“Der deutsche Schachbund ist keine Bank”: Michael S. Langer im Gespräch

Im deutschen Schach gibt es kaum ein Rädchen, an dem Michael S. Langer noch nicht gedreht hat. Von 2003 bis 15 war er Mitglied des DSB-Präsidiums, seit 2007 ist er Vorsitzender des Niedersächsischen Schachverbands. Obendrein, und das macht ihn zum Unikum unter Schachfunktionären, ist Michael S. Langer mit Sitz und Stimme im Präsidium des Landessportbunds Niedersachsen vertreten.

2027 wird der Deutsche Schachbund 150 Jahre alt. Bis dahin soll der Tanker neu ausgerichtet und auf Kurs sein. Auf welchem Kurs, das will die DSB-Spitze jetzt per 19-Punkte-Agenda festschreiben. Michael S. Langer ist einer der Väter dieser Agenda, die im November der Hauptausschuss des DSB beschließen soll.

Michael S. Langer am Freitagabend beim Festakt zum 150-jährigen Bestehen seines Vereins SC Gliesmarode. Wer genau hinschaut, sieht das Logo der niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung an seinem Hemdkragen. Diese Stiftung unterstützt den niedersächsischen Verband erheblich (siehe weiter unten im Text).

Bis gestern hast du beim Meisterturnier der Bezirksmeisterschaft gespielt. Wie ist es gelaufen?

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Ach, na ja. H-Zahl 1815, das kostet mich DWZ.

Tja. Entweder Funktionär oder Spieler. Beides geht nicht.

Das sehe ich anders. So lange ich mich fürs Schach engagiere, will ich Schachspieler sein. Sollte ich irgendwann den Kontakt zum Brett verlieren, lasse ich es ganz.

Der Funktionär Michael S. Langer war jetzt Teil einer Gruppe, die dem deutschen Schach eine moderne Agenda und dem Schachbund eine moderne Struktur geben sollte. Wie kam das?

2007 gab es schon einmal eine ausführliche Debatte darüber, eine zweitägige Konferenz in Eisenach, moderiert vom DOSB. Damals ist letztendlich viel Papier entstanden, das am Ende niemanden mehr interessierte. In der Ära Bastian gab es einen Anstoß, das Leitbild des DSB neu zu schreiben, auch der versandete. Ullrich Krause hat die Sache wieder aufgenommen. Er hat die Landespräsidenten gefragt, ob sie in einem Gremium mitarbeiten wollen, das den DSB und seine Struktur auf den Prüfstand stellt. Daran habe ich mich gerne beteiligt, ebenso wie Diana Skibbe aus Thüringen und Guido Springer aus Mecklenburg-Vorpommern. Dazu kamen Ullrich Krause, Boris Bruhn, Marcus Fenner und Jörg Schulz.

Was genau sollte dieses Gremium gebären? Ein neues Leitbild?

Ziele. Kurz-, mittel- und langfristige, und das mit der Stoßrichtung 150 Jahre DSB im Jahr 2027.

Anderssen-Feier im Gründungsjahr des Deutschen Schachbunds.

Jetzt habt Ihr 19 Ziele aufgeschrieben, demnächst soll sie der Hauptausschuss beschließen. Aber diejenigen, die die Ziele erreichen und die Arbeit machen sollen, die Referenten nämlich, wüssten nichts davon, wäre euer Papier nicht durchgesickert.

Die Referenten müssen einbezogen werden, keine Frage. Und das wird ja auch bald geschehen.

Vielleicht finden die Referenten es gar nicht so toll, dass ihnen plötzlich Ziele verordnet werden – und regelmäßige Prüfungen, ob sie ihre Ziele erreichen.

Erst einmal ist gut und wichtig, dass wir klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten geschaffen haben. Wer beackert welches Thema, wer berichtet wozu. Jetzt müssen wir die Referenten mitnehmen. Ich gehe übrigens davon aus, dass die Referenten vom Präsidium auf dem Laufenden gehalten werden.

Langfristig müsst ihr sogar mehr als 90.000 Leute mitnehmen, aber ihr ordnet oben etwas an, dann soll es nach unten einsickern. Warum nicht andersherum? 19 Ziele, okay, aber macht sie bitte öffentlich und stellt sie zur Diskussion. Stattdessen werden sie jetzt vom einen zum nächsten Elfenbeinturm weitergereicht.

2007 gab es den Versuch, die Basis stark in den Prozess mit einzubeziehen. Die Vereine bekamen Fragebögen, in denen viel Arbeit steckte, um möglichst gute Ergebnisse zu erzielen. Der Rücklauf war, na ja, überschaubar. Insofern bezweifele ich, dass eine öffentliche Debatte gleich zu Beginn wirklich funktionieren würde. Und wer würde daraus Ergebnisse von praktischem Nutzen filtern? Dieses Mal war erklärter Wunsch aller, allen voran von Ullrich Krause, erst einmal möglichst effizient und pointiert aufzuschreiben, wohin wir steuern wollen. Was daraus wird, nachdem es beschlossen ist, sehe ich als transparenten Prozess, der alle angeht.

Wird es beschlossen?

Ich bin gespannt.

Der Schachbund und seine Sponsoren: Als der DSB 2012 eine größere Veranstaltung mit dem Sponsor Bahn organisierte, war die vor allem darauf ausgelegt, ein paar Tage lang eine möglichst üppige Sause und sich selbst zu feiern. Etwas Zukunftsfähiges, Fortsetzbares stand nicht auf der Agenda. Stattdessen standen hinterher erhebliche Nachforderungen des DSB an die Bahn im Raum, weil der Schachbund dutzende ausländische Schachmeister eingeflogen hatte, deren Auftritt honoriert werden musste. Bahnchef Richard Lutz (rechts) ist seitdem nicht mehr im Schachkontext aufgetreten. Gernot Gauglitz (Mitte) mit seiner UKA hält dem DSB weiterhin die Treue. (Foto: Schachbund)

Anhand eures Papiers fällt mir schwer zu erkennen, inwieweit ihr die Struktur des DSB auf den Prüfstand gestellt habt. Was ist mit deinem auf Facebook vorgebrachten Vorschlag, hinsichtlich Sponsorengewinnung und -pflege den Präsidenten im Haupt- oder Nebenamt zu beschäftigen? Was ist generell mit der Debatte Profession versus Ehrenamt?

Ich hab‘ ja zwölf Jahre im Präsidium mitgearbeitet, war vier Jahre stellvertretender Präsident. Darum weiß ich, dass die Termindichte, die solche Ämter mit sich bringen, sich mit kaum einem Beruf vereinbaren lässt. Zumal, wenn man kontinuierlich operativ mitarbeiten möchte und soll. An der Stelle muss sich der DSB irgendwann entscheiden, was und wohin er will. Ich provoziere mal: Wenn in erster Linie Rentner ohne anderes Hobby für Spitzenämter zur Wahl stehen sollen, kann alles so bleiben, wie es ist. Ansonsten müssen wir klären, wie wir Verdienstausfälle kompensieren. Arbeitstreffen mit Sponsoren fallen eben nicht auf den typischen Samstagnachmittag.

Aber aktuell bist du mit deinem Vorstoß Profi-Präsident gescheitert?

Den Denkanstoß habe ich durchaus gegeben. Anscheinend sind wir noch nicht so weit, dass so etwas laut diskutiert werden darf!? Das ist in anderen Verbänden teilweise anders. Es wird zunehmend schwieriger werden, gute Leute zu finden, die ehrenamtlich ein Pensum leisten wie vergangene Präsidenten oder der jetzige. Der teilweise geleistete ehrenamtliche Zeitaufwand erreicht Dimensionen, die zumindest ansatzweise vergütet werden müssen. In der Satzung verankerte Aufwandsentschädigungen wären ein Weg in diese Richtung. Grundsätzlich werden wir auch über Professionalität nachdenken müssen.

Wenn es bei den Funktionären noch Denkverbote gibt, warum nicht den Wirtschaftsdienst professionalisieren? Stattdessen soll er aufgelöst werden.

Mir ist eigentlich egal, wer es macht, ob wir jetzt einen hauptamtlichen Geschäftsführer beim Wirtschaftsdienst einsetzen oder dem Präsidenten die Bedingungen für professionelle Verbandsarbeit schaffen. DSB-Partner erwarten gelegentlich, dass der Präsident sie besucht, darum denke ich eher in diese Richtung. Das würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Charity-Dinner, ein Modell fürs Schach? (Foto: worldpompe.org)

Sponsoring soll die eine finanzielle Säule des DSB bilden, „Fundraising“ die zweite. In eurem Gremium warst du wahrscheinlich der einzige ausgebildete „Fundraiser“. Was bedeutet der Begriff?

Fundraising geht über Sponsoring hinaus. Den Wert deiner Organisation für die Gesellschaft vermittelst du Menschen so, dass sie bereit sind, dich zu unterstützen. So etwas gibt es in der Sozialarbeit, bei karitativen Einrichtungen. Insbesondere in den USA ist Fundraising weit verbreitet.

Also veranstaltet der DSB demnächst am Ende des Gipfels ein Charity-Dinner?

Meinetwegen (lacht). Fundraising kann auch auf Vereinsebene funktionieren. Mein Verein in Niedersachsen hat eine alte Bibliothek, die wir im Nachlauf zum 150-jährigen Jubiläum gerne restaurieren würden. Das kostet viel Geld. Bei unserem Festempfangs am 25. Oktober zeigen wir den den Gästen unsere alten Bücher und setzen darauf, dass sie es schön fänden, wenn sie der Nachwelt erhalten bleiben und  restauriert werden. Und dann sehen wir weiter!

Wenn das erfolgreich sein soll, musst du eine emotionale Verbindung zwischen euch, euren alten Büchern und den Besuchern erschaffen.

Fundraising ist hochemotionale Arbeit, die in der Praxis auch einschließt, um das Erbe von alten Menschen zu werben. Der Fundraiser geht letztendlich von Tür zu Tür, vermittelt den Wert dessen, was er tut, so dass die Menschen gerne geben.

Und das funktioniert?

In Deutschland bei weitem nicht so gut wie in den USA.  Das liegt nicht am Fundraising selbst, sondern oft an denen, die es in ihren Einrichtungen implementieren. Es entstehen immer wieder anfangs kostspielige Abteilungen für Fundraising, die vor der Aufgabe stehen, Netzwerke und Beziehungen aufzubauen, zu pflegen und zu erweitern. Aber dann fehlen oftmals die Geduld und die Einsicht, dass so ein Prozess dauert und nicht von heute auf morgen funktioniert. Fundraising muss wachsen, braucht die dafür nötigen Ressourcen, dann ist es ein sehr gutes Werkzeug, um Mittel einzuwerben.

Funktioniert es in Niedersachsen?

Ja, das zeigen wir schon seit Jahren. Das Bremer Schulschachprojekt mit 1.500 Schach spielenden Kindern zum Beispiel basiert auf einem kleineren Projekt in Niedersachen, das seinerzeit unser Verband und ChessBase entwickelt und umgesetzt haben. Die Mittel dafür hat uns die Lotto-Stiftung bewilligt. Über die Stiftung haben wir jetzt auch Rustam Kazimdzhanov für das niedersächsische Schach gewonnen.

Der DSB, ein vermögender Verband.

Dem DSB mangelt es auch ohne Fundraising nicht an Geld: eine halbe Million auf dem Konto, das ist wahrscheinlich Rekord. Professionelle Arbeit ist trotzdem nicht erwünscht, obwohl sie bezahlt werden könnte und an vielen Stellen bitter nötig wäre. Und jetzt soll sich der eh schon wohlhabende deutsche Schachverband dank Sponsoring und Fundraising auch noch in eine Geldmaschine verwandeln. Aber ich sehe keinen Plan, was ihr mit all der Kohle machen wollt.

Immerhin ist dieses Defizit benannt. Es gibt einen entsprechenden von mir formulierten Absatz im Zielpapier, der einen Investitionsplan einfordert. Der DSB verwaltet gerade tatsächlich gewaltige Rücklagen. Wir sind aber keine Bank, das betone ich gern immer wieder und habe es auch jetzt deutlich gesagt.

Na, denn: Wohin mit der Kohle?

Schulschach? Leistungssport? …. Genau dazu müssten sich dringend Leute einbringen. Wir brauchen eine Ausgabenpolitik mit geregelten und mehrheitlich getragenen Schwerpunkten.

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[…] „Der deutsche Schachbund ist keine Bank“: Michael S. Langer im Gespräch […]

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[…] Noch vor kurzem bestand das Problem eher darin, dass der DSB zu viel Geld hat, Tendenz kontinuierlich steigend – eigentlich. Aber dann ging es rasant begab, ohne dass es […]

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[…] Der Präsident des Niedersächsischen Schachverbands, Michael S. Langer, gibt dem Blog „Perlen vom Bodensee“ ein Interview. […]

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[…] Seite veröffentlicht. Für unsere Berichterstattung haben wir jetzt mit Michael S. Langer ein Interview über die Agenda geführt. Langer ist einer der Väter des Papiers, außerdem Präsident des Niedersächsischen […]

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[…] er ebenso wie seine Vorgänger meilenweit entfernt. Professionalität ist nicht erwünscht, siehe dieses Interview. Im übrigen würde Krause wahrscheinlich bestreiten, dass der DSB ein Kommunikationsproblem hat, […]

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[…] wie es ist, hält Michael S. Langer den AKLV für „überflüssig. Er müsste dringend aus der Satzung des DSB entfernt werden“. Das […]

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[…] stehen im Verbandsprogramm mehrere Pläne, wie sich noch mehr Geld anhäufen lässt, siehe dieses Interview. Daran hat sich dem Vernehmen nach nichts […]