“Bewiesen, was ich noch draufhabe”: Andrea Hafenstein, die Kämpferin

Die Ärzte gaben ihr noch sechs Wochen. 20 Jahre ist das jetzt her, bei Andrea Hafenstein war Hautkrebs in einer seltenen und selten bösartigen Form diagnostiziert worden. Nicht der erste Schicksalsschlag. Einen Hirntumor hatte sie besiegt, die Folgen eines Schlaganfalls überwunden. Nun suchte sie das das Merkelzell-Karzinom heim.

Andrea Hafenstein hat auch diesen Kampf angenommen, sich mittlerweile 33 Operationen unterzogen und die Prognose von einst mit ihrer Lust aufs Leben widerlegt. Die Skala des im Schach unlängst eingeführten Kampfgeist-Index’ würde die 59-Jährige mit Leichtigkeit sprengen.

Ende Juli führte sie der Kampf gegen den Hautkrebs in die Klinik nach Magdeburg, ein wegen Corona und Operationen am Kiefer mehrfach verschobener Termin, der sich nun zufällig mit dem Schachgipfel überschnitt.

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Einer der beiden Pokale, die Andrea Hafenstein beim Schachgipfel gewann. | Foto: DSB

Dort nahm Andrea Hafenstein einen weiteren Kampf auf, den am Schachbrett, und, wie es ihre Art ist, sie gewann. Die Dresdnerin wurde Deutsche Blitzmeisterin Ü50 und holte obendrein den Vizetitel beim Schnellschach. Die Ärzte im Krankenhaus staunten nicht schlecht, als Hafenstein ihnen die beiden Pokale präsentierte: Krebspatienten, die den Kontrolltermin nutzen, um en passant Deutsche Meisterschaften zu gewinnen, sind eher nicht die Regel.

„Das Schachspiel hat mir immer wieder das Leben gerettet“, sagt Hafenstein. Am Brett schärft sie ihre Sinne, taucht in die Welt der 64 Felder ein, ihre chronischen Schmerzen und die Krämpfe rücken in den Hintergrund, sie ist abgelenkt vom Feind in ihrem Körper. Schach ist Hafenstein ein ebensolcher Anker wie ihre Familie, die ihr Halt gibt, wenn das Schicksal wieder Nackenschläge niederprasseln lässt.

So vertieft Andrea Hafenstein am Schachbrett sein kann, so offen begegnet sie ihren Mitmenschen. Und das steckt an. Beim Semperopernball in Dresden wünschte sie am Rande des roten Teppichs vor dem Einlass dem Schauspieler Samuel Koch einen schönen Abend. Koch erkannte sie als regelmäßigen Gast seiner Lesungen. Er lud sie am folgenden Tag zu einer Partie Schach bei sich im Hotel ein.

Mit dem Schauspieler Samuel Koch traf sich Andrea in Dresden auf eine Partie Schach. Auch er hat ein schweres Schicksal zu ertragen.
Andrea Hafenstein mit Samuel Koch beim freundschaftlich-schachlichen Austausch. | Foto: privat

Koch ist seit seinem schweren „Wetten, dass“-Unfall querschnittsgelähmt. „Wir sind beide einmal durch die Hölle gegangen. Deshalb hatten wir sofort einen Draht zueinander“, sagt Hafenstein. Im Hotel spielten die beiden eine freundschaftliche Partie, nebenbei plauderten sie über Gott, die Welt, auch die des Schachs, und tauschten Erfahrungen aus, wie sich ein Schicksal wie das ihre bewältigen lässt.

Simultanspieler Wolfgang Uhlmann gratuliert der 14-jährigen Andrea Hafenstein zum Gewinn. Anfangs war der einstige WM-Kandidat ihr Vorbild, später beruhte diese außergewöhnliche Wertschätzung auf Gegenseitigkeit. | Foto: privat
Zufällige Begegnung in Dresden, wenige Wochen vor Uhlmanns Tod. | Foto: privat

Schon als Sechsjährige hat Hafenstein das königliche Spiel für sich entdeckt. 14 war sie, als in Wittenberg, wo sie zur Schule ging, Großmeister Wolfgang Uhlmann simultan gegen die Schachschüler antrat. Eine Partie verlor er – gegen Andrea Hafenstein. Jahre später sollten sich die Wege der beiden erneut kreuzen.

„Wolfgang Uhlmann war immer mein Vorbild“, sagt Andrea Hafenstein, die bei der Senioren-Mannschafts-WM in Radebeul erfuhr, dass diese Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruht. In Kenntnis ihrer Krankheitsgeschichte erklärte ihr der Großmeister, sie sei sein Vorbild. „Ein Ritterschlag“, sagt Hafenstein. „Dafür bin ich sehr dankbar.”

Als Therapie im Kampf gegen den Hirntumor hatte Hafenstein ein Buch geschrieben, „Schach dem Tumor“. Darin hatte Uhlmann diese Worte verewigt: „Betrachten Sie Schach als Lebenselixier.“

Und das tut sie. Zwei Tage vor der Tumor-OP 1998 wurde sie Zweite bei den Bezirksmeisterschaften. Sechs Wochen danach Neunte bei der Deutschen Meisterschaft.

Ein Autogramm von Boris Spassky. | Foto: privat

Die einstige Bundesligaspielerin ist heute nicht mehr ganz so ambitioniert, in erster Linie geht es ihr um die Freude an der Sache, ums Eintauchen in ihre Leidenschaft. Auch jetzt, mit zwei Pokalen aus Magdeburg, beschreibt Hafenstein nicht die Titel als größten Gewinn: „Wichtiger ist mir, dass ich mir und anderen beweisen konnte, was ich noch draufhabe. Das macht mich stolz.“

Andrea Hafensteins Schachbuch über ihren Kampf gegen den Hirntumor. Ein zweites Buch ist in Arbeit.

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