World Chess
Zitat von Conrad Schormann am 25. November 2022, 13:21 UhrWoher Agon kam, wie daraus "World Chess" wurde, und was daraus werden soll. Aufwändige Recherche von Martin B. Justesen:
https://saychess.substack.com/p/what-is-the-company-world-chess-all
Zusammenfassung:
World Chess: Von Agon zur globalen Schachmarke
World Chess ist ein Unternehmen mit großer Vision und umstrittener Geschichte. Gegründet wurde es 2012 unter dem Namen Agon – mit dem Ziel, Schach einem Massenpublikum näherzubringen. Von Anfang an stand die Firma in enger Verbindung mit dem Weltschachbund FIDE, für den sie über Jahre hinweg zentrale Veranstaltungen des WM-Zyklus organisierte – darunter die Weltmeisterschaften 2014 (Sotschi), 2016 (New York) und 2018 (London) sowie die FIDE Grand Prix Serie.
Hinter Agon stand zunächst der amerikanische Unternehmer Andrew Paulson, der sich mit FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow auf einen exklusiven Vertrag einigte. Dieser gab Agon weitreichende Rechte – auch in finanzieller Hinsicht. Der Deal sorgte früh für Spekulationen, nicht zuletzt wegen eines geleakten Vertragsentwurfs, laut dem Iljumschinow selbst Anteile an Agon halten sollte. Die FIDE-Ethikkommission entschied 2015 zwar, dass Iljumschinow nicht gegen FIDE-Regeln verstoßen habe, das Misstrauen blieb jedoch bestehen.
2014 übernahm der in Russland geborene Geschäftsmann Ilya Merenzon Agon – laut eigenen Angaben für einen symbolischen Pfund. Merenzon gab dem Unternehmen einen neuen Namen: World Chess. Fortan bemühte sich das Team, nicht nur die WM-Events zu veranstalten, sondern eine Schach-Marke mit globaler Strahlkraft aufzubauen – inklusive Merchandise, Lifestyle-Produkten und einem eigenen Online-Spielbetrieb: der FIDE Online Arena, die heute noch von World Chess betrieben wird.
Kritik blieb dennoch nicht aus. Die großen Schachveranstaltungen unter World-Chess-Regie waren oft russisch geprägt: russische Ausrichter (Sotschi), russische Sponsoren (Gazprom, PhosAgro, Summa Group), ein russisches Organisationskomitee. Selbst die WM 2018 in London wurde von PhosAgro unterstützt. Garry Kasparow bezeichnete World Chess gar als „Kreml-gesteuertes Vehikel“.
Ab 2019 zog sich die FIDE schrittweise aus der Zusammenarbeit zurück. World Chess behielt jedoch kommerzielle Rechte an der Online-Arena und setzte auf neue Projekte: etwa die TV-orientierte Armageddon Championship Series oder den Aufbau eines eigenen Schachclubs in Berlin – ein hybrider Ort aus Café, Bar, Spielstätte und Eventstudio. Dort sollen künftig Live-Turniere ausgetragen und Inhalte produziert werden. Das Unternehmen will so seine Vision verwirklichen: Schach als moderne Sport- und Lifestylemarke, verankert im Alltag, präsent auf Bildschirmen, vernetzt mit Clubs und Communities weltweit.
2022 kündigte World Chess zudem an, an die Londoner Börse zu gehen, um frisches Kapital einzuwerben – geplant waren bis zu 8 Millionen Pfund. Als Investor ist unter anderem die Breakthrough Foundation des Tech-Milliardärs Yuri Milner beteiligt.
Heute sieht sich World Chess als „Ökosystem“ rund ums Schach, mit Veranstaltungen, Plattformen, Produkten und Bildungsideen. Trotz mancher Rückschläge glaubt Ilya Merenzon: Der Schachmarkt ist groß genug – für mehr als nur eine große Marke.
Woher Agon kam, wie daraus "World Chess" wurde, und was daraus werden soll. Aufwändige Recherche von Martin B. Justesen:
https://saychess.substack.com/p/what-is-the-company-world-chess-all
Zusammenfassung:
World Chess: Von Agon zur globalen Schachmarke
World Chess ist ein Unternehmen mit großer Vision und umstrittener Geschichte. Gegründet wurde es 2012 unter dem Namen Agon – mit dem Ziel, Schach einem Massenpublikum näherzubringen. Von Anfang an stand die Firma in enger Verbindung mit dem Weltschachbund FIDE, für den sie über Jahre hinweg zentrale Veranstaltungen des WM-Zyklus organisierte – darunter die Weltmeisterschaften 2014 (Sotschi), 2016 (New York) und 2018 (London) sowie die FIDE Grand Prix Serie.
Hinter Agon stand zunächst der amerikanische Unternehmer Andrew Paulson, der sich mit FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow auf einen exklusiven Vertrag einigte. Dieser gab Agon weitreichende Rechte – auch in finanzieller Hinsicht. Der Deal sorgte früh für Spekulationen, nicht zuletzt wegen eines geleakten Vertragsentwurfs, laut dem Iljumschinow selbst Anteile an Agon halten sollte. Die FIDE-Ethikkommission entschied 2015 zwar, dass Iljumschinow nicht gegen FIDE-Regeln verstoßen habe, das Misstrauen blieb jedoch bestehen.
2014 übernahm der in Russland geborene Geschäftsmann Ilya Merenzon Agon – laut eigenen Angaben für einen symbolischen Pfund. Merenzon gab dem Unternehmen einen neuen Namen: World Chess. Fortan bemühte sich das Team, nicht nur die WM-Events zu veranstalten, sondern eine Schach-Marke mit globaler Strahlkraft aufzubauen – inklusive Merchandise, Lifestyle-Produkten und einem eigenen Online-Spielbetrieb: der FIDE Online Arena, die heute noch von World Chess betrieben wird.
Kritik blieb dennoch nicht aus. Die großen Schachveranstaltungen unter World-Chess-Regie waren oft russisch geprägt: russische Ausrichter (Sotschi), russische Sponsoren (Gazprom, PhosAgro, Summa Group), ein russisches Organisationskomitee. Selbst die WM 2018 in London wurde von PhosAgro unterstützt. Garry Kasparow bezeichnete World Chess gar als „Kreml-gesteuertes Vehikel“.
Ab 2019 zog sich die FIDE schrittweise aus der Zusammenarbeit zurück. World Chess behielt jedoch kommerzielle Rechte an der Online-Arena und setzte auf neue Projekte: etwa die TV-orientierte Armageddon Championship Series oder den Aufbau eines eigenen Schachclubs in Berlin – ein hybrider Ort aus Café, Bar, Spielstätte und Eventstudio. Dort sollen künftig Live-Turniere ausgetragen und Inhalte produziert werden. Das Unternehmen will so seine Vision verwirklichen: Schach als moderne Sport- und Lifestylemarke, verankert im Alltag, präsent auf Bildschirmen, vernetzt mit Clubs und Communities weltweit.
2022 kündigte World Chess zudem an, an die Londoner Börse zu gehen, um frisches Kapital einzuwerben – geplant waren bis zu 8 Millionen Pfund. Als Investor ist unter anderem die Breakthrough Foundation des Tech-Milliardärs Yuri Milner beteiligt.
Heute sieht sich World Chess als „Ökosystem“ rund ums Schach, mit Veranstaltungen, Plattformen, Produkten und Bildungsideen. Trotz mancher Rückschläge glaubt Ilya Merenzon: Der Schachmarkt ist groß genug – für mehr als nur eine große Marke.
Zitat von Conrad Schormann am 29. März 2025, 9:08 UhrIlya Merenzon bei Ilya Levitov:
https://youtu.be/z1P87NyOvkQ
Ilya Merenzon plant eine weltweite Open-Turnierserie im Stil der ATP-Tour. Geplant sind zehn offene Turniere in verschiedenen Teilen der Welt, darunter Tokio und Sydney. Hinzu kommen Grand-Swiss-artige Qualifikationsturniere und ein abschließendes Finalevent. Das System soll standardisiert, medientauglich und leicht zugänglich sein. Auch für lokale Veranstalter soll es attraktiv werden: World Chess will ihnen ein fertiges Paket samt Branding, Technik und Format liefern. Damit soll ein weltweit skalierbares System entstehen – ein Schach-Zirkus mit TV-tauglichem Auftritt.
Die Open-Serie ist nur eines von vielen Projekten, mit denen Merenzon versucht, Schach für ein breiteres Publikum interessant zu machen. In Berlin betreibt er bereits einen großen Schachclub mit Bar und Eventfläche, der als Blaupause für ähnliche Clubs weltweit dienen soll – offen für alle, nicht als elitäres Mitgliederkonzept, sondern als urbane Begegnungsstätte. Parallel arbeitet World Chess an TV-Formaten wie der „Armageddon Series“, die blitzschnelles Schach mit Fernsehlogik verknüpfen. Laut Merenzon wurde sie von über 70 TV-Sendern ausgestrahlt. Eine weitere Idee: eine Reality-Show mit Prominenten, die unter Anleitung von Großmeistern gegeneinander antreten.
World Chess betreibt außerdem die FIDE Online Arena, deren offizielle Lizenz man weiterhält. Diese Plattform bietet bezahlte Mitgliedschaften, FIDE-Titel und Anti-Cheating-Technologie, die laut Merenzon transparent und justiziabel sein soll – ein Kontrast zu Plattformen wie chess.com. Ziel ist es, sich im Markt als dritte Kraft neben Chess.com und Lichess zu etablieren.
Merenzon sieht den WM-Zyklus in der Krise. Der Rückzug von Magnus Carlsen habe das Format geschwächt, der globale Wiedererkennungswert des neuen Weltmeisters sei gering. Nur in Indien sei Ding Liren bekannter. Für die breite Öffentlichkeit sei das WM-Match nicht mehr das wichtigste Ereignis im Schach. Deshalb, so Merenzon, müsse jedes Match heute neu erzählt und inszeniert werden – eine reine „Wer gewinnt gegen Carlsen?“-Story reiche nicht mehr. Seine Vision: Turniere mit klarer Erzählstruktur, starkem Design, gutem Marketing – kurz: einem professionellen Gesamterlebnis.
Kritisch sieht Merenzon die bisherige kommerzielle Struktur des Schachbetriebs. Zuschauer zahlen wenig oder gar nichts, Sponsoren gäben punktuell Geld, aber ohne langfristige Perspektive. Schach sei lange Hobby geblieben, statt zur Branche zu werden. Doch genau das will er ändern. Er ruft dazu auf, Schach als Geschäft zu begreifen – mit Rollen wie Veranstalter, Manager, Trainer, Streamer oder Clubbetreiber. Der Markt sei offen, das Potenzial enorm.
World Chess TV soll dabei eine neue Basis bilden: eine regelmäßige, magazinartige TV-Sendung über Schach, die weltweit ausgestrahlt werden kann – unabhängig von konkreten Events. Sie soll Sponsorenplanbarkeit geben, FIDE-Projekte begleiten und neue Zielgruppen erschließen. World Chess verspricht damit Medienpräsenz auch jenseits einzelner Turniere.
Merenzon will Schach aus dem eigenen Milieu herausholen. Die Szene sei zu oft ein in sich kreisendes System. Doch es gebe Vorbilder wie Darts, Cricket oder Billiard, die es geschafft hätten, über sich hinauszuwachsen. Auch Schach könne das, glaubt Merenzon. Dafür müsse es sich aber als Produkt für ein größeres Publikum begreifen – mit Mut, Gestaltung und einem langen Atem.
Ilya Merenzon bei Ilya Levitov:
Ilya Merenzon plant eine weltweite Open-Turnierserie im Stil der ATP-Tour. Geplant sind zehn offene Turniere in verschiedenen Teilen der Welt, darunter Tokio und Sydney. Hinzu kommen Grand-Swiss-artige Qualifikationsturniere und ein abschließendes Finalevent. Das System soll standardisiert, medientauglich und leicht zugänglich sein. Auch für lokale Veranstalter soll es attraktiv werden: World Chess will ihnen ein fertiges Paket samt Branding, Technik und Format liefern. Damit soll ein weltweit skalierbares System entstehen – ein Schach-Zirkus mit TV-tauglichem Auftritt.
Die Open-Serie ist nur eines von vielen Projekten, mit denen Merenzon versucht, Schach für ein breiteres Publikum interessant zu machen. In Berlin betreibt er bereits einen großen Schachclub mit Bar und Eventfläche, der als Blaupause für ähnliche Clubs weltweit dienen soll – offen für alle, nicht als elitäres Mitgliederkonzept, sondern als urbane Begegnungsstätte. Parallel arbeitet World Chess an TV-Formaten wie der „Armageddon Series“, die blitzschnelles Schach mit Fernsehlogik verknüpfen. Laut Merenzon wurde sie von über 70 TV-Sendern ausgestrahlt. Eine weitere Idee: eine Reality-Show mit Prominenten, die unter Anleitung von Großmeistern gegeneinander antreten.
World Chess betreibt außerdem die FIDE Online Arena, deren offizielle Lizenz man weiterhält. Diese Plattform bietet bezahlte Mitgliedschaften, FIDE-Titel und Anti-Cheating-Technologie, die laut Merenzon transparent und justiziabel sein soll – ein Kontrast zu Plattformen wie chess.com. Ziel ist es, sich im Markt als dritte Kraft neben Chess.com und Lichess zu etablieren.
Merenzon sieht den WM-Zyklus in der Krise. Der Rückzug von Magnus Carlsen habe das Format geschwächt, der globale Wiedererkennungswert des neuen Weltmeisters sei gering. Nur in Indien sei Ding Liren bekannter. Für die breite Öffentlichkeit sei das WM-Match nicht mehr das wichtigste Ereignis im Schach. Deshalb, so Merenzon, müsse jedes Match heute neu erzählt und inszeniert werden – eine reine „Wer gewinnt gegen Carlsen?“-Story reiche nicht mehr. Seine Vision: Turniere mit klarer Erzählstruktur, starkem Design, gutem Marketing – kurz: einem professionellen Gesamterlebnis.
Kritisch sieht Merenzon die bisherige kommerzielle Struktur des Schachbetriebs. Zuschauer zahlen wenig oder gar nichts, Sponsoren gäben punktuell Geld, aber ohne langfristige Perspektive. Schach sei lange Hobby geblieben, statt zur Branche zu werden. Doch genau das will er ändern. Er ruft dazu auf, Schach als Geschäft zu begreifen – mit Rollen wie Veranstalter, Manager, Trainer, Streamer oder Clubbetreiber. Der Markt sei offen, das Potenzial enorm.
World Chess TV soll dabei eine neue Basis bilden: eine regelmäßige, magazinartige TV-Sendung über Schach, die weltweit ausgestrahlt werden kann – unabhängig von konkreten Events. Sie soll Sponsorenplanbarkeit geben, FIDE-Projekte begleiten und neue Zielgruppen erschließen. World Chess verspricht damit Medienpräsenz auch jenseits einzelner Turniere.
Merenzon will Schach aus dem eigenen Milieu herausholen. Die Szene sei zu oft ein in sich kreisendes System. Doch es gebe Vorbilder wie Darts, Cricket oder Billiard, die es geschafft hätten, über sich hinauszuwachsen. Auch Schach könne das, glaubt Merenzon. Dafür müsse es sich aber als Produkt für ein größeres Publikum begreifen – mit Mut, Gestaltung und einem langen Atem.