Schacholympiade (3): Männer verlieren gegen Litauen, Frauen 2:2 gegen Slowenien

Die ersten dicken Brocken, die ersten direkten Vergleiche mit den besten Teams der Welt wären in der vierten Runde auf die deutschen Nationalmannschaften zugekommen. Aber dazu hätte es in der dritten zweier Siege bedurft. Stattdessen verloren die Männer ein langes, dramatisches Match 1,5:2,5 gegen Litauen, die Frauen trennten sich 2:2 von Slowenien. Am Samstag geht es gegen die Mongolei (Männer) und Argentinien (Frauen).

Die Nationalmannschaft zu Beginn des Matches gegen Slowenien. | Foto: Matthias Wolf/DSB

Elisabeth Pähtz hatte überlegt, am zweiten Brett den 1.d4-Aufschlag ihrer Kontrahentin mit Königsindisch zu kontern, damit auf jeden Fall Leben in der Bude ist. Aber angesichts eines Elo-Plus von rund 100 Punkten an jedem Brett und zweier Weißpartien links und rechts von ihr entschied sie sich fürs solide Slawische. Das führte zu einer Abtauschvariante, in der Weiß nichts falsch machte und den halben Punkt bekam, den sie wollte.

16.d5! war eine von mehreren taktischen Sticheleien, die Dinara Wagner ausließ. Auf 16….0-0-0 hat Weiß 17.Dd4!, und die Komplikationen verlaufen günstig. Schachfreund Maschine macht darauf aufmerksam, dass auch 16.Lxc6 bxc6 17.Db3 0-0-0 18.Txe6 sehr interessant ist, aber sowas spielt kein Mensch.

Das hätte reichen sollen, denn die drei anderen Partien liefen günstig. Aber Dinara Wagner am ersten Brett verpasste die eine oder andere aussichtsreiche taktische Stichelei und musste sich bald ebenfalls ins Remis fügen. Auch das war noch nicht schlimm. Hanna Marie Klek an drei war in einer überlegen geführten spanischen Partie drauf und dran, ihren Wackler vom Vortag vergessen zu machen, und Lara Schulze hatte zwar ein undurchsichtiges Handgemenge angezettelt, aber eines, in dem sie klar am Drücker sein sollte.

Werbung

Dann der taktische Aussetzer in einer Stellung, in der der Preis für einen solchen Aussetzer maximal hoch war. Von jetzt auf gleich stand Schulze auf Verlust: Minusbauer und Turm gegen Läuferpaar, da war nichts zu retten – außer zumindest einem Mannschaftspunkt. Das erledigte Hanna Marie Klek, die ihre Partie kühl durchzog, bis die Rivalin die Waffen streckte.

Hanna Marie Klek rettete zumindest das 2:2. Mit 2,5/3 ist sie die Topscorerin der Frauen.

Die deutschen Frauen stehen jetzt mit 5:1 da. Mit den Argentinierinnen wartet eine Mannschaft, die nominell etwa auf dem Level einzuordnen ist wie die Sloweninnen. Deutschland wird Favorit sein.

Vincent Keymers Premiere bei der Schacholympiade verlief anders, als er sich das vorgestellt hatte. Endspielkünstler Frederik Svane (hinten) fuhr derweil in der dritten Partie den dritten Punkt ein. | Foto: Matthias Wolf/DSB

Wie erwartet, zog Bundestrainer Jan Gustafsson im Match gegen die erste reine Großmeistertruppe die Keymer-Karte. Dmitrij Kollars, am Vortag unterlegen, rochierte raus, Vincent Keymer, von einer Erkältung genesen, rochierte rein. Und er spielte die schnellste Partie des Tages. Gegen den bestens präparierten Titas Stremavicius (Elo 2527) drängten beide Kontrahenten nach vorne, beide rangen bei beiderseits entblößtem Hinterland um Angriffsoptionen.

30…Lxe4 wäre wahrscheinlich remis geworden, aber das war Keymer nicht genug. 30…Ld5 mit einen Aktivitätsschub für den Läufer und den Turm b8 wäre eine spannende Partie geworden. 30…c4? ist leider viel schlechter, als es aussieht. Nach 31.Tf1! hält Weiß den f6-Sargnagel fest, und Schwarz hat sich das taktische Gegenmittel …La6 verbaut.

Auch das eine sehr konkrete, taktisch geprägte Partie, in der der Preis für einen Fehler hoch ist. Und der unterlief Keymer. Nach 30…c4? war die eben noch herzlich unklare Stellung sofort verloren. Stremavicius vollstreckte wenig später spektakulär.

Vincent Keymers Debüt bei Schacholympia 2024, ein hochklassiges, beiderseits ambitioniert geführtes Gefecht – bis zum 30. Zug.

Und so liefen Matthias Blübaum, Alexander Donchenko und Frederik Svane einem 0:1-Rückstand hinterher. Anfangs war nicht klar, wer den Ausgleich schießen soll, aber drei gehaltvolle, umkämpfte Stellungen machten Hoffnung. Diese Hoffnung blieb bestehen, als Blübaums Begegnung in ein Turmendspiel versandete, das nur unentschieden enden konnte.

Alexander Donchenko hatte derweil das Heft des Handelns in die Hand genommen. Drei verbundene Freibauern und das Läuferpaar waren mehr als gute Kompensation für die Minusqualität und den einzelnen gegnerischen Freibauern. Auch bei Frederik Svane garantierten die ungleichfarbigen Läufer, dass der Stellung Chancen innewohnen, wenn es nur gelingt, Initiative zu finden.

Die deutsche Delegation in Budapest besteht nicht nur aus denen die spielen, und denen, die die Spielenden betreuen. Klaus Deventer (links) sorgt das für, dass es fair, Bernhard Riess dafür, dass es regelgerecht zugeht. | Foto: Matthias Wolf/DSB

Nach und nach war nicht nur die Rettung, sondern die Wende in diesem Match greifbar. Donchenko ließ seine Bauern laufen, und Frederik Svane hatte eine kräftige Initiative gefunden. Auf Schachdeutschland-TV schlug die bangend-gespannte Stimmung in Euphorie um. Umso bitterer, was dann am Brett von Donchenko passierte, nämlich etwa das, was am Vortag Dmitrij Kollars passiert war.

Die ausgerechnete Abwicklung funktionierte nicht, es lief nicht der eigene Freibauer entscheidend, sondern plötzlich der gegnerische in Verbindung mit garstigen Gabeldrohungen. Bald nachdem die sehr günstige Lage zu einer unklaren geworden war, entglitt Donchenko die Partie vollends, und statt der Wende war die Niederlage besiegelt. Damit war beim Stand von 0,5:2,5 auch das Match verloren.

Ende der Euphorie im Schachfernsehen: als Alexander Donchenko sein Endspiel entglitten war. | via schachdeutschland.tv

Frederik Svane konnte nicht mehr tun, als Ergebniskosmetik zu betreiben, einmal mehr am Ende eines 80-Zügers. Der Marathonmann aus Lübeck ist mit drei Punkten aus drei Partien der einzige Hundertprozentige in der deutschen Delegation.

Am Samstag gegen die Mongolei werden die deutschen etwa in dem Maße favorisiert sein wie in der zweiten Runde gegen die Philippinen.

Delegationsleiter Kevin Högy, der den erkälteten Jan Gustafsson vertrat, hatte gehofft, der Mannschaft Glück zu bringen. Trotz eines bitteren Auftakts sah es in der fünften Stunde danach aus. In der sechsten: die weinende Stadt.
4.2 5 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

5 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments
Kommentierender
Kommentierender
2 Tage zuvor

Man beachte, dass in Ungarn gespielt wird!

trackback

[…] dramatischen 1,5:2,5 gegen die 2500er-Truppe aus Litauen in der dritten Runde konnten die Männer noch Pech anführen. Solches hatten sie beim 1,5:2,5 gegen […]

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
2 Tage zuvor

Keymer erkältet, Gustafsson erkältet. Wirklich nur erkältet, oder doch Covid?
Mich wundert, dass trotz des Infektionsgeschehens im Turniersaal auf den Fotos keine Schutzmasken-Träger zu sehen sind.