Das Meister-Master-Durcheinander

Kann sich Steffi Arnhold in der nationalen Spitze etablieren? Und Lepo Coco Zhou? Dora Peglau? Wie schlägt sich Vadim Petrovskiy, neue Nummer drei der Jugendjahrgänge, im Kandidatenturnier für die Deutsche Meisterschaft 2025? Kratzen Marius Deuer und Leonardo Costa einmal mehr an der GM-Norm?

Für Feinschmecker ist einiges drin bei den Deutschen Meisterschaften in Ruit, die weitgehend ohne die besten deutschen Schachspielerinnen und Schachspieler über die Bühne gehen. Von den Nationalmannschaften, die bei der Schacholympiade im September Deutschland vertreten, sind in der Spotschule Ruit zwei Akteure mit von der Partie.

Noch ist sie nicht durch, aber WFM Tetyana Kostak aus Stuttgart, Elo 2094, ist auf dem Weg, als Deutsche Meisterin 2024 in die Schachgeschichte einzugehen. Im vergangenen Jahr verlieh die DSJ der Gründerin und Vorsitzenden von “Strateg Stuttgart” den goldenen Chesso für ihre Integrationsarbeit. | Foto: Katharina Reinecke

Dass sich die Besten rar machen, war abzusehen. Gälte es, hinsichtlich Termin, Austragungsort, Preisgeldstruktur eine Deutsche Meisterschaft zu entwickeln, die für Profis möglichst wenig attraktiv ist, der Wettbewerb sähe etwa so aus wie der, den der DSB und die Württemberger jetzt zwischen Dortmund und Schacholympia in den Sommerkalender gequetscht haben – ohne Absprache mit denen, die spielen sollen, die aber gerade im Sommer ohnehin Termine jonglieren.

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Der neuerliche Appell aus dem Leistungssport, die nationale Meisterschaft nicht in die heiße Turnierphase zu legen, ist einmal mehr verhallt. Potenzielle Teilnehmer:innen erfuhren Ort und Termin der Deutschen Meisterschaften 2024 erst, als beides feststand. Dann hagelte es Absagen. Bis die Felder für Ruit zusammengestellt waren, vergingen nach dem Versenden der Einladungen zwei Monate.

„Die Deutsche Meisterschaft sollte nicht in einer Sporthalle stattfinden. Der Schachbund hat sich nicht wirklich bemüht, einen guten Austragungsort zu finden“, sagt Alexander Donchenko, der stattdessen ein Open in Spanien spielt. „Katastrophe, nicht angebracht“, hatte schon im vergangenen Jahr Lara Schulze zu Spielsaal und Unterbringung angemerkt. Trotzdem bildet sie jetzt mit Dmitrij Kollars das Duo der Nationalspieler, die den Wettbewerb zum Warmspielen für Schacholympia nutzen. Von den acht, die fernbleiben, hat sich neben Donchenko nur Elisabeth Pähtz zum Grund geäußert. Sie werde erst wieder Deutsche Meisterschaft spielen, wenn der Preisfonds für die Frauen dem für die Männer angeglichen ist.

Die Auftritte der Spielerinnen und Spieler im Stream sind auf DSB-YouTube als separate Videos zu finden. Hier zeigt Lara Schule, die im “Masters” führt, einen Sieg trotz vergessener Eröffnungsvorbereitung.

Im finanziell schwierigsten Jahr nach der Pleite ist es allemal eine gute Nachricht, dass die Titelkämpfe überhaupt stattfinden. Das fast ausschließlich mit Sparen beschäftigte DSB-Präsidium hat gerne auf das Angebot aus Württemberg zurückgegriffen, den Schachtross einmal mehr in der Sportschule Ruit einzuquartieren – die kostengünstigste Lösung.

Der innerhalb seiner Landesgrenzen tüchtige Württemberger Verband mit seinem Präsidenten Carsten Karthaus pflegt auf Bundesebene den Betrieb mit sinnlosen, oft widersinnigen Anträgen zu behindern. Nach Rohrkrepierern wie „Bundesrat bilden“ und „Präsidium aufblasen“ hat Karthaus der Liste seiner Schachverwaltungsbeschäftigungsprojekte jetzt „Vereinswechselgebühr einführen“ hinzugefügt. Seit einigen Wochen investiert tatsächlich eine Arbeitsgruppe von Funktionären Lebenszeit und Schaffenskraft in dieses Projekt, das niemand braucht, das kaum jemand will und das sich, falls es bis dahin kommt, als nicht umsetzbar erweisen wird.

Hallo, Württemberg?! „Deutsche Meisterschaft reparieren“ wäre ein sinnvolles Projekt gewesen, zumal für denjenigen, der sie ausrichtet. Dass 2024 die Männer einen Deutschen Meister ermitteln und die Frauen eine Masterin, versteht niemand – inklusive der württembergischen Lokalpresse, die frohlockte, 2024 werde ein „echter“ Meister gekürt, inklusive Artur Jussupow, der jetzt in Dortmund zum Videopodcast den „Deutschen Meister“ empfing. Wer ein Gespräch Jussupows mit Vitaly Kunin erwartete, sah stattdessen Dennis Wagner. Aber der ist Master. Meister ist Kunin.

Abseits des Durcheinanders, das sich niemandem erklären lässt: Dass es überhaupt eine Debatte gibt, ob die Deutsche Meisterschaft der Wettbewerb der besten Deutschen sein sollte, ist schon schwer zu begreifen. Aber es wäre nicht das organisierte deutsche Schach, wäre es nicht schlimmer. Tatsächlich findet eine Mehrheit der Fachleute im DSB-Kongress unverändert, dass die Deutschen Meisterschaften ein Amateurturnier sein sollten.

Zwar hat im vergangenen Jahr der Antrag, aus dem „Masters“ der Herren die „Deutsche Meisterschaft“ zu machen, eine knappe Mehrheit bekommen, aber das beruhte nicht auf dem Anliegen der Delegierten, dem Schachsport und dessen wichtigstem nationalen Titel zu dienen. Das Votum des Kongresses war nach Informationen dieser Seite die Folge eines Ultimatums. Müde vom Argumentieren gegen Schachverwaltungsbeton, hatte ein dem Sport verpflichteter Funktionär aus Nordrhein-Westfalen seinen Landsleuten gedroht zurückzutreten, sollten sie nicht pro Meisterschaft entscheiden. Nur deswegen ging im Kongress der Antrag mit den Stimmen aus NRW durch.

Insgeheim möchten auch die Leute vom Landesverband NRW mit seinem Chef Ralf Chadt-Rausch weiter die Gewinner ihrer Landesmeisterschaft direkt zur Deutschen schicken. Das Anliegen wäre nachvollziehbar, berechtigt vielleicht, wären bei der Landesmeisterschaft die besten Spieler aus NRW vertreten. Stattdessen ist speziell die Meisterschaft von Nordrhein-Westfalen ein Witz. Der größte deutsche Landesverband (Kontostand etwa 500.000 Euro) spart sich das Ausrichten einer Meisterschaft. Stattdessen bettet er sie in ein Open ein, dotiert mit einem Preisgeld, das für die Stadtmeisterschaft von Harsewinkel angemessen wäre.

Obwohl das Schach auf nationaler Ebene die Württemberger Verkomplizierer, die nordrhein-westfälischen Blockierer und andere Spezialisten durchschleppen muss, ist 2023 der erste Schritt gelungen. Zumindest eine der beiden Deutschen Meisterschaften ist jetzt wirklich eine. Bezeichnend fürs Tempo im Schach ist, dass bislang nicht einmal der Versuch des nächsten Schrittes stattgefunden hat. Schritt zwei wäre, die Deutsche Meisterschaft der Frauen zu einer zu machen, die diesen Namen verdient. Endlich wäre das Meister-Master-Durcheinander beendet.

Es bedarf Fachwissens, um zu begreifen, worum es in diesen Tagen in Ruit geht.

Im Kongress 2024 hielt es niemand für notwendig, den dazugehörigen Antrag zu stellen. Stattdessen ging es um Mitgliederverwaltungsordnung und Beitragserhöhung. Der Mitte Januar in der Bundesspielkommission von Bundesturnierdirektor Michael Rütten eingebrachte Hinweis, dem Kongressbeschluss zur offenen Deutschen Meisterschaft solle einer für die Frauenmeisterschaft folgen, war versickert.

Dem Vernehmen nach wird jetzt hinter den Kulissen für den Hauptausschuss im Oktober der Antrag vorbereitet, Einheitlichkeit herzustellen: das System der Deutschen Meisterschaften der Frauen dem der Männer angleichen. Ob es dafür eine Mehrheit gibt, erscheint alles andere als ausgemacht. Wie immer es ausgehen mag, die Deutschen Meisterschaften sind ein neuerliches Beispiel dafür, dass die beiden höchsten Gremien im deutschen Schach Entwicklung eher behindern, anstatt sie anzustoßen und voranzutreiben.

Gerhard Schröder als Schachbotschafter, Gazprom als DSB-Sponsor? Aus dem, was Arkady Dvorkovich und Ullrich Krause 2019 besprachen, wurde zum Glück nichts. Aber die Idee eines zentralen Schachfests, die Krause in Frankreich in der Praxis besichtigte, verfing.

Selbst wenn es 2025 zwei richtige Deutsche Meisterschaften geben sollte, wäre das immer noch nur ein Anfang, weit entfernt vom Ziel, das einst Ullrich Krause anpeilte: die Deutsche Meisterschaft in ein zentrales Schachfest einbetten, sodass alle Schachspielerinnen und Schachspieler die nationalen Titelkämpfe aus nächster Nähe erleben. Nach französischem Vorbild schwebte Krause ein zentrales Schachfest für alle vor, ein Gipfel mit allen Meisterschaften an einem Ort, so groß, dass er als Produkt vermarktbar ist, so schön, dass sich sogar die Senioren gerne einbringen, anstatt ein separates Ding zu machen und sich mehrheitlich Dirk Jordan als Veranstalter zurückzuwünschen.

Ein Gipfel 2025 erscheint sogar möglich. Berlin und Brandenburg loten aus, ob sie einen Meisterschaftsgipfel stemmen können. Wenn ja – selbst das wäre ausbaufähig. In einem noch nicht veröffentlichten Gastbeitrag für diese Seite schwebt Thorsten Cmiel vor, die nationalen Meisterschaften mit einem Sahnehäubchen zu garnieren, einem Weltklasseturnier. Das wäre wahrscheinlich der einfachste Weg, den besten deutschen Schachspieler Vincent Keymer fürs zentrale deutsche Schachfest zu gewinnen.

In der Wirklichkeit des Augusts 2024 gab es, bevor die Partien begannen, erst einmal einen Konflikt darum, wer kommentiert – und wer zuständig ist zu bestimmen, wer kommentiert. Angesichts der Abwesenheit der meisten Nationalspieler:innen hatte Nadja Jussupow vorgeschwebt, dass DSB-Streamerin Katharina Reinecke sie während der Runden abwechselnd als Kommentatoren zuschaltet. Mit Elisabeth Pähtz und Dinara Wagner hatte sie eine entsprechende Vereinbarung getroffen. „Ich fand die Idee fantastisch und habe versucht, sie mit allen Mitteln durchzusetzen“, sagt Jussupow auf Anfrage.

Pähtz berichtet, die Absage fürs Kommentieren habe sie kurzfristig in Dortmund erreicht. DSB-Sprecher Matthias Wolf sagt auf Anfrage, der Verband habe zwei Kommentatoren vor Ort haben wollen und „sehr früh konkrete Vorstellungen gehabt, wie die Kommentierung ablaufen soll“. Diese Vorstellungen waren offenbar weder der parallel ihre Pläne verfolgenden Jussupow bekannt, noch führten sie auf Seiten des DSB zur zeitigen Verpflichtung eines Sidekicks für Reinecke. Erst mit Beginn der Meisterschaften erfuhr die Öffentlichkeit, dass Klaus Bischoff kommentiert.

Nun betonen beim DSB alle Beteiligten zuvorderst, dass a) Bischoffs Gattin und Präsidentin Ingrid Lauterbach mit dieser Entscheidung nichts zu tun hat und dass b) Jussupows Planungen für den Stream aus Ruit nicht autorisiert waren. Zumindest mit vertretbarem Aufwand war nicht herauszufinden, wer die Entscheidung getroffen hat, wie aus „sehr frühen konkreten Plänen“ eine Last-Minute-Verpflichtung wurde, und, vielleicht am wichtigsten, warum Leute sich nicht miteinander abstimmen, damit Konflikte gar nicht erst entstehen. Auch das kein neues Phänomen im organisierten Schach.

Dmitrij Kollars über die Schlange bei der Dopingkontrolle und seinen glücklichen Sieg über Roven Vogel.

Sportlich führen in beiden Spitzenturnieren die beiden Nationalspieler, aber der Ausgang ist offen. In der Deutschen Meisterschaft ist die deutsche Nummer zwei Dmitrij Kollars zwar nicht mit seinem Schach zufrieden, hat sich mit 4/6 aber einen halben Punkt Vorsprung vor der Konkurrenz erarbeitet. Niclas Huschenbeth, Dennis Wagner und Rasmus Svane sind ihm auf den Fersen.

Im Masters agiert Lara Schulze vergleichsweise überzeugender. Aber trotz 5/6 hat sie bislang nicht mehr erreicht, als Teil des Spitzentrios zu sein, das den Turniersieg unter sich ausmachen wird. Fiona Sieber und Kateryna Dolzhykova mit jeweils 4,5 Punkten lauern auf einen Ausrutscher der Tabellenführerin.

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Kommentierender
Kommentierender
17 Tage zuvor

Ich bin dafür, den Preisfonds des Frauenturniers dem der Männer anzugleichen, sobald der Elo-Schnitt der Frauen dem der Männer entspricht und nicht mehr 300 Punkte darunter liegt. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass Frau Pähtz im Turnier von niemandem vermisst wird.

Was macht die Kommentatorentätigkeit so begehrt, gibt es dafür ein attraktives Honorar? Das hätte im Artikel dargestellt werden sollen.

Klaus Bischoff
Klaus Bischoff
17 Tage zuvor

Ach Schormann, vom Bodensee bis nach Ruit ist doch keine Weltreise. Sie hätten sich das Turnier doch einmal vor Ort ansehen können und sich ein Bild machen. Entdeckt hätten Sie einen großen, schönen und wunderbar kühlen Turniersaal. Gut gelaunte Teilnehmer hätten Ihnen versichert wie schön Sie die Sportschule finden. Aber Sie vermischen berechtigte aber verjährte Vorwürfe aus dem letzten Jahr (Lara Schulze) mit schlecht gelaunter Kritik (Donchenko) aus diesem Jahr. Und das nur um eine möglichst negative Stimmung zu erzeugen! Schachjournalismus bedeutet doch nicht, daß man ausschliesslich negative Facetten hervorheben und aufblasen muss.Eine Veranstaltung vom Schreibtisch aus niederzumachen finde ich… Weiterlesen »

Christoph Kriminski
Christoph Kriminski
16 Tage zuvor

Ich höre mir sehr gerne die Kommentierung von Klaus Bischoff an, da er es durch seine Anekdoten schafft die Zeit in der keine neuen Züge passieren, interessant zu überbrücken. Außerdem kann er auch mich als Vereinsspieler ohne richtiges Eröffnungswissen mitzunehmen. Gut ist, dass es zwei Kommentatoren gibt und Klaus nicht wie früher mit sich selbst reden muss. Hier kann man natürlich auch gerne an den unterschiedlichen Tagen wechseln. Elisabeth Pähtz habe ich Mal zusammen mit Steve Berger auf chess.com kommentieren gesehen, Dinara bisher noch nie gesehen, wäre aber sicherlich auch interessant. Auch Vincent Keymar schafft es trotz jungem Alter und… Weiterlesen »

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Peter
Peter
16 Tage zuvor

Interessant wäre eine Zentrale vermarktung, mit öffentlicher Ausschreibung für bestimte Rechte.

Gerhard S.
Gerhard S.
17 Tage zuvor

Ich finde auch, dass wenn ein Teilnehmerfeld bei den Frauen von den Elo-Werten vergleichbar ist mit dem Teilnehmerfeld in der „offenen Klasse“(von Männern zu sprechen wäre ja irreführend!), dann sollte man auch gleiche Preisgelder zahlen!