Gregor Johann (1969-2024)

Gregor Johann ist tot. Der 55-Jährige starb am Freitag an den Folgen eines Unfalls beim Wandern in Kärnten. Mit dem Internationalen Schiedsrichter, Internationalen Organisator und veritablen Vereinsspieler verliert das deutsche Schach einen seiner verdientesten, engagiertesten und anerkanntesten Mitstreiter.

Gregor Johann erklärt (von links) Levon Aronian, Fiona Steil-Antoni und Fabiano Caruana die Feinheiten des Reglements. | Foto: Lennart Ootes/Freestyle Chess

Gregor Johann stammt aus Koblenz, wo er Schach von seinem Onkel lernte und bald einem Club beitrat. Sein Informatik-Studium absolvierte er in Kaiserslautern. Nach einigen Stationen als Software-Entwickler, unter anderem beim Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software-Engineering, begann er 2011, für SAP zu arbeiten.

Dort war der Projektmanager Gregor Johann zuletzt kürzergetreten, um sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Sandra Schmidt ausgiebiger der Schach-Schiedsrichterei zu widmen. Europa-, wenn nicht weltweit galt Gregor Johann als einer der Besten seines Fachs. Zur illustren Sammlung von Elitewettbewerben, die Johann als Schiedsrichter betreut hat, wäre im September die Schacholympiade in Budapest gekommen. Johann und Schmidt freuten sich seit Wochen darauf, Teil des großen Nationenwettbewerbs des Schachsports zu sein.

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Am Brett hat es Gregor Johann, Elo 2003, zum starken Vereinsspieler gebracht – und stets über den Tellerrand der 64 Feller hinweggeschaut. Johann wollte niemals nur spielen, sondern immer einer derjenigen sein, die helfen, dass der Schachbetrieb läuft.

Gregor Johann beim Bundesligafinale in Bremen. | Foto: Thal Abergel/SC Viernheim

Schon 1998 wurde er Schatzmeister des Pfälzischen Schachbunds (und blieb es bis 2020), 2004 Schatzmeister des Schachbunds Rheinland-Pfalz. Seit 2013 war er Internationaler Schiedsrichter, seit 2015 Internationaler Organisator der FIDE. „Gregor redet nicht viel, Gregor macht“, sagt sein (Schach-)Freund Dirk Hirse in einer Dokumentation des SWR, der Gregor Johann Ende 2020 zum „Sporthelden“ kürte.

Diese Kür hing mit seinem Engagement für die Online-Liga des DSB (DSOL) zusammen, die Gregor Johann in weiten Teilen erdacht, angeschoben und mitorganisiert hat. Bald nach seiner Wahl zum Bundesturnierdirektor des Deutschen Schachbunds 2019 traf Anfang 2020 den organsierten Sport die Corona-Pandemie, und es galt, die Frage zu beantworten, wie Wettbewerb möglich ist, ohne einander zu begegnen.

Das Team um Gregor Johann präsentierte im Frühsommer 2020 die Antwort: die DSOL, eine Online-Liga für Clubmannschaften. 1800 Spielerinnen und Spieler in 240 Teams nahmen teil. Während in allen anderen Sportarten der Betrieb stillstand, die Plätze und Hallen verwaist waren, lief das organisierte Schach weiter. An der zweiten Auflage beteiligten sich um die 3000 Spielerinnen und Spieler in 385 Teams.

Der Versuch des Schreibers dieser Zeilen, DSOL-Chef Johann dafür zu erwärmen, die Liga für Freizeitteams zu öffnen, scheiterte. Gregor hörte sich den Vorschlag an, wog kurz ab – und schüttelte den Kopf. Was nicht unmittelbar den Vereinen hilft, hatte wenig Chancen, oben auf der Agenda des Turnierleiters zu landen.

Geradeaus und offen: Als diese Seite meldete, es habe bei der Erstauflage der DSOL nur einen Cheatingfall gegeben, wollte DSOL-Chef Gregor Johann das so nicht stehen lassen.

Die Pandemie war nicht die einzige Katastrophe, die in die Amtszeit des DSB-Turnierdirektors Johann fiel. Umgeben von Mitläufern und Wegguckern unter dem DSB-Spitzenduo, war Johann einer der Wenigen, wenn nicht der Einzige, der Fehlentwicklungen aufzeigte. Johann mahnte weder emotional noch öffentlich, sondern nach innen anhand der Kriterien, die in den Augen eines aufrechten pfälzischen Schatzmeisters zählen: Arbeitsleistung und Zuverlässigkeit. Er und der Geschäftsführer seien „arbeitsinkompatibel“, ließ Johann das DSB-Präsidium 2022 wissen.

In seiner unbedingten Geradlinigkeit wollte Gregor Johann fürs Schach seine Arbeit machen. In bürokratische Vorgänge wollte er nicht mehr Zeit investieren als unbedingt nötig. Dass die Erfinder des seinerzeit debattierten DSB-Satzungsentwurfs den Spielbetrieb mit einer weiteren Kommission und einem Extra-Präsidiumsmitglied aufblasen wollten, passte ihm gar nicht: „Ich habe in meiner Freizeit Besseres zu tun, als Hierarchien hoch- und runterzustiefeln, um Dinge in Bewegung zu setzen.“

Dinge in Bewegung setzen – die notorische Achillesferse einer erstarrten, sportfernen Schachverwaltung. Jemand wie Gregor Johann, der nicht reden wollte, sondern machen, der nicht über Papieren brüten wollte, sondern dem Sport dienen, muss sich im angestaubten DSB-Umfeld nach Dynamik und Moderne gesehnt haben. So erklärt sich Johanns auf den ersten Blick überraschende Koalition mit Wadim Rosenstein, als der junge Düsseldorfer Unternehmer für die DSB-Präsidentschaft kandidierte – und ankündigte, den Laden umzukrempeln.

Das war nicht erwünscht. Sogar in einer selbstverschuldeten Krise, in der es nicht schlimmer werden konnte, sah Johann, wie beim Verband die üblichen Mechanismen von Beharren und Bedenken griffen, gepaart mit manchem Foulspiel. „Das Verhalten verschiedener Personen in Bezug auf die Zukunft des DSB“ habe ihn „sehr enttäuscht“, teilte Johann im April 2023 mit. Und kandidierte nicht wieder als DSB-Turnierdirektor.

Johann suchte sich ein Feld, in dem er machen und dem Sport dienen konnte. Als Co-Beauftragter für die Deutsche Amateurmeisterschaft führte Johann die Turnierserie gemeinsam mit Sandra Schmidt binnen kurzer Zeit in ungekannte Höhen. Dem Rekord aus 2023 (>3600 Teilnahmen) folgte in diesem Jahr ein weiterer (>4000). Die Serie von November 2024 bis Mai 2025 ist, wie sollte es anders sein, längst angekündigt und vorbereitet, alle Termine und Spielorte stehen fest.

Eine Liebesgeschichte: Gregor Johann und Sandra Schmidt mit Bella.

Gregor Johann und Sandra Schmidt haben sich bei den Deutschen Schnellschach-Einzelmeisterschaften 2020 in Plochingen kennengelernt. Als für die Frauen-Meisterschaft eine Schiedsrichterin gesucht wurde, bekam Schmidt den Zuschlag. Weniger später begegneten sie einander bei einer Schiedsrichterschulung wieder: Schmidt bastelte am Titel „Nationale Schiedsrichterin“. Der 20 Jahre ältere und längst mit höchsten Schiedsrichterweihen gesegnete Johann bildete aus.

Die Leidenschaft fürs Regelwerk und möglichst knifflige Zweifelsfälle verband die beiden seitdem. Seit 2022 ist auch Sandra Schmidt Internationale Schiedsrichterin. In einem Interview mit ChessBase India berichtete der wenig social-media-affine Gregor Johann, dass Sandra Schmidt ihm regelmäßig aktuelle strittige oder unklare Fälle präsentiert, die sie auf Twitter gefunden hat. Und dann wurden im gemeinsamen Heim bei Saarbrücken die Feinheiten des Schachreglements dekliniert.

Das Macher-Paar des deutschen Schachs verband eine zweite Leidenschaft, das Wandern. Johann und Schmidt, zusammen mit Hündin Bella, der einzigen vierbeinigen Schiedsrichter-Assistentin im Schach, liebten die Bewegung in der Natur. Im Gespräch mit ChessBase India berichtete Johann stolz, wie sie gemeinsam trainiert und schließlich erfolgreich eine 100-Kilometer-Wanderung binnen 24 Stunden absolviert haben.

Fürs Foto als strenger Regelhüter zu posieren, bereitete Gregor Johann Freude. Seit Jahren betreute er während der Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaft am Tegernsee eine Regelkolumne, die Zweifelsfälle und Fragestellungen aus dem laufenden Turniergeschehen beleuchtet. | Foto: Sandra Schmidt/OIBM

Bestürzung machte sich im Lauf des Samstags im deutschen Schach breit, als sich die Kunde vom Tod Gregor Johanns herumsprach. Sie sei fassungslos und ringe um Worte, sagte DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach. „Gregor war kompetent, engagiert. Bei jedem Turnier, das er leitete, konnte man sich 100 Prozent darauf verlassen, dass es wunderbar klappt.“ Als Schiedsrichterin sei sie selbst durch Johanns Schule gegangen und habe erfahren, wie hilfreich das sei. „Wir verlieren einen der kompetentesten Schiedsrichter. Ich persönlich verliere einen Freund und Berater, mit dem ich immer offen Themen diskutieren konnte.“

„Tief erschüttert“ sei er, sagte der Niedersächsische Schachpräsident Michael S. Langer, der mit Gregor Johann auch über die österreichische ChessSports Association verbunden war. Über viele Jahre habe er Johann als beharrlichen, integren und freundlichen Wegbegleiter geschätzt, als jemanden, der Dinge anpackt und erledigt.

Zuletzt war Gregor Johann als Schachspieler zusammen mit Sandra Schmidt nach Österreich gereist. Beide spielten das Traditionsopen in Feffernitz und erkundeten nebenbei die Kärntner Umgebung. In der Garnitzenklamm, einer beliebten Wanderstrecke mit Wasserfällen und steilen Felsformationen, stürze Johann nach Angaben der österreichischen Behörden am Freitagmittag etwa 25 Meter in die Tiefe. Er erlag am Unfallort seinen Verletzungen.

(Titelfoto: Lennart Ootes/WR Chess)

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Dr. phil. Harald Zaun
Dr. phil. Harald Zaun
18 Tage zuvor

Ein feinfühliger, sprachlich und stilistisch sehr guter Nekrolog über einen ehrenhaften Mann, der ich schätzen und lieben gelernt habe. Ich lernte ihn über meine Freundin Sandra kennen, die mit ihm liiert war bzw. ist, da die Seelen weiterleben. Gregor vereinte unfassbar viele Qualitäten auf eine distinguierte Weise in eine Person, die nur wenige vom Vertreter namens Homo sapiens in der Lage sind, zu vereinen. Wer die Ehre hatte, ihn kennenlernen zu dürfen, wird wissen, wovon und worüber ich hier schreibe. Ich danke für diesen ausführlichen und sehr gelungenen Nachruf. Sehr gut gemacht, Conrad!

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