Giftiges im Belgrader Gambit

Den spektakulärsten, faszinierendsten Zug beim Schachgipfel hat Carmen Voicu-Jagodzinsky gespielt. In ihrer Zweitrundenpartie des Frauen-Masters gegen die spätere Deutsche Masterin Hanna Marie Klek hatte Voicu-Jagodzinsky im Vierspringerspiel ein Belgrader Gambit zum Vortrag gebracht.

Nach zehn Zügen sah sie diese Stellung vor sich:

Sie überlegte 75 Sekunden, dann opferte sie eine Figur: 11.Lxh6!!

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Und wenn die Maschine noch so sehr auf 0,00 beharrt, nach menschlichen Maßstäben grenzt 11.Lxh6 an einen Gewinnzug. Weiß lässt g4, Tg1 und so weiter folgen, alle weißen Truppen sind gegen den entblößten schwarzen König aufgestellt. Weiß bekommt für die Figur riesigen Angriff, den eine Maschine überleben mag, ein Mensch eher nicht.

Hanna Marie Klek kam kam gegen Carmen Voicu-Jagodzinsky (3.v.r.) mit einem halben Punkt davon und sollte schließlich das Masters der Frauen mit 1,5 Punkten Vorsprung gewinnen. | Foto: Arne Jachmann/DSB

Nicht einmal Hanna Marie Klek. Die 26-jährige Geschäftsführerin des Schachzentrums Baden-Baden wehrte sich wacker, es gelang ihr sogar, die Damen vom Brett zu tauschen. Trotzdem hätte es schon neun Züge später um sie geschehen sein müssenkönnen:

Vor dem 20. Zug: Weiß zieht und gewinnt.

Hier verpasste Voicu-Jagodzinsky die Chance, ein großartigen Angriff, basierend auf einem faszinierenden Konzept, mit einem Mattfinale zu krönen. Wie? Die Antwort im Video:

Dieses Video aus Baden war kaum veröffentlicht, da begann in Westfalen Patrick Zelbels Mittagspause. Die verbrachte er damit zu schauen, was es Neues auf YouTube gibt.

Viel kann das nicht gewesen sein. Der 2450 Elopunkte schwere IM, der für Mülheim in der stärksten Liga der Welt spielt, schaute schließlich obiges Werk an, aufgenommen von einem Elo-Federgewicht aus der mutmaßlich schwächsten Liga der Welt.

Christian Braun. | via ChessBase

Logisch, dass diese schachliche Mittagspause für Zelbel nicht zu Erkenntnisgewinn führte. Was der Pressesprecher der Dortmunder Schachtage sah, kam ihm bekannt vor, speziell das Konzept, in diesem Abspiel des Belgrader Gambits auf h6 einen Läufer reinzuprügeln, gefolgt von einem trotz Minusfigur kaum zu parierenden Königsangriff. “Faszinierend” findet das auch Zelbel.

Natürlich erinnerte er sich daran, wo er diese Idee aufgeschnappt hatte: in der Analyseküche seines Schachkumpels Christian Braun nämlich. In der Schachszene, derjenigen im Internet vor allem, sind Zelbel und Braun auch als “Chessbuddies” bekannt. Die beiden IM waren im Mai 2020 zu Beginn der Pandemie unter den ersten deutschen Schachmeistern, die unter diesem Namen ein Twitch- und YouTube-Schachprogramm starteten, das unter anderem ein Einladungsturnier beinhaltete, den Chessbuddies-Cup.

Weil Braun viel zu bescheiden ist, darauf hinzuweisen, dass er derjenige war, der das Belgrader Gift 11.Lxh6!! ff. angerührt hat, übernahm sein Buddy Zelbel den Job. Er schickte eine Nachricht an den Bodensee, in der er darauf hinweist, wer die Chose erfunden hat. Wer es nicht glaubt, solle im ChessBase-Magazin 201 nachschauen, dort breite Braun diese und andere giftige Ideen aus.

Zelbel findet, Christian Braun gebühre zumindest “ein Teil des Ruhms”. Dem schließen wir uns an.

In Ausgabe 201 des ChessBase-Magazins findet sich ein Beitrag mit dem Namen “Serve and Volley: The Belgrade Gambit”. Darin präsentiert Christian Braun obige und andere Ideen, die den Schwarzen im Belgrader Gambit das Leben schwer machen sollen.

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Peter Pfaffenberger
Peter Pfaffenberger
2 Jahre zuvor

Hm, finde das sehr interessant. Aber warum kann in der ersten vorgestellten Variante die Dame nicht auf d3 schlagen? Der Springer von Weiß hängt doch nicht wirklich; da nach dem Abtausch … Sxg4, Lxg4 Dxg4, Sc7+ der Turm hängt. Oder was übersehe ich?