Schacholympiade 2022: der Ticker (bis Runde 6)

186 Länder, 1733 Spieler und Spielerinnen, 250 Großmeister. Endlich, nach vier Jahren, ist wieder Schacholympiade. Deutschland ist in Chennai mit jeweils einer Herren- und einer Frauenmannschaft am Start, die Herren an neun, die Frauen an acht gesetzt, beide jung und mit Perspektive nach oben. Die Runden beginnen ab Freitag, 29. Juli, täglich um 11.30 Uhr. Schachdeutschland TV überträgt live. Der 4. August markiert den einzigen Ruhetag des Turniers.

Die vermeintliche Übermannschaft aus den USA tut sich schwer, hat aber noch alle Chancen. | Foto: Maria Emelianova/FIDE
“Indien 2 und Armenien führen im Open, Indien, Georgien und Rumänien bei den Frauen”: Bericht zur fünften Runde
Jan Gustafsson und Vincent Keymer nehmen die italienische Nummer eins Luca Moroni ins Visier. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Schachbund

|| Runde 6, 3. August

Schmutzig! Egal! 2,5:1,5 gegen Italien

■ Vor dem Kampf gegen Italien hatte Dmitrij Kollars gesagt, es sei vielleicht ganz gut, gegen Außenseiter wie Österreich und Irland Dramen wie die in der dritten und vierten Runde zu durchleiden. Vielleicht ist es ja noch besser, sogar drei dieser Dramen zu durchleiden? Gegen Italien gab es ein weiteres. Hochklassig war das nicht, spannender hätte es nicht sein können.

Vincent Keymer nahm einen eingestellten (?) Bauern nicht weg, Liviu Dieter Nisipeanu lief in gegnerische Vorbereitung, Rasmus Svane und Dmitrij Kollars handelten sich bald Probleme ein. Aus dieser unschönen Konstellation ein 2,5:1,5 herauszukämpfen, ist gewiss eine Qualität.

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Als für Keymer nichts mehr zu gewinnen war, galt es für die anderen drei zu überleben. Kollars bewältigte seine Endspielaufgabe mit Bravour und hielt, Nisipeanu gelang sogar mehr als. Zwar hatte auf Schachdeutschland TV Klaus Bischoff das Eröffnungsspiel des Italieners gegen Nisipeanus Anti-Nimzo-Eigenbau gescholten, aber was er da schalt, waren in Sekundenschnelle gespielte Enginezüge. Schwarz war auf Nisipeanus Eigenbau vorbereitet, stand bald komfortabel (auch wenn das nicht offensichtlich war) und schickte sich an, mehr und mehr das Kommando zu übernehmen. Dann der Moment, in dem es galt gegenzuhalten, um nicht mit den weißen Steinen flugs vom Brett gewischt zu werden.

https://youtu.be/PurmrHjUEvI
Wie Dieter das Ding drehte.

Dank 26.d5! bekam Nisipeanu unter Bauernopfer das bitter nötige Spiel, das sich nach einer Ungenauigkeit des Schwarzen in eine garstige Initiative verwandelte. Und die brachte für Schwarz mehr Probleme mit sich, als er lösen konnte. Ein tolles Beispiel für praktisches Kampfschach in einer Partie, die gründlich zu misslingen gedroht hatte – und zumindest ein sicherer Punkt für Deutschland. 2:1 stand es – und Rasmus Svane verteidigte Dame versus Dame und Bauer. Noch spannender wäre das zu verfolgen gewesen, hätte die Liveübertragung funktioniert. Aber immerhin darf DSB-Reporter Paul Meyer-Dunker wieder in den Spielsaal. Von dort schickte er regelmäßige Updates in Sachen Svane – bis auch der seine kritische Partie gehalten hatte: dreifache Stellungswiederholung.

Und jetzt: Serbien. Auch der Gegner in der siebten Runde wird nicht unschlagbar sein.

1:3 zu fünft

■ Sogar zu fünf waren die deutschen Spielerinnen angetreten. Weil die deutsche Delegation offenbar entschieden hat, ihren russischen Bundestrainer nicht mit in den Spielsaal zu nehmen, trug diesmal Josefine Heinemann die blaue Karte der Kapitänin um den Hals. Und sie musste mitansehen, wie zwei Serien rissen. Weder Dinara Wagner noch Jana Schneider gewannen. Nach einigen Aufs und deutlich mehr Abs stand am Ende ein 1:3 gegen eine Mannschaft, die zumindest nominell schlagbar ausgesehen hatte. Aber auch die nun 8:4 Punkte sind eine Basis, von der aus sich noch eine gute Platzierung erreichen lässt. In der siebten Runde spielen Pähtz&Co. gegen die Türkei.

Mama Pragg

■ Dass Indien B superstark sein würde, war noch am ehesten abzusehen. Zumal Mama Pragg während der Wettkämpfe anwesend ist und ordentlich Karma rübersendet.

Aber Armenien? Womöglich hat der Wechsel Levon Aronians in die USA in der armenischen Truppe einen Jetzt-erst-Recht-Effekt ausgelöst. Heute spielten beide gegeneinander, die nach fünf Runden einzigen verlustpunktfreien Teams des Turniers. Tatsächlich gelang es den Armeniern, den jungen Indern ihre erste Niederlage zuzufügen. Das hielt allerdings Schachfreund Gukesh nicht davon ab, seine Bilanz am ersten Brett auf fabelhafte sechs Punkte aus sechs Partien auszubauen. Der 16-Jährige ist mit Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg in die Top 20 der Welt.

https://youtu.be/4r6t1MoSN74
Wie Gukesh im Fünftrundenmatch gegen Spanien Alexei Shirov gar nicht erst feuerwerken ließ, sondern den Routinier ausspielte, als sei er derjenige mit einem gewaltigen Erfahrungsvorsprung.

Zu zweit, aber isoliert

■ Lang ist die Liste der Neuerungen im Schach, die die Perlen vorgeschlagen haben und die dann, in der Regel nach einigem Lamentieren, eingeführt worden sind. Jetzt ist die Liste in kurzer Zeit noch länger geworden. Fast zwei Jahre lang stand hier, Ulrich Stock müsse der deutsche Schachpreis verliehen werden, nun bekommt er ihn. Nicht ganz so lange ist es her, dass hier zum ersten Mal stand, der einsam vor sich hin kommentierende Klaus Bischoff brauche eine Anspielstation. Jetzt hat er eine: Gerry “Gunny” Leusch gibt auf Schachdeutschland den Amateur, der den Großmeister mit Fragen löchert, und der nebenbei den Chat im Auge behält. Gut…

…aber hoffentlich nur ein Anfang. Nicht geändert hat sich, dass Schachdeutschland TV isoliert vom restlichen Programm sendet (steht hier auch nicht zum ersten Mal). Es fehlt ein plattformübergreifender Hashtag, #Schachdeutschland etwa, und im TV-Programm fehlt eine regelmäßige, Interaktion fördernde Ansage etwa dieser Art: “Wie werden die Deutschen abschneiden? Schreibt es uns auf Insta oder Twitter unter #Schachdeutschland. Die besten Beiträge werden wir hier im Lauf der Sendung einblenden.” Das wäre professionell.

Die Weltschachverwaltung

Klaus Deventer, Fachmann für Fair Play, zeigt, wo es langgeht. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

■ Die Zahl der in die Schacholympiade involvierten Deutschen steigt. Kein Wunder. In Chennai tagt jetzt am Rande der Bretter eine Woche lang die Weltschachverwaltung. Beim großen internationalen Paragrafenbiegen dürfen unsere Fachleute natürlich nicht fehlen. DSB-Präsident Ullrich Krause zählt sie in seinem neuesten Blogeintrag auf: Uwe Bönsch (Trainers Commission), Boris Bruhn (Chess in Education Commission), Klaus Deventer (Fair Play Commission), Marcus Fenner (Global Strategy Commission), Gregor Johann (Rules Commission), Thomas Luther (Commission for the Disabled) und Jens Wolter (Arbiters Commission). Die Tagungen der Kommissionen führen zum Höhepunkt des Weltschachverwaltens, der FIDE-Generalversammlung, bei der in diesem Jahr ein Präsident und dessen Adjutanten gewählt werden – womöglich die wichtigste, richtungsweisendste Wahl in der knapp 100-jährigen FIDE-Geschichte.

Inal Sheripov.

Was Krause offenbar nicht mitbekommen hat: Der von ihm prognostizierte Rückzug eines der vier Präsidentschaftskandidaten ist schon erfolgt. Inal Sheripov, ohnehin mehr Phantom als alles andere, tritt nicht an. Die Wahl entscheidet sich zwischen dem russischen Amtsinhaber Arkady Dvorkovich, dem ukrainischen Herausforder Andrii Baryshpolets und dem Franzosen Bachar Kouatly (der mangels Erfolgsaussicht womöglich auch noch zurückzieht).

Was Krause leider nicht erwähnt: Warum sein Schiedsgericht nicht den Mongolen den Punkt zuspricht, den ihnen im Match gegen Norwegen der Schiedsrichter gestohlen hat. Mittlerweile hat sich offenbart, dass die vom Norweger Aryan Tari in verlorener Position reklamierte dreifache Stellungswiederholung keine war. Trotzdem wird die Partie in den Ergebnissen weiter als Remis und das Match als ein 2:2-Unentschieden geführt.

DSB-Geschäftsführer Marcus Fenner ist eines von sieben Mitgliedern der FIDE-Strategiekommission. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

Die Westeuropameisterschaft

Matthias Blübaum setzt heute aus – naheliegend. Dinara Wagner und Jana Schneider bleiben drin – auch. Auf italienischer Seite ist bemerkenswert, dass der gestern hier annoncierte einzige 2600er Italiens aussetzt. Nominell ist das Match der Herren leicht einzuordnen: Gespielt wird an vier Brettern, und an jedem dieser Bretter sind die Deutschen um etwa 100 Punkte Elo-Favorit. Bei den beiden anderen deutschsprachigen Teams ist es übrigens andersherum. Deutschlandbesieger Österreich sowie die Schweiz mischen munter vorne mit. Zur Belohnung dürfen sie sich heute mit den nominell klar stärkeren Engländern und Franzosen messen. Viel Erfolg!

Die deutschsprachigen Herrenteams spielen heute in direkter Nachbarschaft eine kleine Westeuropameisterschaft aus. | via chess-results.com

|| Runde 5, 2. August

In Form

Dmitrij Kollars diagnostiziert aufsteigende Form bei sich und seinen Mitspielern. Der Schlappe gegen Österreich und der Beinahe-Katastrophe gegen Irland gewinnt er im Nachhinein Positives ab: “Sowas einmal zu überstehen, ist eine gute Sache.” Schon vor der fünften Runde habe er das Gefühl gehabt, “dass es heute glatter laufen kann”, sagte Kollars nach seiner Partie im Gespräch mit Paul Meyer-Dunker. Jetzt hofft er, dass die aufsteigende Form auch morgen auf den Brettern zu sehen ist.

Dinara Wagner, Vincent Keymer, Elisabeth Pähtz und Dmitrij Kollars zum fünften Spieltag.

3:1!

■ Herren und Damen gewinnen 3:1, zwei souveräne Vorstellungen diesmal. Das 100-Prozent-Duo Wagner/Schneider steht jetzt bei 9/9.

Morgen treffen die Herren auf Italien, die Damen auf Israel. Beide werden nominell favorisiert sein, und wieder wird auf Olympia-Neuling Vincent Keymer die Aufgabe zukommen, den besten Mann der Gegner aus dem Ring zu nehmen, voraussichtlich Daniele Vocatura, derzeit einziger 2600er Italiens. Keymer spürt die Bürde und Verantwortung, die der Job am ersten Brett mit sich bringt, fühlt sich aber dafür gerüstet: “Ich habe das ja in der Bundesliga schon geübt, das hilft”, sagte er nach seinem Sieg über die slowenische Nummer eins Jan Subelj.

https://youtu.be/YEGEE2ZVDkQ
Wie Vincent Keymer am ersten Brett seinen zweiten Punkt in Folge holte.

Vorsicht, Mongolei (2)

■ Knapp zehn Jahre ist es her, da durfte sich IM Gillan Bwalya aus Sambia beim World Cup mit einem Giganten des Schachs messen, mit Vladimir Kramnik. Diesem bisherigen Höhepunkt seiner Schachkarriere folgt heute ein weiterer: Dem sambesischen Landesmeister 2010 und 2013 sitzt der Weltmeister gegenüber. An Magnus Carlsen liegt es nicht, dass die an drei gesetzten Norweger nur mühsam ins Turnier finden (und darum Sambia zugelost bekamen). Nach einer 1:3-Niederlage gegen Italien in Runde drei oblag es in Runde vier dem Welranglistenersten, gegen die Mongolei seinen Wikingern wenigstens einen Punkt zu retten. Nebenbei stellte er noch den Zug des Spieltags aufs Brett:

https://youtu.be/Ot6JrIejcA4
Wie Magnus Carlsen seine Norweger gegen die Mongolei vor einer Niederlage bewahrte. Oder doch nicht?

Allerdings ist dieses 2:2 noch nicht fix. Norwegens Nummer zwei Aryan Tari rettete sich in verlorener Stellung in eine dreifache Stellungswiederholung – die keine war. Die Mongolen haben sich laut einem Bericht von chess24 aufgrund des offensichtlichen Schiedsrichterfehlers ans Schiedsgericht gewandt. Und damit ist die Angelegenheit ein Fall für DSB-Präsident Ullrich Krause, eines von drei Mitgliedern dieses Gremiums, das dem Vernehmen nach bislang noch nichts zu tun hatte.

Vorsicht, Mongolei

■ Sportdirektor Kevin Högy warnt vor den Mongolinnen. “Signifikant unterbewertet” seien die Spielerinnen aus dem Steppenstaat, da ihr Verband sie nicht beim Spielen internationaler Wettbewerbe unterstütze. Andererseits müssen sich die Mongolinnen heute mit dem deutschen 100-Prozent-Duo auseinandersetzen. Jana Schneider und Dinara Wagner haben zusammen bislang sieben Partien gespielt und daraus sieben Punkte erzielt. Gegen die Mongolei werden beide an den Brettern sitzen, Hanna Marie Klek setzt aus.

Vier Partien, vier Punkte: Jana Schneider. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

Covid?

■ Das Corona-Gespenst schwebte von Beginn an über einer Veranstaltung, bei der sich in zwei Hallen jeweils 1000 Leute stundenlang aufhalten, einander gegenübersitzen sogar. Hoffentlich geht das gut. Im Frauenwettbewerb an den unteren Brettern hat das Virus jetzt erstmals in den Turnierverlauf eingegriffen. Eine ganze Reihe von Partien endete kampflos. Unter anderem betroffen war die österreichische Auswahl, deren 1,5:2,5 gegen Paraguay auch auf eine kampflose Niederlage am ersten Brett zurückzuführen ist.

Revanche!

Den Adler auf der Brust: Vincent Keymer 2018 in Bad Blankenburg. | Foto: Klaus Steffan

■ 2018 Bad Blankenburg, wer erinnert sich? Während bei den Mannschaftsjugendeuropameisterschaften in der U12w Luisa Bashylina und Svenja Butenandt souverän den Titel holten, tat sich der von Roven Vogel und Vincent Keymer angeführte Deutschlandvierer in der U18 schwer. Am Ende holten die Rumänen den Titel. Für eine im Lauf des Wettbewerbs gegen den Slowenen Jan Subelj erlittene Niederlage kann sich Keymer heute revanchieren. Die Jugend-Nationalspieler von einst begegnen einander heute am ersten Brett ihrer “richtigen” Nationalmannschaft wieder. Im deutschen Team wird Liviu Dieter Nisipeanu nach seinem gestrigen Geburtstag ein weiteres Mal aussetzen.

Eine Glanzpartie des 13-jährigen Vincent Keymer von der Mannschaftseuropameisterschaft U18 vor vier Jahren.

|| Runde 4, 1. August

Zum ersten Mal an Eins

■ Mit jedem weiteren Tag, den er aussetzte, wurden die Fragen auf allen Kanälen drängender: Was ist mit Vincent Keymer? Der Schachbund übte sich derweil in der schönen Tradition, die offensichtlichen Fragen nicht zu antizipieren noch sonst irgendetwas mitzuteilen. Der beste deutsche Schachspieler wurde stillschweigend nicht aufgestellt. Sicher ist: Vincent Keymer in der Form von heute hätte gestern gegen Österreich geholfen. Sicher ist auch: Nun hat er endlich gespielt und sich bestens eingeführt. Zum ersten Mal bei einer Schacholympiade, zum ersten Mal am ersten Brett der Nationalmannschaft, und gleich ein voller Punkt, überzeugend herausgespielt gegen Alexander Baburin.

https://youtu.be/2fKi8fFKomc
Vincent Keymers Sieg über Alexander Baburin.

Mit Ach und Krach und Pokerface

Ist möglicherweise ein Bild von Schach, außen und Text „Murphy 2404 Bluebaum 2673 2 FollowChess“
Wer versteht, was hier los ist?

■ Natürlich kann Matthias Blübaum gegen Zweispringer-Caro-Kann ausgleichen. Aber gegen einen nominell klar schlechteren Spieler (der am Vortag Amin Tabatabei geschlagen hatte) wollte er offenbar ein Handgemenge anzetteln – und wurde bitter bestraft. Am Ende einer schwer bis gar nicht durchschaubaren Partie zog er den Kürzeren. Da war es gut, dass zu diesem Zeitpunkt schon Vincent Keymer bei seiner Olympiapremiere sowie Dmitrij Kollars zum 2:0 vorgelegt hatten. Aber auch Rasmus Svane stand platt (laut Engine). Dass es trotzdem mit Ach und Krach ein 2,5:1,5 für Deutschland wurde, verdanken Jan Gustafssons Schützlinge Svanes Pokerface. “Optimistisch gucken”, gut 200 Elo mehr haben, und dann bieten die Gegner gelegentlich Remis an, obwohl sie gewinnen könnten. Morgen geht es gegen Slowenien, das ist eine Mannschaft mit etwa Österreich-Format. Die Frauen, 1,5:2,5 gegen Rumänien, spielen gegen die Mongolei.

46!

■ Am Geburtstag Schach zu spielen, ist oft nicht von Erfolg gekrönt. Außerdem kann dem Senior des Teams im schwül-heißen indischen Klima eine Pause nicht schaden. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Liviu Dieter Nisipeanu!

In den ersten beiden Runden gewann Liviu Dieter Nisipeanu jeweils als Erster. Hier der Zweitrunden-Sieg gegen Finnland.

Württemberger Ire

■ Einer von den Deutschen, die nicht als Teil der deutschen Delegation an der Schacholympiade 2022 teilnehmen, sitzt heute auf der anderen Seite der Bretter. Wenn Mark Heidenfeld (in Irland geboren und aufgewachsen, siehe Wikipediaeintrag) nicht gerade für die irische Nationalmannschaft spielt, dann spielt er für den SV Jedesheim in Württemberg in der Oberliga. Und so sehen wir zwischen Deutschland und Irland an Brett drei ein Baden-Württembergisches Duell. Heidenfelds Gegner Dmitrij Kollars spielt für die SF Deizisau (Baden) in der Schachbundesliga.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6f/Short_Nigel_with_Heidenfeld_Mark_from_Ireland_%2829580502005%29.jpg
Mark Heidenfeld (rechts) im Gespräch mit Nigel Short. | Foto: Andrea Kontokanis CC BY-SA 2.0

Go, Boys! (Nicht die in grün)

Auf den kann er sich stützen: Irlands Teamchef Carl Jackson mit Alexander Baburin. | Foto via Irish Chess Union

■ Die Schachnachrichten vom 7. November 2000: Deutschland und Armenien führen die Schacholympiade an, und ein gewisser Gerard Hertneck (ein Franzose wahrscheinlich) teilt sich den Sieg bei den Internationalen Offenen Bayerischen Meisterschaften. Wo das steht? In der ersten Ausgabe von “Chess today“, dem ersten täglichen Schach-Newsletter (mit Betonung auf “News”), den Großmeister Alexander Baburin mehr als 20 Jahre lang (bis Dezember 2020) herausgab. Baburin hatte erkannt, dass im Internetzeitalter gedruckte Schachzeitschriften mit den Nachrichten von vor vier Wochen kein nachhaltiges Geschäftsmodell sind. Also versandte er täglich per Mail seinen Schachbrief mit News, Analysen und gelegentlichen Interviews in alle Welt an eine schnell steigende, bald vierstellige Abonnentenzahl (darunter anfangs der Schreiber dieser Zeilen). Der gebürtige Russe, bis heute Irlands einziger Schachgroßmeister, hat dem Denksport auf der grünen Insel einigen Auftrieb gegeben. Und er stand im Mittelpunkt einer emotionalen Debatte: Darf jemand am ersten Brett für Irland spielen, der nicht aus Irland stammt? Das Ergebnis der Debatte: Ja, er darf, und er sitzt dort heute mittlerweile 55-jährig immer noch. Gegen Deutschland bekommt er es mit jemandem zu tun, der 38 Jahre jünger ist. Vincent Keymer, nun offenbar vollständig genesen, steigt zur vierten Runde in den Wettbewerb ein.

Bild
Bestens gelaunt trifft der Deutschlandvierer mit Steuermann am Stadion ein. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Schachbund

Go, Girls!

■ 4:0, 4:0, 4:0. Ganz so gut wie die Wunderknaben von Team “Indien B” sind die deutschen Damen nicht, aber auch sie stehen verlustpunktfrei da. Heinemann&Co. gehen auch ins Viertrundenmatch gegen Rumänien als Favoritinnen. Und wieder gilt das Schweizer-System-Gesetz: Nach jedem Sieg wird das nächste Match schwieriger. Drücken wir nach den Berg- und Talfahrten der dritten Runde die Daumen, dass auch dieses Match mit einem Hoch endet.

Mutig: Josefine Heinemann neigt dazu, möglichst früh Handgemenge anzuzetteln. In diesem Fall zu Recht.

Bern 1954, Cordoba 1978, Chennai 2022

■ Die Vorzeichen waren natürlich andere als 1978 in Córdoba. Weder traten die Deutschen in Chennai 2022 als amtierende Weltmeister gegen Österreich an, noch stand das Überleben im Turnier auf dem Spiel. Trotzdem: Als klare Favoriten waren sie allemal angetreten, und so erstaunt es nicht, dass Rasmus Svane das 1,5:2,5 gegen das Nachbarland “superärgerlich” findet. Svanes Statement nach der Niederlage fehlte allerdings der Geist von 1954, Bern, Wankdorfstadion: “Jetzt erst recht.” Es ist ja nichts verloren, stattdessen lässt sich in den kommenden Runden, und das mag sogar ganz angenehm sein, im Windschatten der Spitzenteams durchpunkten.

Das Anti-Blübaum-Rezept

Ob Arkadij Naiditsch demnächst Team Österreich verstärkt? Dieses vor ein paar Wochen noch heiße Gerücht ist zuletzt ein wenig abgekühlt. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Schachbund

■ Als vor zehn Jahren Peter Heine Nielsen (damals Coach des Weltmeisters Viswanathan Anand) die Deutschen betreute, war vorab geklärt, dass er seinen Schützlingen keine Eröffnungsgeheimnisse Anands preisgibt. Aber er hatte nicht mit Arkadij Naiditsch gerechnet. Der machte dem Dänen so lange Druck, bis Nielsen Naiditsch doch eine Datei aus Weltmeisterbeständen zukommen ließ. Die Folge: Naiditsch beschwerte sich bei Nielsen über die seiner Auffassung nach mangelnde Qualität der Analysen aus dem Anand-Eröffnungslabor. Neulich im Chicken Chess Club erzählte Nielsen diese Episode – und fragte Jan Gustafsson, ob womöglich dessen Dateien aus dem Carlsen-Labor nun in deutsche Hände fallen. Gustafsson verneinte das – und ergänzte: “Außer natürlich, Blübaum und Svane machen so lange Druck, dass ich mir nicht anders zu helfen weiß.” Vielleicht stieg Gustafsson bei seinem gestrigen Besuch im chess24-Stream deswegen mit der Feststellung ein, Matthias Blübaums tiefe Konter-Vorbereitung auf Markus Raggers Anti-Blübaum-Rezept sei dessen eigener Arbeit entsprungen.

|| Was bisher geschah

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Christoph Thurner
Christoph Thurner
1 Jahr zuvor

Seit gestern wird auf dem Turniergelaende das Maskentragen verstaerkt eingefordert. Jede Menge zusaetzlicher Plakate, Mitarbeiter die mit Stapeln von Masken herumlaufen etc.

In den Spielhallen scheint dass aber noch nicht angekommen zu sein wenn ich mir die Uebertragung so ansehe.

In unserem Teamhotel hat es wohl noch keinen Fall gegeben, zumindestens laeuft alles so wie bisher.

Schwadroniermeister
Schwadroniermeister
1 Jahr zuvor

Werter Herr Schormann,
Sie erwarten wieder mal ganz schön viel von dem was Sie umsonst haben wollen
(und bekommen). Ein Kommentator ist doch keine eierlegende Wollmilchsau!
Günny und Klaus machen ihren Job sehr ordentlich.

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[…] Schacholympiade 2022: der TickerWas ab dem 1. August in Chennai geschieht. […]

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Wenn man Mannschaften aufstellt – machte ich selbst auch im Jugendbereich – ist es hinterher richtig oder falsch, man weiß es erst hinterher. “Sicher ist: Vincent Keymer in der Form von heute hätte gestern gegen Österreich geholfen.” Sicher ist gar nichts: Baburin ist ein alternder GM, mittlerweile nicht mehr GM-Niveau und auch kaum neuere Partien gegen GMs, wahrlich nicht mit Markus Ragger vergleichbar. Wenn er in bereits verflachter Stellung nicht mit 12.-Ld7? daneben gegriffen hätte (12.-b5 war an sich logisch) hätte Keymer wohl nicht schnell und schön gewonnen – vielleicht trotzdem “im Stil von Carlsen” d.h. in einer langen und… Weiterlesen »

Lars Pfuhl
Lars Pfuhl
1 Jahr zuvor

Zum Norweger Aryan Tari: Es gibt keine 3fache Zugwiederholung, nur 3fache Stellungswiederholung.

Ralf Wohlrabe
Ralf Wohlrabe
1 Jahr zuvor

Ich lese zwar machmal was vom Frauentrainer Yakovich, das er die Mannschaft aufstellt, aber er scheint inkognito zu bleiben. Oder gab es schon ein Foto mit ihm und den fünf Frauen?

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kleineme
kleineme
1 Jahr zuvor

|> Heidenfelds Gegner Dmitrij Kollars spielt für die SF Deizisau (Baden) in der Schachbundesliga.

Auch wenn die Konzernzentrale in Baden beheimatet ist, so liegt Deizisau doch in Württemberg, dabei im Bezirk Neckar-Fils nicht mal grenznah genug, dass ein Verbandswechsel in Frage käme, wohingegen Jedesheim zwar in Württemberg spielt, aber in Bayern liegt 😉

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Busquets
Busquets
1 Jahr zuvor

Man kann überall und jederzeit Infektionen zusammentesten, gar keine Frage. Wie sollte es anders sein?

Die Frage ist halt, ob wir irgendwann wieder zur Normalität zurückfinden wollen oder nicht.