Schacholympiade (5): die Frauen überrollen Schweden, die Männer indisponiert

Sogar mit der 0:4-Höchststrafe mussten die Schwedinnen zwischenzeitlich rechnen. Am Ende einer überzeugenden Vorstellung wurde es ein 3,5:0,5 für die deutschen Frauen, die nach 5 von 11 Runden mit 8:2 Punkten Anschluss an die Tabellenspitze bei der Schacholympiade halten. Die Männer erlitten beim 1,5:2,5 gegen Montenegro einen neuerlichen Rückschlag. Sie stehen jetzt bei 6:4 Punkten. Am Montag kämpfen die Frauen gegen Italien um die Chance, ganz oben mitzumischen. Die Männer treffen auf Venezuela.

via DSB/FIDE

Josefine Heinemann und Lara Schulze sorgten gegen die Schwedinnen früh für die Vorentscheidung. Heinemann lockte die schwedische Dame in eine Falle. Den taktischen Abschluss absolvierte sie tadellos. Die knapp 450.000 Follower von Anna Cramling auf Twitch sahen, kommentiert von Großmeister Jon-Ludvig Hammer, aus der Eröffnung heraus eine chancenlose Niederlage ihrer Vorturnerin.

Josefine Heinemann zeigt ihren Sieg zum 1:0 für Deutschland.

Heinemann hat damit, wie sie hinterher berichtete, ab sofort eine positive Bilanz gegen Familie Cramling. 1:1 stehe es zwischen ihr und Mama Pia, 0,5:0,5 zwischen ihr und Papa Juan Manuel. Nun ein Sieg gegen die Tochter. Nach der Partie erlebte die Deutsche, dass sie ihre Gegnerin zwar schachlich weggefegt hatte, nicht aber deren Popularität. In der “Mixed Zone” (in Ermangelung eines besseren Begriffs, wahrscheinlich heißt sie anders) wollten die Fans Fotos und die Organisatoren ein Interview mit Anna. Diejenige, die Anna besiegt hatte, stand in erster Linie daneben.

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Lara Schulze setzte gegen den im Zentrum steckengebliebenen schwedischen König konsequent zentrale Nadelstiche. Zwar gelang es ihrer Gegnerin anfangs, Linien geschlossen zu halten, aber um den Preis weiterer Schwächen. Als Weiß schließlich doch noch zur Rochade kam, blieb ihr nichts anderes, als ins offene Feld zu rochieren. Gegen die folgende Invasion schwarzer Truppen war es vier Züge später vorbei. “Einfach” sei das gewesen, sagte Schulze hinterher.

Die Nationalmannschaft im Kampf gegen die schwedischen Frauen. | Foto: Matthias Wolf/DSB

Mit einem 2:0 im Rücken kämpften an den ersten beiden Brettern Dinara Wagner und Elisabeth Pähtz um mehr. Pähtz mit den schwarzen Steinen vergrößerte nach und nach ihren Vorteil. Auch hier sah sich schließlich ein entblößter Monarch einer Invasion gegenüber, die sich nur um den Preis zweier Bauern abwehren ließ. Das Endspiel mit zwei Mehrbauern war schnell gewonnen.

Pia Cramling rettete sich gegen Dinara Wagner in ein Remis.

Am ersten Brett spielte Dinara Wagner gegen Schachlegende Pia Cramling ihre wahrscheinlich beste Partie des Turniers – leider nur 26 Züge lang. Nachdem sie der Schwedin die Eröffnung, ein Abtausch-Damengambit, abgenommen hatte, mündete das Geschehen in ein günstiges Endspiel, das wie gemacht dafür schien, mit einen halben Punkt in der Tasche einen ganzen herauszukneten. Wagner übersah eine taktische Rettung Cramlings, mit der die 61-Jährige ihren Isolani loswurde und zugleich den weißen Druck abschüttelte – remis.

Stimmung gut (jetzt nicht mehr), Zusammenhalt gut, sportliche Klasse vorhanden, aber in Budapest nicht zu sehen. Was stimmt da nicht? | Foto: Matthias Wolf

Beim dramatischen 1,5:2,5 gegen die 2500er-Truppe aus Litauen in der dritten Runde konnten die Männer noch Pech anführen. Solches hatten sie beim 1,5:2,5 gegen die 2500er-Truppe aus Montenegro in der fünften Runde nicht. Zu sehen war Unvermögen einer Mannschaft, die an jedem Brett klar favorisiert war, aber an keinem in die Nähe von Gewinnchancen kam. Auch über ein 1:3 hätten sich die Deutschen nicht beschweren können.

Vom Anspruch der Männer, sich mit den besten Mannschaften der Welt zumindest zu messen, sich womöglich unter diesen zu etablieren, ist das Team in der Form von Budapest weit entfernt. Es bedarf jetzt einer Serie von zwei, besser drei Siegen, um im Lauf des Wettbewerbs noch in den Genuss eines Duells mit einer höher gesetzten Mannschaft zu kommen. Das Minimalziel Rang acht, das dem deutschen Leistungsschach wahrscheinlich erhöhte Fördermittel bescheren würde, ist in dieser Verfassung nicht zu erreichen.

Der rabenschwarze Sonntag begann mit einem Remisschluss am Brett von Matthias Blübaum, den nur Matthias Blübaum erklären kann. Mit Schwarz war er bequem aus dem Caro-Kann gekommen, auf dem Brett war eine Zugwiederholung möglich, nicht alternativlos, und Blübaum nahm sie. Aber da war Keymer schon in Schwierigkeiten geraten und Kollars Bauernsturm gegen den schwarzen König ins Stocken, während bei Frederik Svane nicht viel los war.

Kurzremis in einer Konstellation, in der Weiterspielen angezeigt war.

Der Sizilianisch-Experte Dmitrij Kollars vermochte dem Sizilianer seines Gegenspielers überhaupt nicht beizukommen. Und es sah nicht wie die Frucht tiefer Vorbereitung oder ausgefuchsten Denkens aus, was Schwarz anstellte, eher thematisch und schematisch, ganz so, wie es der Schach-Volksmund vorgibt: “Einem Angriff am Flügel begegnen wir am besten mit einem Gegenschlag im Zentrum.” Nach 13.g4 bedurfte es keines Nikita Petrovs, um 13…d5! aufs Brett zu stellen.

Tolle Alternativen zu 14.e5 hat Weiß nicht, aber nach 14.e5 Sd7 kommt er nicht weiter. Es droht schon …Lc5 nebst …Lxe3 und …d4. Während Weiß am Königsflügel nicht so bald Fortschritte machen wird, steht der schwarze Sturm am Damenflügel unmittelbar bevor.

Auch hier endete die Partie mit einer Zugwiederholung, eine taktische, die Petrov gerne angeboten hatte, da er davon ausgehen konnte, dass Montenegro an eins gewinnt und an vier nicht verliert. In dieser Konstellation stand Kollars vor der Wahl, eine deutlich schlechtere Stellung weiterzuspielen oder den halben Punkt zu nehmen. Er nahm ihn.

Nach 13 Zügen hatte Denis Kadric (r.) gegen Vincent Keymer mehr Zeit auf der Uhr als zu Partiebeginn. | Foto: Maria Emelianova

Wenig später war es um Vincent Keymers König geschehen. Auch das eine Niederlage, die nur Vincent Keymer erklären kann. Zur Niederlage gegen Litauen ließ sich noch feststellen, dass Keymer auf einen bestens präparierten Gegner in starker Form traf, der nach gut 30 Zügen hochklassigen Schachs einen taktischen Aussetzer des Deutschen nutzte. Ärgerlich, aber passiert. Gegen Montenegro war es schon in der Eröffnung nicht mehr hochklassig, mutmaßlich war es auch die Vorbereitung nicht.

Diese italienische Stellung hatte Denis Kadric schon vor zwei Jahren in Ledyard/Connecticut mit den weißen Steinen auf dem Brett, insofern kann sie nicht überraschend gekommen sein. Trotzdem stand an dieser Stelle zwei Jahre später in Budapest Kadrics Uhr bei 1:33, Keymers bei 0:56. Kadrics Gegner spielte seinerzeit das typische 15…Se7 nebst …Sg6 mit leichtem weißen Vorteil. Schachfreund Maschine plädiert stattdessen für 15…De6 (oft nebst …d5) und bewertet die Chose mit, Überraschung, 0,00. Vincent Keymer verfiel nach vierminütigem Nachdenken auf 15…Sh7 (nebst …Sg5), und von da an ging es mit seiner Stellung nur noch in eine Richtung, bergab.

In der Folge gelang Denis Kadric unter Mithilfe Keymers eine Glanzpartie mit einer ganzen Reihe von sehenswerten taktischen Höhepunkten. Nach 35 Zügen stand ein Matt in 5 auf dem Brett, Keymer gab sich geschlagen, und Montenegro führte 2:1.

Opfer, Opfer, Matt – sehenswert! In Montenegro werde sie von dieser Partie noch lange erzählen, in Deutschland werden sie sie schnell vergessen wollen.

Die vage Hoffnung von Fans und Mitspielern, dass es Frederik Svane gelingt, seine 100-Prozent-Bilanz zu halten und dem Team zumindest einen Punkt zu retten, verflüchtigte sich schnell. Zwar hatte sich Svane einen kleinen strukturellen Vorteil herausgespielt, aber er bekam gegen die aktive Verteidigung seines Gegners nie Druck auf dessen isolierte Damenflügelbauern. Die Partie verflachte. Nach 45 Zügen war die Punkteteilung besiegelt.

Diesmal war für Frederik Svane nicht mehr als ein halber Punkt drin. | Foto: Maria Emelianova

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Roland Wuerl
Roland Wuerl
2 Tage zuvor

Die Niederlage tut natürlich weh, finde es aber gut, dass die Berichterstattung auch einmal kritische Töne einschlägt. Zu Keymer: Mit Gustafson und Rasmus Svane sind 2 Eröffnungsexperten im Team und trotzdem gerät er gegen einen Gegner mit 2500+ auf unbekanntes Terrain. Was ist hier los?

trackback

[…] am Vortag war es Josefine Heinemann, die die Frauen in Front brachte. In der Caro-Kann-Modevariante mit […]

Peter
Peter
2 Tage zuvor

Nach Paris geht der Olympia-Fluch für deutschland weiter.
Oder ist es “der Fluch des Geldes”, hatten wir ja schon mal. Wird die Mannschaf nicht gewertschäzt.
Ist der Troß zu groß , Quatscht jeder dazwischen mit guten Ratschlägen.
Allerdings die Platzierung spielt eh keine Rolle.
Ob Top 25 (eh Lächerlich) oder Top45…..! wen interessiert es, wir haben noch die Frauen.
Glückwunsch an die Frauen für das abliefern von guten Leistungen am Band.

Gerhard S.
Gerhard S.
2 Tage zuvor

Im Fußball würden einige Fans sagen „ die Mannschaft hätte gegen den Trainer gespielt.“