Fragestunde mit Garry Kasparow

Frag mich alles, “Ask me anything” (AMA), heißt eines der bekanntesten Formate auf Reddit. Jetzt hat sich Garry Kasparov den Fragen der Reddit-User gestellt – die sich in erster Linie um Künstliche Intelligenz, Datensicherheit und Politisches drehten. Aber natürlich spielte auch das Schach eine zentrale Rolle, teils im Zusammenhang mit den drei vorgenannten Komplexen. Kasparovs Schach-Antworten haben wir übersetzt, neu sortiert und leicht redaktionell bearbeitet.

Das komplette (sehr lange!) AMA mit Kasparov findet sich hier.

Die erste Begegnung dieser beiden 1981 in Tilburg: Garry Kasparov schlug Robert Hübner mit Schwarz.

Was halten Sie von Schach960 oder anderen Varianten des Spiels? Welche ist Ihr Favorit, welche halten Sie für die Zukunft des Schachs für die vielversprechendste?

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Sollten wir eine Variante als Verbesserung bezeichnen, wenn wir Probleme mit dem Original haben? Ich mag Eröffnungen, ihre reiche Geschichte und die Arbeit, die mit ihrem Erforschen verbunden ist. Das ist ein wichtiger Teil des Spiels. Andererseits: Schach960 macht Spaß, es ist ganz frisch und eine willkommene Ergänzung der Schachwelt.

Was halten Sie von der Entwicklung des Schachs seit ihren Deep-Blue-Matches? Wie wird es sich in Zukunft entwickeln?

Die Spieler werden besser, wir verstehen mehr, es geht immer weiter. Das Spiel geht nicht weg, im Gegenteil, es ist populärer denn je, und die Leute werden immer wissen wollen, wer der Beste ist – der beste Mensch! Die Zuschauer halten ja auch beim 100-Meter-Lauf immer noch gebannt den Atem an. Die menschliche Konkurrenz macht das Spiel attraktiv.

Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das Match gegen Deep Blue verloren haben?

Wenn Sie sich das Video meines Abgangs ansehen, brauchen Sie nicht viel Fantasie, um zu wissen, was mir durch den Kopf ging!

Kasparov gibt sich geschlagen, ein Symbol für den verlorenen Kampf des Menschen gegen die Maschinen? Kasparov mag das einst so empfunden haben, hat sich aber in der Folge intensiv mit künstlicher Intelligenz beschäftigt und ist längst viel mehr aufs Miteinander denn aufs Gegeneinander fokussiert (siehe Buch am Ende dieses Beitrags).

Ich möchte an Ihre Partie gegen Topalov im Jahr 1999 erinnern. Bei allem Respekt, haben Sie wirklich alle Varianten so weit berechnet, dass Sie sahen, dass am Ende auf h8 ein Turm hängt?

Ja, das musste ich sehen. In dem Moment, als ich 24.Txd4 gespielt habe …

… hatte ich die Position nach 37.Txd7 vor Augen.

Natürlich habe ich nicht jede mögliche Abzweigung dazwischen berechnet, aber dieser letzte Schlüsselmoment kam mir wie ein Blitz.

Sie waren 20 Jahre lang an der Spitze. Glauben Sie, dass Schachmeister der aktuellen Ära wie Magnus Carlsen das erreichen oder übertreffen können?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, obwohl Magnus eindeutig über die erforderlichen Gaben verfügt: Talent, Kreativität, Disziplin. Aber Elite-Schach wird als Wettbewerb immer fordernder, mehr Partien, mehr Orte, mehr Turniere, mehr Ablenkungen und Möglichkeiten. Ich war 42 Jahre alt und immer noch die Nummer eins, als ich 2005 in den Ruhestand ging. Ich hatte das Gefühl, in der Schachwelt nichts mehr erreichen zu können. Magnus hätte noch zehn Jahre vor sich, um gleichzuziehen, eine lange Zeit. Wenn Magnus hungrig bleibt und es ihn immer noch glücklich macht, vielleicht der Wettbewerb mit einem Top-Herausforderer, der ihn reizt – es wäre möglich. Aber das Tempo des Wandels ist sein Feind, deshalb bin ich skeptisch.

Wird Ihr großer Rivale Anatoly Karpov im Pantheon der Großen unterschätzt? Alle reden über Sie, Carlsen, Fischer, aber Karpov erscheint wie der vergessene Mann. Seine Karriere spricht für sich, aber vielleicht hat er keine Verbindungen zum Westen oder ist von Natur aus zurückhaltend oder hat keine Hollywood-Geschichte wie Fischer, und all das arbeitete gegen seine Legende.

Karpov hatte seinen Ruhm in der UdSSR. Jetzt genießt er die Gunst von Putins Russland. Ich denke nicht, dass es ein Zufall ist, dass solch eine Vergangenheit und Gegenwart auf Kosten der globalen Anziehungskraft geht.

Anatoly Karpov mit FIDE-Chef Arkadi Dvorkovich. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

Hatten Sie jemals Probleme mit dem KGB? Vielleicht besonders zu der Zeit, als Sie gegen Karpov gespielt haben?

Mein ganzes Leben war mit dem KGB verstrickt, von meinen Tagen als sowjetischer Spieler, der ins Ausland reiste und einem sowjetischen Favoriten gegenüberstand, bis zu meiner Arbeit als demokratiefreundlicher Aktivist.

Wie hat die UdSSR als Nationalstaat Ihren schachlichen Aufstieg in unterstützt? Glauben Sie, dass Sie den gleichen Erfolg gehabt hätten, wenn Sie in einem anderen Land geboren worden wären?

Die UdSSR betrachtete Schach als einen Weg, um die Überlegenheit des kommunistischen Systems zu fördern, und ich profitierte von dieser Betonung wie jeder andere sowjetische Spieler. Wir hatten Bedingungen für Training und Wettkampf, die anderswo unerreicht waren. Schach war überall präsent, darum wurden überall Top-Talente entdeckt und effizient gefördert. Talent gibt es überall, aber nicht die Gelegenheiten, es zu entfalten.  

Hätten Sie Sie in Ihrer Blüte Bobby Fischer in dessen Blüte schlagen können?

Kein Interview ohne diese Frage! Ich mag diese “Zeitmaschinen”-Fragen nicht, weil sich Schach weiterentwickelt und die Spieler lernen und sich verbessern, insbesondere über mehrere Generationen hinweg. Fischer war ein Titan, vor seinen Kollegen wie kein anderer zuvor oder seitdem, wusste aber weniger über Schach als die heutigen Elite-Teenager.

Wie sehen Sie die Züge der aktuellen Top-Großmeister im Vergleich zu den großen Spielern der Vergangenheit? Wenn zum Beispiel Magnus Carlsen und Michail Botvinnik ein Match spielten, und alle Partien beginnen mit einer ausgeglichenen Mittelspielposition. Wer würde gewinnen?

Wetten Sie bei diesen hypothetischen Vergleichen immer auf die spätere Generation. Das Wissen nimmt mit der Zeit zu, das Spiel wird reicher und die Spieler werden besser. Abgesehen von ein paar technischen Endspielen ist alles mit dieser wachsenden Basis an Wissen und Verständnis verbunden. 

Worüber haben Sie in letzter Zeit Ihre Meinung geändert?

Ich glaube, dass die vermeintlich “langweilige”, praktische KI möglicherweise wichtiger ist als all die Flüge zum Mond und andere Science-Fiction-Sachen, die Schlagzeilen machen. Ich glaube immer noch daran, dass Ehrgeiz ein Schlüssel zum menschlichen Erfolg ist, aber wir übersehen, dass KI bereits hier ist, dass sie unser Leben bereits verbessert, anstatt sich als Terminator zu entpuppen, der Arbeitsplätze auslöscht. Die Automatisierung von Jobs ist eine Herausforderung, sie schafft aber auch Arbeitsplätze.

Wer ist der freundlichste Schachspieler, dem Sie begegnet sind?

Der freundlichste? Ich kann nicht sagen, dass ich darauf während meiner Karriere besonders geachtet hätte. Mikhail Tal muss ich in dieser Hinsicht nennen. Heute hat Levon Aronian immer ein freundliches Wort und ein Lächeln übrig.

Immer ein freundliches Wort, immer ein Lächeln: Levon Aronian im Gespräch mit Woody Harrelson. | Foto: Grand Chess Tour

Was ist der beste Rat, den Sie neuen Schachspielern geben können?

Spielen! Viele neue Spieler sind besessen davon, Schach zu lernen oder darüber zu lesen. Aber wer wird schon ein guter Tänzer, indem er Bücher übers Tanzen liest? Spieler spielen!

Als Gelegenheitsschachspieler finde ich die ersten drei, vier Eröffnungszüge langweilig und vorhersehbar. Sie sind eine bloße Formalität, um zur eigentlichen Action zu kommen. Wie kann ich die Eröffnung spannender und unterhaltsamer gestalten?

Spielen Sie keine Eröffnungszüge, die Sie nicht verstehen! Dies ist ein Punkt, den ich auf meiner neuen Kasparovchess-Seite hervorheben wollte: dass Gelegenheitsspieler sich zu viele Gedanken über Eröffnungszüge, Theorie, Eröffnungsnamen usw. machen. Entwickeln Sie Ihre Figuren, kontrollieren Sie das Zentrum, bringen Sie Ihren König per Rochade in Sicherheit. Auf diese Weise können Sie nichts falsch machen. Der aufregende Part, Angriffe und Riposten, kommt dann automatisch. Ich persönlich liebe Eröffnungen und Eröffnungstheorie, aber für Anfänger und Gelegenheitsspieler ist das nichts als eine Ablenkung. Folgen Sie grundlgenden Prinzipien, spielen Sie so oft wie möglich. Ihre Fehler werden Ihr bester Lehrer sein.

Haben Sie “The Queen’s Gambit gesehen”? Wie fanden Sie est?

Ich war ja als Berater involviert, darum sage ich, dass die Show so authentisch ist, wie ich sie machen konnte. Viele Spielpositionen, Turnierszenen und sowjetischen Szenen habe ich geholfen realistisch zu machen – obwohl vor allem anderen natürlich Hollywood-Drama erforderlich war. Mir hat es viel Freude bereitet, und es war ein großer Erfolg für Showrunner Scott Frank und Hauptdarstellerin Anya Taylor Joy. Beth Harmon hat wahrscheinlich mehr getan, um Schach zu fördern, als alle echten Schachmeister zusammen.

Ihr Frühstück?

Kaffee! Normale Milch, bitte, keine lustigen Sachen. Joghurt mit Honig und Walnüssen. Weit entfernt von dem schweren regelmäßigen Frühstück mit Lachs und Brot in meinen jüngeren Jahren! 

 Was bedauern Sie am meisten?

Ich bin glücklich mit meinem Leben, wie es ist. Also wäre Bedauern fehl am Platz. Wenn ich Dinge anders gemacht hätte, dann hätte ich ja jetzt nicht dieses glückliche Leben. Man kann aus Fehlern lernen, ohne in ein anderes Universum umziehen zu müssen. Ein Fehler, das sage ich immer wieder, war es, sich zum WM-Match 1993 von der FIDE zu lösen. Das war schlecht fürs Schach.

Nicht nur die Geschichte seines Matches gegen Deep Blue, auch die Geschichte der Künstlichen Intelligenz erzählt Garry Kasparov in diesem Werk. Und kommt zu dem Schluss, dass diese Geschichte in ein Miteinander des Menschen mit den Maschinen münden sollte.
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Claus Seyfried
2 Jahre zuvor

Ein wunderbares Interview!