Cheating auf heiligem Grund

Mit der Masse an offenen Turnieren in den Sommerwochen steigt naturgemäß die Zahl der Cheatingfälle. Etwa zeitgleich mit dem Betrugsfall beim Open in Vlissingen versuchte gut 70 Kilometer entfernt beim Open in Gent ein belgischer Amateur, mit Handy-Hilfe besser zu spielen, als er ist. Der Vereinsspieler, Elo 2062, wurde während seiner laufenden Achtrundenpartie aus dem Verkehr gezogen.

Das Open in Gent ist womöglich das einzige überhaupt, in dem Teile des Felds in einer Kirche spielen. Eigentlich steht das ehrwürdige Gemäuer für Besinnung, Integrität und Ehrlichkeit, aber selbst so ein heiliger Ort scheint Betrüger nicht von ihren Machenschaften abzuhalten. | Foto: Gent Open 2024

Auf den Fall aufmerksam gemacht hat einmal mehr der ukrainisch-israelische Großmeister Arthur Kogan, der seit Jahren eine Facebookgruppe mit mehr als 3000 Mitgliedern betreibt, die “Cheating im Schach” zum Thema hat. Dort postete Cheating-Detektiv Kogan die Schlussstellung der Achtrundenpartie, in der der Verdächtige mit Schwarz gegen GM Lev Gutman deutlich besser stand, aber offenbar verloren hatte.

Bei einem Betrugsfall in Benidorm vor zwei Jahren gehörte Anti-Cheating-Detektiv Arthur Kogan zu denjenigen, die die entscheidenden Hinweise gaben.

Nach und nach offenbarte sich, dass der Verdächtige längst die Aufmerksamkeit der Organisatoren geweckt hatte – nicht nur wegen außergewöhnlich guter Ergebnisse, auch wegen seines Verhaltens. Während der Partie gegen Gutman hatte er sich wenig am Brett aufgehalten. Als ihn der Turnierleiter mit Handy vor dem Turniersaal fand, endete sein Wettbewerb. Der Fall wird jetzt den belgischen Verband beschäftigen.

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Kogan macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass es für Veranstalter gilt, die rechte Balance zwischen starkem Anti-Cheating und dem möglichen Stören ehrlicher Sportler zu finden:

“Wo liegt das nötige Gleichgewicht für Organisatoren und Schiedsrichter, damit sich die Spieler vor Betrug sicherer fühlen und die wachsende Paranoia vermieden wird, aber gleichzeitig die ehrlichen Spieler nicht gestört werden? Wie können wir sicherstellen, dass die Anti-Betrugs-Protokolle wirksam sind, ohne eine Atmosphäre des Misstrauens und des Unbehagens für ehrliche Spieler zu schaffen? Es ist ein heikles Gleichgewicht, das wohlüberlegte Maßnahmen und einen ständigen Dialog erfordert.”

Der Großmeister verweist auf einen Beitrag von IM Maximilan Lu zur amerikanischen Kontinentalmeisterschaft. Dort wurde Lu Zeuge von Sicherheitsvorkehrungen, die er in dieser Konsequenz beim Schach nie gesehen hatte. Auszug aus Lus Bericht, der auf der Website des US-Verbands erschienen ist:

“…In der gleichen Runde wurde ich Zeuge eines merkwürdigen Rituals im (abgesperrten) Badezimmer. Soweit ich erkennen konnte, versuchte einer der Schiedsrichter, unter den Badezimmerspiegel zu greifen, um nach verdächtigen Geräten zu suchen, und ging dann sogar auf die Knie, um unter dem Waschbecken zu suchen. “Okay”, dachte ich, “das passt zur Routine, wenn ich bedenke, was hier bisher gegen Betrug getan worden ist.”

In der Tat waren die Anti-Cheating-Maßnahmen ein heißes Diskussionsthema unter den Spielern. Sie gehörten zu den stärksten Anti-Cheating-Maßnahmen, die ich je bei einem Turnier erlebt habe. Vor jeder Runde zogen sich zwei einreihige Schlangen durch den Spielbereich im ersten Stock. Vier Schiedsrichter prüften jeden Spieler mit einem tragbaren Metalldetektor am ganzen Körper: Beine, Arme, Gesäß, Schuhe, sogar Gegenstände wie eine Wasserflasche! Es fühlte sich gründlicher an als die Sicherheitskontrollen am Flughafen. Zwei Schiedsrichter waren vor den Toiletten postiert. Wer von dort kam und den Spielsaal wieder betreten wollte, wurde vorher gescannt.

Damit nicht genug. Während jeder Runde ging ein Schiedsrichter mit einem Antennen- und Kameradetektor durch jede Reihe des Turniersaals. Nach der Runde gestand mir der Schiedsrichter, dass sein Kameradetektor einem doppelten Zweck diente: Er prüfte damit sein Hotelzimmer auf versteckte Überwachungsgeräte!

Bei meinem nächsten Besuch auf der Toilette traute ich meinen Augen nicht: Der mit Antennen ausgestattete Schiedsrichter kniete in der Kabine mit dem Signal- und Kameradetektor, um den Wassertank sowie den Bereich unter und um die Toilette herum auf etwaige Geräte zu überprüfen. Das ist doch absurd! Während ich dieses Spektakel neugierig beobachtete, kam ein anderer Spieler mit gerunzelter Stirn herein und warf mir einen verwirrten Blick zu. Ich brach in Gelächter aus und stürzte hinaus.

Später bekam ich deswegen schlechtes Gewissen. Eigentlich hätte ich dem Schiedsrichter applaudieren sollen, weil er für höchste Fair-Play-Standards gesorgt hat, und ich würde diese Aufgabe sicher nicht übernehmen wollen. Aber ich bin dankbar, dass sie jemand übernommen hat…”

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Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
14 Tage zuvor

Wenn Cheater entdeckt wurden und werden, dann von den anderen Spielern und speziell vom Gegenspieler. All die Anticheating Ausbildung von Schiris ist nichts anderes als Aktionismus.

Thomas Richter
Thomas Richter
17 Tage zuvor

Betrifft amerikanische Kontinentalmeisterschaft: Im Dezember 2022 gab es eine Mail von Jürgen Kohlstädt “im Auftrag des Anti-Cheating-Referenten des DSB, Herrn Klaus Deventer, möchte ich an alle aktiven Schiedsrichter im Bereich des DSB das angehängte Schreiben senden.” Inhalt des Schreibens “Anti-Cheatingmaßnahmen in den Schach-Bundesligen” – im bcc-Verteiler dabei auch Leute wie ich, die maximal Oberliga pfeifen dürfen. Zum Inhalt – 11 Punkte auf 5 Seiten – sollte ich wohl nicht zu viel sagen (potentielle Cheater können hier auch mitlesen), aber auszugsweise Punkt 5: 5. Wichtig ist, vor der Runde und mehrmals auch während der Runde den Toilettenbereich zu kontrollieren. Es gibt… Weiterlesen »

Last edited 17 Tage zuvor by Thomas Richter
Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
17 Tage zuvor

Ein schlauer Cheater nutzt ein gebrauchtes Handy, was er im Fall der Entdeckung sausen läßt. Es gibt leistungsstarke gebrauchte Smartphons für unter 50 Euro.
Zum guten Equipment können auch Kompressionsstrümpfe gehören, wie sie zum Beispiel Rausis trug, als er auf einer Toilette enttarnt wurde. In solche Strümpfe läßt sich ein Smartphon stabil einschieben.

Bei hinreichender krimineller Energie haben Cheater viele Möglichkeiten.