr):

auf chess.com
auf chess24 (offen) und Frauen

Alles drin, einmal noch den vollen Fokus: Vincent Keymer und Elisabeth Pähtz. | Fotos: Maria Emelianova/Anna Shtourman/FIDE

Ein zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags nicht endgültig zu lösendes (?) Rechenspiel besteht darin, ob Vincent Keymer und Elisabeth Pähtz dank guter Wertung ein Remis reichen könnte, um einen der sechs (offen) bzw. vier (Frauen) Grand-Prix-Plätze zu ergattern. Bei Vincent Keymer erscheint das unwahrscheinlich, bei Pähtz gut möglich.

Statistik-Fachmann Tai Pruce-Zimmerman taxiert Keymers Chance, sich für den Grand Prix zu qualifizieren, auf 63 Prozent. Nach seinen Berechnungen exisitiert sogar ein Universum, in dem Vincent Keymer sich direkt fürs Kandidatenturnier 2022 qualifiziert. Die Chance dafür: 0,22 Prozent.

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via @ChessNumbers

Unabhängig davon, ob Keymer und Pähtz den großen Preis gewinnen: Schon vor der letzten Runde steht fest, dass sie ein überaus starkes Turnier gespielt haben. Dass die nominelle Nummer 12 (Pähtz) und 65 (Keymer) in einem Weltklassefeld ganz oben mitmischen, war nicht zu erwarten. Dass beide bis zur letzten Runde die Chance bewahren, ihr Turnier mit einem der Hauptpreise zu krönen, auch nicht.

Pähtz verdankt ihre chancenreiche Ausgangsposition ihrem starken Start mit 5,5/7, Keymer verdankt sie seinem phänomenalen Endspurt mit drei Siegen in Folge.

Elisabeth Pähtz drohte in der zehnten Runde mit den schwarzen Steinen eine anhaltende Massage der Inderin Harika Dronavalli. Aber es gelang der deutschen Nummer eins, das scheinbar kritische Endspiel rasch verflachen und zum Remis austrudeln zu lassen:

Vincent Keymer machte derweil mit dem WM-Kandidaten 2020/21 Kirill Alekseenko kurzen Prozess:

https://youtu.be/gO7P8cn5oBs

Nach seinem Sieg hat Vincent während der Live-Übertragung der FIDE und chess.com ein kurzes Interview gegeben.

Wir haben mitgeschrieben, übersetzt, ein wenig redaktionell bearbeitet:

Vincent, wie lief die Partie?

Er hat die Ragozin-Variante gespielt, die wir auch in Biel auf dem Brett hatten. Damals hat es mich unerwartet getroffen, diesmal war ich vorbereitet. Trotzdem hat mich 8…h6 überrascht. Es bleibt aber die typische Art von Stellung, in der Schwarz rasch Gegenspiel finden muss.

Und?

Vielleicht hat er an einer Stelle Züge verwechselt oder seine Engine-Variante vergessen, jedenfalls wurde es bald unangenehm für Schwarz. Weiß hat klare Pläne, einfache Züge, Schwarz nicht. Was er versucht hat, war riskant, aber eigentlich keine schlechte Idee. Schwarz hätte gutes Spiel bekommen – wären da nicht die konkreten Probleme am Königsflügel gewesen.

6,5 Punkte aus 10 Partien, du spielst jetzt ganz oben mit. Wie bewertest du dein Turnier bisher?

Nach dem Sieg gleich in der zweiten Runde über Jeffery Xiong stand ich schon bei plus eins. Damit das Turnier abzuschließen, hätte ich als Erfolg gewertet. Dass ich nach der Niederlage gegen Nils Grandelius jetzt drei Partien am Stück gewonnen habe, macht mich sehr glücklich.

Keymers Sieg über Jeffery Xiong in der zweiten Runde.

Die Weltmeisterschaft steht bevor, Carlsen versus Nepomniachtchi. Was erwartest du?

Das wird ein knappes, umkämpftes Match. Ians guter Score gegen Magnus ist bekannt, außerdem hat er meines Erachtens starke Nerven. In so einem Match zählt ja nicht allein, wer der bessere Spieler ist. Die Form, das Mindset, die Vorbereitung, solche Dinge spielen eine Rolle.

Zu wem hältst du?

Zu keinem von beiden. Ich werde neutraler Zuschauer sein.


Auch anderswo laufen die Rechenschieber heiß. Hinsichtlich der direkten Qualifikation fürs Kandidatenturnier haben Fabiano Caruana und Alireza Firouzja die besten Karten, aber es sind, siehe oben, auch die Verfolger noch im Spiel. Die besten Aussichten unter den Außenseitern hat der Russe Grigoriy Oparin, der mit einem Sieg über Firouzja qualifiziert wäre. Details, Hintergründe: Klick aufs Bild.

(Dieser Beitrag ist im Lauf des Wochenendes mehrfach aktualisiert und erweitert worden.)

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Picard
Picard
2 Jahre zuvor

Platz 2 und 5 … wow! Sicher weit über dem, was selbst kühnste Optimisten erwartet haben … Gratulation!

Philipp
Philipp
2 Jahre zuvor

Mit 2601 dürfte es jetzt dennoch hinhauen mit der GM Norm für Pähtz.

Result: 7½ / 11
Average rating of the opponents: 2468

Performance rating: 2605
Performance rating (FIDE): 2601
Performance rating (linear): 2614
http://chess.kivij.info/performance_calculator.shtml

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

Ich hoffe, er hatte eine erholsame Nacht und kann für die Partie sein gesamtes Potential abrufen. Was ich ungern sehen würde, ist ein ereignisarmes Kurzremis. Für sowas ist er zu jung. Aber ich gehe davon aus, das sein Trainer ihn da richtig eingestellt hat.

Ich bin auf jeden Fall dabei und drück die Daumen für die letzte Runde.

Peter der 2.
2 Jahre zuvor

Nach dem Turnierbericht zur 10. Runde auf der FIDE-Seite hat Elisabeth die GM-Norm geschafft: “On board two Harika Dronavalli was up against Elisabeth Paehtz who needed a draw to complete her final norm for the GM title.”
Dann sind wir mal gespannt.

Peter
Peter
2 Jahre zuvor

Kann Vincent noch 2. werden und sich damit fürs Kandidatenturnier qualifizieren? Ich glaube, es langt maximal für Platz 3, oder?

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

Also Schach hat ja Probleme ausreichend Öffentlichkeit zu generieren, was wiederum für Sponsoren wichtig wäre, was wiederum für Schach wichtig wäre… usw. Und dann gucke ich mir die Übertragung von chess.com an und da sitzen zwei Moderatoren und spielen sich die Bälle zu. Anna Muzychuk und Stuart Conquest können in Verbindung miteinander über fast alle gespielten Systeme interessante Anekdoten aus der eigenen Spielpraxis erzählen. Alles sehr professionell. Mit Einspielern von Peter Doggers, der vorbereiteten Content liefern kann, um den Moderatoren eine Pause zu gönnen. Und dann wechsle ich zum deutschsprachigen Kanal von chess.com, wo ein Moderator in Trainingshose mit Hoody… Weiterlesen »

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

sportschau.de ist auch geil. “Schach – Pähtz trägt als erste Deutsche den Titel Großmeister”… und als visuelle Unterstützung packt man ein Foto bei… von Alexandra Kostenjuk.