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Der Kreml, der Iran und der FC Bayern München

Vor einem Monat hat der Iraner Amin Tabatabaei in Moskau Sergey Karjakin die Hand gereicht und sich eine Woche lang für Kreml-Propaganda einspannen lassen. Jetzt fällt er wieder einmal auf, weil er während einer Weltmeisterschaft Israelis den Wettkampf verweigert. Den FC Bayern München hält das nicht davon ab, Tabatabaei fürs erste Brett der Bundesligamannschaft zu nominieren. 

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Neu ist das Thema nicht, im Gegenteil:

(Welt-Bericht für Abonnenten)

2020 zeigte die FIDE dem Iran die gelbe Karte. Danach ging es weiter wie immer. Zur roten Karte ist es nie gekommen.

Gelbe Karte für den Iran

Nicht allzu lange her, da fand es die DSB-Spitze okay, wenn jemand bei einer Deutschen Meisterschaft ohne gesundheitlichen Grund das Schachspielen verweigert. Nun verstößt in Astana im einem Match ohne deutsche Beteiligung jemand gegen die Fair-Play-Regeln, und plötzlich sieht der DSB "einen Eklat" und hat dazu, die Präsidentin allen voran, "eine klare Meinung". Die geht so:

Überschattet wurde die Veranstaltung von einem Eklat: Der für das Team „GMHans.com“ antretende iranische GM Amin Tabatabaei weigerte sich, gegen den israelischen „Ashod Chess Club“ anzutreten und sorgte damit vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Lage für ein großes mediales Echo. Nicht zum ersten Mal. Schon 2022 weigerte sich der Iraner, in einem Turnier gegen einen Israeli anzutreten. Damals hatte sein Verein, Bundesligist FC Bayern München, angekündigt, mit ihm ins Gespräch zu gehen.

Der Deutsche Schachbund hat zu dem Boykott eine klare Meinung, zumal das Nichtantreten ohne gesundheitlichen Grund gegen die FIDE-Fair-Play-Regeln verstoße, wie DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach betont: „Der Deutsche Schachbund beobachtet Vorfälle des Nichtantretens im Sport, wie jetzt in Astana, mit großer Sorge. Es geht uns nicht darum, einzelne Sportler für ihr Verhalten zu kritisieren, außerdem ereignete sich der Vorfall bei einer FIDE-Veranstaltung“, so Lauterbach, „aber uns ist wichtig zu betonen, dass sich die Haltung des Deutschen Schachbundes zum Staat Israel mit der der Bundesregierung deckt. Und wir kritisieren den Vorfall auch als offensichtlichen Verstoß gegen die Fairplay-Regeln der FIDE.“ Ingrid Lauterbach abschließend: „Uns ist unverständlich, warum die FIDE Verstöße gegen die eigenen Regeln wiederholt toleriert.

"Großes mediales Echo" ist gelogen, einzig die Bild-Zeitung hat berichtet (und nur die drei Zwerge Sport1, MSN sowie Yahoo haben es aufgepickt), international nur chess.com. Die reichweitenstärkste deutsche Schachseite erwähnte den Vorfall erwartbar gar nicht. Was wahrscheinlich damit zu tun hat, dass sie sich in ihrer Rolle als DSB-Verkündungs- und Wirklichkeitsverbiege- sowie -verschönerungsorgan eingerichtet hat. Nun plötzlich "klare Meinung"? Sowas haben wir ja noch nie verkündet.

Die vermeintlich "klare Meinung", wir üben noch, kommt dann doch ein wenig eingeschränkt und verklausuliert daher. Eine spezifische eigene Haltung haben wir nicht, wir nehmen einfach die der Bundesregierung und beschränken uns ansonsten auf Erwägungen zum Regelwerk, und es war ja auch nicht unsere Veranstaltung, und den Spieler kritisieren wir auch nicht. Klare Ansage geht anders. Trotz allen Wischiwaschis: Bemerkenswert ist allemal, dass sich das Zitat auf der DSB-Website wiederfindet, was ihm offizielleren Charakter gibt als frühere Haltungsversuche Ullrich Krauses.

Dem hatte sein politisch eifriger Mitarbeiter Paul Meyer-Dunker durchaus zu politischen oder gesellschaftlichen Triggerthemen Zitate für die Öffentlichkeit abgerungen, durfte sie aber nur auf Twitter verbreiten, damit die dort versammelte Schachszene (inklusive Meyer-Dunker) Ruhe gibt. Die DSB-Website blieb in aller Regel frei davon, der DSB-Postausgang erst recht. Zumindest Ersteres hat sich nun geändert.

Bemerkenswert auch, dass Ingrid Lauterbach zum ersten Mal (so weit es am Bodensee angekommen ist) öffentlich etwas sagt, das nicht auf den Geschmack der mutmaßlichen Mehrheit der im DSB-Kongress versammelten Schachbeamten abgestimmt ist, sondern ein Thema berührt, das weder deren Fetisch für Ordnungswerke noch deren Angst vor Veränderung bedient. Sie setzt einfach so ein Zeichen, sendet ein Signal ins Blaue, und nebenbei bekommt der Club ihres Gatten eine ordentliche Watschn. Sowas haben wir ja noch nie gemacht.

Spannend wäre übrigens zu sehen gewesen, was passiert, wäre Tabatabaei angetreten. Vielleicht hätte Pawel Eljanow nur den Handschlag verweigert, vielleicht sogar das Schachspielen mit jemandem, der Sergey Karjakin die Hand reicht. Und dann wäre der kampflose Punkt in die andere Richtung gegangen. Wäre das auch ein Fair-Play-Verstoß gewesen?