In der vierten Runde der Schacholympiade haben sich die deutschen Männer mit einem 3,5:0,5 über die Mongolei zurückgemeldet. Die Frauen kamen über ein 2:2 gegen Argentinien nicht hinaus. Beide Mannschaften stehen mit 6:2 Punkten in den Top 25 des Feldes. In der fünften Runde spielen die Männer gegen das an 36 gesetzte Montenegro, die Frauen gegen Familie CramlingSchweden, an 30 gesetzt.
Würde hier Schach in der Mongolei ausführlich beleuchtet, es gäbe viel zu erzählen. Ein wichtiger Aspekt wäre, dass die Mongolei den FIDE-Gleichstellungsindex anführt. Fast 40 Prozent der elogewerteten Spieler des mongolischen Verbands sind Frauen. Der Verband vergibt bei nationalen Turnieren gleiche Preisgelder an Männer und Frauen. Als Anreiz, Titel zu erwerben oder in die Nationalmannschaft zu kommen, hat die Mongolei staatliche Boni und Gehälter eingeführt.
Ein Ergebnis dieses Vorgehens lässt sich an der Tabelle der Schacholympiade 2024 der Frauen ablesen. Die an 18 gesetzte Mongolei steht nach einem Viertrundensieg über Spanien mit 8:0 Punkten ganz vorne.
Zur Wirklichkeit des mongolischen Schachs gehört auch, dass die an 63 gesetzte Nationalmannschaft der Männer im offenen Wettbewerb in die obere Hälfte des Feldes gehört, aber nicht viel mehr als das. Gegen eine Top-Nation wie Deutschland, so lange sie rumpelfrei spielt, sind die Mongolen krasser Außenseiter. Das 3,5:0,5 vom Samstag, das auch ein 4:0 hätte sein können, spiegelt die Kräfteverhältnisse.
Bundestrainer Jan Gustafsson, von seiner Erkältung genesen, ließ diesmal Matthias Blübaum pausieren. Zum zweiten Mal schickte er den ebenfalls genesenen Vincent Keymer ans Brett, auf dass er sich vom Schock des Vortages befreit.
Ganz leicht schien ihm das anfangs nicht zu fallen. “Diese Stellung hätte er auch eher haben können”, stellte auf Schachdeutschland-TV Alexander Krastev fest, als Keymer ausgangs der Eröffnung noch eine gute halbe Stunde auf der Uhr geblieben war, ohne Außergewöhnliches angestellt zu haben – anscheinend. Wer weiß schon, räumte Krastev ein, welche tiefen Gedanken sich ein 2730-Spieler macht, bevor er einen Zug aufs Brett stellt.
Allemal war Keymer wie am Vortag als Erster fertig, aber diesmal andersherum. Ausgangs der Eröffnung hatte sein Gegner ihm erlaubt, einen gefährlichen Königsangriff zu inszenieren. Selbiger brachte schnell die Entscheidung.
Frederik Svane stellte auf 2:0. Er hatte seinen Gegner vor eine unangenehme Wahl gestellt: Entweder ist ein Bauer weg oder die weißen Felder rund um deinen König. Der Mongole entschied sich fürs materielle Gleichgewicht und sah sich bald mit tödlichen Mattdrohungen konfrontiert. Nach seinem ausnahmsweise nicht in einem langen Endspiel herausgekneten neuerlichen Sieg steht Svane nun bei 4/4.
Am zweiten Brett setzte Dmitrij Kollars im dritten Versuch seine spielerische Überlegenheit in einen vollen Punkt um. Nach den ersten beiden unglücklich gelaufenen Versuchen nun sein erster Sieg im Turnier, ein glatter: Eröffnung gewonnen, im frühen Mittelspiel Druck aufgebaut, und dann kam auch schon der Fehler:
Alexander Donchenkos Schach gegen nominell unterlegene Gegner ist oft gekennzeichnet durch eine Zockerkomponente. Im festen Glauben an die eigene Überlegenheit sowie die Fehlbarkeit des Gegenübers nimmt sich Donchenko gegen 2400er und 2500er Sachen heraus, die den Balken schwanken lassen und die er sich gegen 2700er nicht erlauben würde. Oft funktioniert das. Gelegentlich führt es zu einem Lauf, der sein Schach unwiderstehlich erscheinen lässt. Manchmal funktioniert es nicht, und dann fällt Donchenko in ein Eloloch, bevor der nächste Lauf ihn wieder in die Höhe trägt.
Eines ist sicher. Donchenko spielt immer alles auf Gewinn, und wenn die Partie zu verflachen droht, dann gießt er Öl rein, so lange es sich irgendwie rechtfertigen lässt. In Budapest wünschen sich jetzt Trainer und Mitspieler, dass er einen dieser Läufe erwischt. Ein Donchenko in Galaform wäre ein drittes/viertes Brett, wie es kaum eine andere Nation hat. Er könnte die Mannschaft durchs Turnier tragen.
Gegen die Mongolei schwankte der Balken, mehr als am Vortag, und es hätte, wie am Vortag, beinahe funktioniert. Der wilde Sizilianer mündete in ein Turmendspiel, das der Computer als gewonnen ausweist, das sich aber als praktisch trickreich erwies. Wieder, wie am Vortag, fehlte nur das Finish, sodass am Ende ein halber statt eines ganzen Punkts stand.
Auch übers argentinische Schach ließe sich an dieser Stelle einiges erzählen, über Buenos Aires 1939, über Miguel Najdorf und Faustino Oro oder über den ehemaligen argentinischen Top-Großmeister Alan Pichot. Der ist 2022 im Streit und begleitet von schweren Anschuldigungen vom argentinischen Verband und speziell dessen Präsidenten Mario Petrucci geschieden. Pichot spielt jetzt für Spanien. Dort scheint er erst recht zeigen zu wollen, was er kann. Mit frederiksvanehaften 4/4 hat Pichot zum 8:0-Start seiner Spanier beigetragen.
Mit Candela Belén Francisco Guecamburu hat Argentninien sogar eine Weltmeisterin, die Junioren-Weltmeisterin 2023, die in der Nationalmannschaft das erste Brett bekleidet. Gegen Dinara Wagner half ihr der Weltmeistertitel wenig. Wagner kam mit Schwarz ohne Probleme aus der Eröffnung, stand am Ende sogar ein wenig besser, aber es war nicht mehr genug los, dass sich daraus Gewinnchancen hätten kreieren lassen.
Nebenan war Elisabeth Pähtz nach dem Abtausch-Slawen vom Vortag nach einer Stellung mit mehr Leben. Ihr katalanisches Gambit führte zu anhaltendem weißen Druck gegen den schwarzen Damenflügel, unter dem ihre Gegenspielerin kollabierte. Eine feine Taktik, die aus dem Minus- einen Mehrbauern machte, und eine weitere, die ins trivial gewonnene Endspiel führte, machten den Deckel drauf.
Fehlte noch ein Punkt zum Mannschaftssieg. Für den kam Josefine Heinemann am dritten Brett eher nicht infrage. Ähnlich wie Wagner hatte sie sich mit Schwarz einen symbolischen Vorteil erkämpft, aber mehr als ein halber Punkt war nicht drin. Im Damenendspiel mit drei vs. drei Bauern am Königsflügel schlossen die Kontrahentinnen Frieden.
Hätte Hanna Marie Klek gewusst, dass ein halber Punkt reicht, sie hätte wahrscheinlich eine weniger scharfe, taktische Partie gespielt. Im Mittelspiel entschied sie sich für eine Abwicklung die ihr eine Mehrqualität einbrachte, aber auch einen allein im Feld stehenden König, der es nun mit dem generischen Läuferpaar zu tun bekommen sollte.
Objektiv war das in Ordnung, aber praktisch haarig zu verteidigen. Mit der Zeitkontrolle übersah Klek, dass am Ende der ersehnten Vereinfachungsabwicklung ein Zweizüger inklusive zweier langer Damenzüge entscheidend Material verliert.
Dass wir unter den Top 25(Männer) sind, ist das gut oder der perspektivische Trend.
Zur Mongolei: Wie werden eigentlich die staatlichen Boni und Gehälter finanziert? Sie können dabei wohl vergleichsweise bescheiden ausfallen, da Lebenshaltungskosten vermutlich auch eher niedrig sind. Wenn man davon ausgeht, dass Männer und Frauen im Prinzip dasselbe Potential haben (und Frauen das vielleicht auch deshalb nicht umsetzen, weil deutlich weniger für ein Dasein als Schachprofi ausreicht), dann ist Erreichen der (erweiterten) Weltspitze bei den Damen einfacher. Siehe China (lange bevor sie auch bei den Männern Weltklassespieler hatten), siehe Georgien, siehe Kasachstan – warum es beim Nachbarn Usbekistan nicht der Fall ist, gute Frage. Dabei konnte die Mongolei auch im offenen Turnier… Weiterlesen »