Ein Kommentator, der findet, Schach sei nichts für Frauen, ist eine Fehlbesetzung. Ein Schiedsrichter, der die Regeln nicht kennt, auch. Der Frauen-Grand-Prix in Astana (Kasachstan) ist Schauplatz zweier solcher Fehlbesetzungen. Während der Fall des Sexisten Ilya Smirin internationale Proteste und dessen Absetzung als Kommentator auslöste, beschränkt sich der Ärger über den regelunkundigen Schiedsrichter Abd Hamid Bin Abd Majid auf die deutsche Schachszene.
Nach der neunten Runde hatte der Unparteiische Dinara Wagner mitgeteilt, sie habe nun eine IM-Norm erzielt. Wagner verbreitete die frohe Kunde sogleich auf Twitter.
Zahlreiche Fans freuten sich mit ihr und gratulierten. Dann meldete sich der deutsche Schiedsrichter Jürgen Klüners. Er verwies auf das FIDE-Handbuch, Praragraf 1.41e.
Klüners hat Recht. Das neue (seit Beginn dieses Jahres geltende) FIDE-Reglement ist eindeutig. In Rundenturnieren lassen sich Normen nur über die gesamte Distanz des Wettbewerbs erzielen, nicht wie bislang in nur neun Partien. Und damit endet jäh Dinara Wagners freudige Gewissheit, die Norm geschafft zu haben. Stattdessen stand sie plötzlich vor der schwierigen Aufgabe, aus den letzten beiden Partien einen Punkt holen zu müssen.
Ihre Partie am heutigen Mittwoch hat Wagner verloren. Um eine IM-Norm zu schaffen, muss sie am Donnerstag mit Weiß die Russin Polina Shuvalova schlagen.
Wagner war wenigstens nur für einige Stunden falsch informiert. In Astana kann sie sich bei ihrer Kollegin Elisabeth Pähtz erkundigen, wie es sich anfühlt, fünf Jahre lang von falschen Tatsachen auszugehen, vielleicht ein kleiner Trost.
Wagners Fall weist Parallelen zum nun seit mehr als einem Jahr andauernden Hin und Her um Elisabeth Pähtz‘ GM-Normen und den Titel auf. Hätte Pähtz nicht ein Schiedsrichter 2016 eine Norm abgezeichnet, die keine war, hätte nicht ein anderer Schiedsrichter bestätigt, die Norm gilt, Pähtz hätte sechs Jahre lang gewusst, woran sie ist. Am Rande des Grand Prix hat Pähtz jetzt gesagt, sie wisse weiterhin nicht, wie es um die Titelverleihung steht, die die FIDE-Generalversammlung ihr während der Schacholympiade in Aussicht gestellt hat.
„Inakzeptabel“ und „beleidigend“ nannte die FIDE sexistische Kommentare von Ilya Smirin während der neunten Runde des Grand Prix. Der 55-Jährige hat in Astana an der Seite der Luxemburgerin Fiona Steil-Antoni erstmals – und voraussichtlich letztmals – für die FIDE kommentiert.
Zuschauer hatten während der Live-Übertragung der neunten Runde gefragt, ob die Chinesin Zhu Jiner eine GM-Norm erzielen kann. Smirin dazu: „Sie ist eine weibliche Großmeisterin. Warum will sie wie männliche Großmeister sein?“ Dass GM-Normen mit der Spielstärke der Gegner und Gegnerinnen zu tun haben, nicht mit deren Geschlecht, war Smirin offenbar nicht bekannt, wie er wenig später ein zweites Mal offenbarte.
“Ist es grundsätzlich möglich, in einem Frauenturnier eine Männernorm zu machen?”, fragte Smirin. Steil-Antoni: „Natürlich, warum nicht? ” Smirin: „Ich weiß es nicht. Warum können zum Beispiel Frauen mit Männern spielen und Männer nicht mit Frauen?“
Als Steil-Antoni ihn damit konfrontierte, er habe gesagt, Schach sei nichts für Frauen, entgegnete Smirin, das sei eine private Bemerkung gewesen. Steil-Antoni erinnerte Smirin dann an eine seiner früheren Bemerkungen: “Du hast auch gesagt, Aleksandra Goryachkina spielt wie ein Mann.“ Smirin stimmte zu: „Ja, das stimmt. Sie hat im Superfinale der Russischen Meisterschaft gespielt. Ein kleines Minus hat sie gemacht, aber es war ein sehr starkes Turnier.“ Steil-Antoni: „Und was hat das damit zu tun, wie ein Mann zu spielen? Können nur Männer gut spielen?“ Smirin: „Nein, aber sie spielt positionell, ein sehr starkes Endspiel.“
Smirins Äußerungen lösten auf Twitter einen Proteststurm aus, nachdem WGM Gulrukhbegim Tokhirjonova einen Clip davon verbreitet hatte. FIDE-Geschäftsführer Emil Sutovsky, ein Landsmann von Smirin, versuchte zunächst, die Wogen zu glätten: Smirin habe sich ihm gegenüber reumütig gezeigt und werde sich während der zehnten Runde öffentlich entschuldigen. Aber zu dieser Runde trat er nicht mehr. Pavel Tregubov, Ehemann der Grand-Prix-Teilnehmerin Alexandra Kosteniuk, übernahm den Job.
Zu sehen und zu hören ist Smirin nun nicht mehr. Es bleibt, dass er dem Weltschach eine neuerliche Kontroverse über Sexismus im Schach beschert hat. Erst im vergangenen Jahr hatte sich der Weltverband Protest eingehandelt, als er ein Unternehmen, das Brustimplantate herstellt, als Sponsor von Frauenturnieren anheuerte.
Mir scheint das fast noch größere Problem bei Smirin zu sein, dass sein Englisch nicht gut genug ist, um sich darin differenziert ausdrücken zu können. Aus dem Videoclip ist mir an vielen Stellen nicht wirklich klar geworden, was er eigentlich ausdrücken wollte.
Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass die Infragestellung von Frauenturnieren (bzw. die Nicht-Existenz von reinen “Männer-Turnieren”) auch von Frauen (J. Polgar, Hou Yifan) vorgebracht wurde. Den Punkt zu diskutieren finde ich an und für sich nicht skandalös. Allerdings hat sich der Herr Smirin dafür natürlich eine sehr unglückliche Plattform ausgesucht…
Die Kontroverse kann ich hier eigentlich nicht erkennen. Gibt´s zwei unterschiedliche Meinungen zu dem Vorfall? Das Statement finde ich klar und eindeutig, und schnell reagiert, da kann man der FIDE doch zur Abwechslung mal keinen Vorwurf machen.
Ich finde es schon seit längerem relativ unerträglich, dass sich die liebe Fiona Steil-Antoni immer von daneben sitzenden Männern die Schachwelt zumindest auf den 64 Feldern erklären lassen muss. Ist das wirklich nötig?
Dann kommt da ein GM, und erklärt bei einem Damenturnier, dass er außer Schach zu spielen anscheinend nicht viel mehr beherrscht.
Zum Fremdschämen.
Live-Pbertragung
[…] hat, ist angesichts der Vorgeschichte bemerkenswert: Schon nach der neunten Runde hatte ihr, wie berichtet, der Schiedsrichter bestätigt, sie habe eine IM-Norm erzielt. Vor der zehnten erfuhr die […]
Es gibt im US-amerikanischen Poker-Spiel das Problem, dass (einige) Männer dort teilnehmen und anscheinend das Recht auf ihrer Seite haben.