Rapid- und Blitz-Weltmeisterschaft 2024 in New York

Die Schnell- und Blitzschachweltmeisterschaft 2024 wird zum ersten Mal in der Geschichte des Wettbewerbs in New York ausgetragen. Das gab jetzt die FIDE zum Abschluss ihrer Unternehmensweltmeisterschaft ebendort bekannt. Den genauen Ort des Geschehens in der letzten Dezemberwoche will der Weltverband demnächst offenbaren. Das Turnier mit fast allen führenden Elitegroßmeistern der Welt werde für zahlende Besucher zugänglich sein, heißt es.

Die Vergabe nach New York bedeutet eine Niederlage für Österreich. Der gerade wiedergewählte ÖSB-Präsident Michael Stöttinger hatte gehofft, den Wettbewerb im Jubiläumsjahr der 2024 gegründeten FIDE ins Alpenland zu holen. Stöttinger nimmt es sportlich. „Ein großer Erfolg für die FIDE und alle Schachfans“, schrieb er auf Instagram zur Vergabe nach New York. „Ich werde zuschauen, lernen und mein Bestes versuchen, den Wettbewerb so früh wie möglich nach Österreich zu bringen.“ Nach Möglichkeit schon 2025. Laut Stöttinger hängt es vor allem an der Finanzierung.

Noch ein Jubiläum: Nicht nur feiert die FIDE in diesem Jahr 100. Geburtstag. Auch die Austragung des legendären Turniers zu New York 1924 (mit zwei Laskers!) jährt sich zum 100. Mal.

Neben der verlockenden Gelegenheit, im prestigeträchtigen Big Apple eine WM auszurichten, sprach aus Sicht der FIDE noch ein anderes Jubiläum für New York. 1924 war die Stadt Schauplatz des legendären Großmeisterturniers mit den besten Spielern jener Zeit, darunter drei Weltmeister (Lasker, Capablanca, Aljechin). New York 1924 gilt als eines der „Turniere des Jahrhunderts“.

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In New York fand 1886 das erste WM-Match überhaupt statt: Wilhelm Steinitz traf auf Johannes Zukertort, mit dem er viele Jahre um die schachliche Wahrheit gestritten hatte. Schließlich führte dieser Streit zu einem Kampf am Brett, der den Auftakt der bald 150-jährigen Schach-WM-Tradition bilden sollte. 1995 und 2016 war die Acht-Millionen-Einwohner-Stadt wieder Schauplatz von WM-Kämpfen, einer davon abseits der FIDE. In der 107. Etage des Südturms des World Trade Centers rangen 1995 Garri Kasparow und Herausforderer Viswanathan Anand um den Titel. Das Match in der Zeit getrennter Titel hatte die „Professional Chess Association“ (PCA) organisiert. Die sollte wenig später ihren Hauptsponsor Intel verlieren und sich auflösen.

2016 war der Titel längst wieder vereint. In seinem knappsten WM-Match verteidigte Magnus Carlsen im Fulton Market Building die 2013 gegen Anand gewonnene Weltmeisterschaft gegen Sergey Karjakin. Trotz einer Niederlage in der achten von zwölf Matchpartien rettete sich Carlsen in ein 6:6 über die reguläre Distanz. Im Schnellschach-Stechen setzte sich der Norweger durch.

Letztlich nicht im Trump-Turm, stattdessen im Fulton Market Building trafen Magnus Carlsen und Sergey Karjakin 2016 zum WM-Match aufeinander. Bei dieser Gelegenheit vertiefte am Randes des Schachmatchs in New York eine Delegation aus dem Kreml, angeführt von Putin-Sprecher Dmitry Peskov, den Kontakt zum Trump-Team. Nachzulesen ist das im nach Sonderermittler Robert Mueller benannten “Mueller Report” von 2019 über die russische Beeinflussung der US-Wahl 2016. Chess.com-Redakteur Peter Doggers hat im April 2019 den Mueller-Report nach dem Begriff “chess” durchsucht – und einiges gefunden.

2024 dürfte nicht nur die Schachtradition und die Strahlkraft der Metropole für New York gesprochen haben. Auch Schachsponsor Timur Turlov mit seiner Freedom Holding wird sich für New York eingesetzt haben. Dort ist die Nasdaq-Börse angesiedelt, an der die Aktien der Freedom Holding Corp. seit fünf Jahren gehandelt werden.

Als Schachenthusiast und -sponsor hat Turlov Ende 2022 die Bühne betreten. Die FIDE machte seine zur Freedom Holding gehörende „Freedom Finance“ zum Hauptsponsor der Schnell- und Blitzschach-WM 2022 in Almaty, Kasachstan. Der Wettbewerb markierte den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen, die der Weltverband seitdem in kurzer Folge in Kasachstan ausgetragen hat. Turlov wurde dort im Januar 2023 Präsident des nationalen Schachverbands.

Timur Turlov (M.) mit Emil Sutovsky, FIDE-Geschäftsführer, und Michael Stöttinger, Präsident des Österreichischen Verbands, bei einem Diplomatenturnier zum “Tag des Schachs” 2023 in Wien. Stöttinger hofft, möglichst bald die Rapid- und Blitz-WM in Österreich auszurichten. | via Emil Sutovsky/LinkedIn

Turlov war zur Stelle, als die FIDE für das WM-Match Ding vs. Nepomniachtchi 2023 einen Ausrichter suchte, der einen veritablen Preisfonds aufstellen kann. Das Match fand in Kasachstan statt, die zwei Millionen Preisgeld sollen in erster Linie von Freedom stammen. Seitdem hat die Freedom Holding weitere große FIDE-Veranstaltungen gesponsert, darunter der World Cup 2023 in Baku (Aserbaidschan), der Grand Prix der Frauen 2023 in Nikosia (Zypern, der kurzfristig aus Polen abgezogen wurde, mutmaßlich, um russischen Spielerinnen die Teilnahme zu ermöglichen), die WM der Schulmannschaften in Aktau (Kasachstan) oder jetzt die Unternehmensweltmeisterschaft 2024 in New York (an der unter anderem ein Team der US-Dependance der Deutschen Bank teilnahm).

Binnen kurzer Zeit ist das einst russische, jetzt kasachische Finanzunternehmen zum mit Abstand größten Sponsor des Schach-Weltverbands geworden. Gemäß der FIDE-Mitteilung wird Turlovs Unternehmensgruppe auch den Wettbewerb Ende 2024 in New York zumindest anteilig unterstützen.

Ein guter Aspekt an der zeitigen Vergabe nach New York ist die Planungssicherheit für Spielerinnen und Spieler, die in vergangenen Jahren oft erst kurz vorher erfuhren, wo der Wettbewerb stattfindet. Während die FIDE in eigener Sache schwärmt (“eagerly anticipated”, “most exciting”, “unforgettable experience”…), hat Carlsen-Coach und FIDE-Kritiker Peter Heine Nielsen auf X/Twitter sogleich darauf hingewiesen, dass die Konstellation nicht unproblematisch ist. Nielsen sieht Schach einmal mehr als Instrument für „Sportswashing“: Ein Turnier in den USA, gesponsert von einem Unternehmen, gegen das eine Untersuchung des US-Justizministeriums läuft, mit einem Chef, der auf der ukrainischen Sanktionsliste steht.

Offen sind unter anderem diese Fragen: Was hält eigentlich der US-Verband davon? Wird FIDE-Chef Arkady Dvorkovich einreisen dürfen oder nach dem Kandidatenturnier 2024 in Kanada einer weiteren Großveranstaltung seines Verbands fernbleiben müssen? Der angesehene US-Schachschiedsrichter Chris Bird vermutet, die Tür für solche Veranstaltungen in den USA sei offen, nachdem die Behörden bislang kein Interesse an der von Freedom gesponserten Unternehmens-WM gezeigt hätten.

Zwischen chess.com-Chef Daniel Rensch und Nielsen entspann sich dieser Dialog:

Unabhängig vom Schachengagement des Unternehmens macht in Deutschland derzeit der Freedom-Ableger „Freedom24“ Schlagzeilen – mit außergewöhnlich hohen Zinsen auf angelegtes Festgeld (über 8 Prozent im besten Fall). Die Verbraucherzentrale rate davon ab, schreibt die FAZ (für Abonnenten). Das Handelsblatt warnt nicht explizit, erwähnt aber „Nachteile“, „Verlustrisiko“ und „Schattenseiten“.

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