Schacholympiade (2): zweimal 3:1 für Deutschland

Niemand kann Eugenio Torre vorwerfen, dass er nicht lange genug versucht hätte, die Flamme des philippinischen Schachs am Leben zu halten. 23 Schacholympiaden von 1970 bis 2016 hat er für die Philippinen gespielt, nur 2008 ausgesetzt. Und er hat diese Serie für die Ewigkeit mit einem Glanzlicht beendet: 10 Punkte aus 11 Partien mit einer Performance von 2836 erzielte er zum Abschluss 2016 im stolzen Alter von 64 Jahren.

Wer schon ein bisschen länger Schach guckt, muss sich noch daran gewöhnen, dass in der Reihe der Philippinos nicht Eugenio Torre sitzt. | Foto: Andreas Kontokanis CC BY-SA 2.0

Theoretisch hat der einstige WM-Kandidat lange genug durchgehalten, um den Staffelstab an den neuen Stern des philippinischen Schachs zu übergeben. Aber Ausnahmetalent Wesley So kehrte seiner Heimat den Rücken, um in und für Sinquefieldland zu spielen. Und so setzte sich auf den Philippinen der Niedergang des Schachs, das Eugenio Torre in den 80er-Jahren zum Volkssport gemacht hatte, unaufhaltsam fort. Jetzt müssen sie mit 2400ern und 2300ern Schacholympia bestreiten.

Allemal waren die Philippinos in der zweiten Runde der Schacholympiade ein stärkerer Gegner für Kollars&Co. als tags zuvor die Schachfreunde aus Madagaskar, aber mit einem Eloschnitt von gut 2400 längst nicht gut genug, um ernsthaft nach Zählbarem zu greifen. Wenn auch individuell nicht ohne Wackler, so stand der Sieg der deutschen Nationalmannschaft doch nie in Frage. Im schlechtesten Fall wäre es 2,5:1,5 ausgegangen, aber es sprang sogar ein 3:1 heraus.

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So wie den philippinischen Männern jemand vom Kaliber eines Eugenio Torre fehlte, so hätten die belgischen Damen gegen Deutschland jemand vom Kaliber einer Annmarie Mütsch gebrauchen können. Die deutsche U16-Weltmeisterin von 2018 ist zwar im Frühjahr zum belgischen Verband gewechselt, führt mit 2290 Elo die belgische Rangliste an, aber so lange niemand Transfer- und Wechselgebühr zahlt, wird sie sich bis zum September 2025 gedulden müssen, um für ihre neue Schachheimat zu spielen.

Bis dahin müssen es die Stammkräfte richten, und die sind, bei allem Respekt, nicht gut genug, um gegen Pähtz&Co. ernsthaft nach Zählbarem zu greifen. Auch hier ging es nicht ohne individuelle Wackler der Favoritinnen über die Bühne. Es wären Szenarien konstruierbar gewesen, in denen es arg knapp wird, aber in der Gesamtheit war der Sieg ungefährdet und verdient.

Zieht Jan Gustafsson jetzt die Keymer-Karte? | Foto: Matthias Wolf/DSB

Zweimal 3:1 also, zwei Pflichtsiege, und nun wird es in Budapest noch einmal etwas schwieriger für die Mannschaften aus Németország. Die Frauen werden in der dritten Runde gegen die an 28 gesetzten Sloweninnen in etwas höherem Maße favorisiert sein als die Männer gegen die an 29 gesetzten Litauer. Bundestrainer Jan Gustafsson wird sehr ernsthaft erwägen, gegen diese 2550+-Großmeistertruppe erstmals die Keymer-Karte zu ziehen, um einem frühen Punktverlust vorzubeugen.

Schacholympiade 2022, dritte Runde: Verlieren, das passiert. Aber doch nicht gegen Österreich!

Gewiss will er nicht wieder erleben, was 2022 in Chennai in der dritten Runde geschah, die Schmach von Chennai nämlich: Verloren, und das auch noch, ausgerechnet!, gegen Österreich. Nicht nur wegen der Drittrundenschlappe von 2022 werden die Deutschen gewarnt sein, auch wegen des 2022er-Ergebnisses ihrer Gegner vom September 2024. Litauen, vor zwei Jahren an 35 gesetzt, beendete die Schacholympiade in Indien überraschend auf Rang zehn, neun Plätze vor der Mannschaft aus जर्मनी.

Bislang, und das bleibt hoffentlich so, können die deutschen Männer sich darauf verlassen, dass sich ihre Orientierungsschwierigkeiten auf das Olympia-Areal abseits der Bretter beschränken. Matthias Blübaum und Alexander Donchenko fällt es offenbar nicht ganz leicht, vom Spielsaal zum Hotel zu finden, aber auf dem Brett wissen diese beiden, wo es langgeht. Dank des vom Gießen-Bielefelder Duo zügig herausgespielten 2:0 stand gegen die Philippinen nur die Höhe des Siegs infrage, nicht der Sieg an sich.

Wichtig ist auf’m Brett. Und da weiß Alexander Donchenko, wo es langgeht.

Frederik Svane fügt der Olympiageschichte der Nationalmannschaft ein seit Jahrhunderten beliebtes Element des Storytellings hinzu, das des Körpertauschs, den wir aus zahllosen Romanen, Filmen und TV-Serien kennen. Und jetzt auch vom Schach. Der junge Mann am vierten Brett mag ja wie Frederik Svane aussehen. Nun hat er zum zweiten Mal sechs Stunden gesessen, um mit Hingabe aus einer Rasmus-Svane-Stellung einen vollen Punkt zu pressen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei diesem Spieler nicht um Frederik Svane handelt.

Sieht aus wie Frederik Svane, spielt aber nicht so. | Foto: Mark Livshitz/FIDE

Und Dmitrij Kollars? Der ist ein Riese und schachlich in einer ganz anderen Liga unterwegs als seine beiden Erstrundengegner. Dass er trotzdem aus seinen ersten beiden Partien am ersten Brett für Deutschland nur einen halben Punkt holt, wird ihn am meisten wurmen, aber nicht das Vertrauen von Mitspielern und Trainer erschüttern. Alle haben gesehen, Kollars hat die Partien dominiert, die Gegenspieler beherrscht.

Erst den Faden verloren, und am Ende ist sogar der ganze Punkt weg. Wer kennt es nicht. | Foto: Mark Livshitz/FIDE

Bei den Frauen hat jetzt einmal mehr Elisabeth Pähtz die Geschichte vom Rücktritt erzählt. So lange sie nur davon redet, ist es ja gut, und selbst wenn sie es umsetzen sollte, dann übernimmt eben Dinara Wagner. Als Backup hätte Wagner immer noch Josefine Heinemann im Rücken, die ganz oben einspringen kann, ohne dass das ein Problem wäre, egal, wer auf der anderen Seite des Brettes sitzt. Die Frage ist, wer kommt danach.

Lara Schulze und Georgios Souleidis haben Spaß. | Foto: Matthias Wolf/DSB

Die Antwort könnte “Lara Schulze” lauten. Zugegeben, die Gegnerinnen bislang waren nicht von internationaler Klasse, die Prüfungen kommen noch, aber zwei schnell, instruktiv und souverän herausgespielte Sizilianisch-Siege der Debütantin, einer mit Weiß, einer mit Schwarz, verbreiten erste Jana-Schneider-Vibes. Schneider, 2022 das Küken im Team, hat in Chennai mit 9/10 am vierten Brett die Mannschaft durchs Turnier gezogen.

Thematisch und instruktiv, kurz und humorlos. Lara Schulze killt den Drachen.

Mit einem frühen 1:0 im Rücken zu spielen, hilft. Im Match gegen die Belgierinnen musste niemand im deutschen Tross übermäßig besorgt sein, als Hanna Marie Klek in einen fürchterlichen Angriff gestolpert war, und das umso mehr, als am ersten Brett die Belgierin eine bis dahin gar nicht so klare Partie einstellte.

Klek wird ihre krasse Fehleinschätzung im 20. Zug verdauen. Wer sich vom “plus drei, plus vier”-Geschrei der Engine löst und aufs Brett guckt, der sieht, dass sie ihre Ruine erfindungsreich und hartnäckig verteidigt hat, so hartnäckig, dass am Ende die Gegnerin nicht riskieren wollte weiterzuspielen. Zum Lohn fürs Dranbleiben und Reinbeißen gab es einen halben Punkt. Die deutschen Frauen bleiben individuell ungeschlagen.

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3 Stunden zuvor

“Theoretisch hat der einstige WM-Kandidat [Eugenio Torre] lange genug durchgehalten, um den Staffelstab an den neuen Stern des philippinischen Schachs [Wesley So] zu übergeben.”
Tatsächlich haben Torre und So bei den Schacholympiaden 2006, 2010 und 2012 zusammen in der philippinischen Mannschaft gespielt.