“Was die Engine sagt, ist mir egal”: Carlsenbesieger Hans Moke Niemann

Verbal hatte Hans Niemann schon am Vortag nach seinem ersten Sieg über einen 2750+-Großmeister vorgelegt. „Für mich ist es keine Überraschung, diese Topspieler zu schlagen. Ich fühle mich ja schon wie einer von ihnen, und eine Partie wie diese bestätigt das. Wenn meine Gegner schrecklich spielen, versuche ich, sie dafür zu bestrafen“, erklärte der 19-Jährige nach seinem Sieg über Shakhriyar Mamedyarov in der zweiten Runde des Sinquefield-Cups. Auch für sein in kurzer Zeit erworbenes unerschütterliches Selbstvertrauen lieferte Niemann eine Erklärung: „Selbstvertrauen entsteht aus Engagement und harter Arbeit, nicht nur aus Siegen am Brett.“

https://youtu.be/tL9PTOhsmUI
“Keine Überraschung für mich”: Wie Hans Moke Niemann Shakhriyar Mamedyarov besiegte.

Am Tag danach in der dritten Runde hatte Niemann die Gelegenheit, zum ersten Mal in seiner Karriere die 2700-Elo-Hürde zu nehmen. Allerdings muss er dafür die schwierigste Aufgabe im Schach lösen: Ein Schwarzsieg über Magnus Carlsen war erforderlich, sein erster Sieg in einer Sieg in einer klassischen Partie über einen 2800+-Großmeister. Und der gelang.

Wie Hans Moke Niemann Magnus Carlsen zum zweiten Mal binnen weniger Tage besiegte, zum ersten Mal in einer klassischen Partie.
“The chess speaks for itself”: Hans Moke Niemanns denkwürdiges “Interview” nach seinem ersten Sieg über Magnus Carlsen unlängst bei der Meltwater Champions Chess Tour. Niemanns knappe Antwort wurde sogleich zum neuesten Schach-Meme.

Nach der Partie in Saint Louis war es Zeit für ein weiteres denkwürdiges Niemann-Interview. „Er hätte vielleicht genauer in die Datenbank schauen sollen“, sagte Niemann zu Carlsens ausgefallener Eröffnung, 4.g3 gegen Nimzo-Indisch, das der Norweger wahrscheinlich gespielt hatte, um Niemann möglichst bald aus dem Buch zu werfen. „Hätte er nachgeschaut, Magnus hätte sehen können, dass ich 4.g3 vor fünf Jahren selbst gespielt habe.“

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Alejandro Ramirez im Gespräch mit Hans Moke Niemann nach dessen Drittrundensieg über Magnus Carlsen beim Sinquefield-Cup.

Dass die Eröffnung so gut lief, war allerdings weniger Folge der fünf Jahre alten Kenntnisse Niemanns. „Es ist wie ein lachhaftes Wunder, aber ich hatte genau dieses lächerliche Abspiel vor der Partie gecheckt. Keine Ahnung warum, aber es war so. Am Brett wusste ich dann sogar, dass 13…Le6! sehr gut ist.“

Nach 13…Le6! kämpft Weiß um Ausgleich. Nach 29…Sc4 sagt die Engine “0,00”. Niemann sagt: “Ist mir egal.”

Im Ergebnis war Carlsens Eröffnung gründlich schiefgegangen, der Weltmeister musste bald als Weißer um Ausgleich kämpfen. Nach 29…Sc4 hätte er ihn haben können – laut Engine. Von knapp minus drei sprang die Bewertung auf das ominöse 0,00.

Von Saint-Louis-Moderator Alejandro Ramirez darauf angesprochen, winkte Niemann ab: „Was der Computer sagt, ist mir egal. Schalte die Engine aus, frage 100 Großmeister zur Stellung nach 30.Lxc4 Txc4 31.gxf5 Ta4, und 99 werden dir sagen, das ist verloren. Ein Schachspieler würde nie sagen, das ist Remis“, so Niemann zum Engine-Urteil. „Wir sprechen hier verschiedene Sprachen.“

Nicht nur Hans Moke Niemann hatte am Sonntag die Gelegenheit, mit einem Schwarzsieg die 2700 Elo zu überschreiten. Vincent Keymer stand in der polnischen Liga mit Schwarz gegen Kirill Shevchenko vor der gleichen Konstellation.

Niemann glaubt, dass die Partie Carlsen schon demoralisierte, als sie noch lief. Dass Carlsen „gegen einen Idioten wie mich verliert“ und dass ihm das peinlich sei, habe sich an dessen Habitus ablesen lassen: „Manchmal, wenn er Dominanz aufbauen will, setzt er ein kleines Lächeln auf. Während dieser Partie hat er nicht oft gelächelt. Er tat mir leid, aber mir gab das ein sehr gutes Gefühl.“

Niemanns Ziel: “Der Größte werden”

Auch Carlsens ungewöhnlicher Bedenkzeitverbrauch hat auf Niemanns Seite des Brettes positive Auswirkungen gehabt: Carlsen habe in einem Interview gesagt, es sei ein schlechtes Zeichen, wenn er mehr als zehn Minuten über einen Zug nachdenkt, sagte Niemann. „In dieser Partie hat er das mehrfach getan, das war gut für mein Selbstvertrauen.“

Niemann nach der Partie auf Twitter.

Nach dem Gespräch über die Partie sprachen Ramirez und Niemann über dessen Zukunft – in der das Erreichen der Top 10 keine große Rolle spielt. „Ich will mich verbessern und Weltmeister werden. Das ist meine Motivation, der Größte zu werden.“ Für die gegenwärtigen Top 10 hat Niemann wenig Anerkennung übrig. „Ich sehe viele Spieler, die dort lange waren, die sind zufrieden abzukassieren. Mit würde das nicht viel bedeuten.“

Capablanca-Memorial gewinnen, TePe Sigeman gewonnen, Zweiter beim Prager Schachfestival. Hans Moke Niemann reitet nicht erst seit diesem Jahr auf einer Erfolgswelle.

Niemann über seinen kometenhaften Aufstieg: “Vor anderthalb Jahren stand ich bei 2480. Das Leben war einfach, ich habe ein Normturnier nach dem anderen gespielt. Dann kam ich auf 2600 und habe jedes Open gewonnen, das es gab. Als ich auf 2650 stand, wurde es schwierig. Ich musste versuchen, Einladungen zu Rundenturnieren zu bekommen, und ich musste meine Eröffnungen dem neuen Level anpassen.”

Bild
Tabellenstand nach drei Runden. | via Grand Chess Tour

Jetzt „bin ich dankbar, die Möglichkeit zu haben, am Sinquefield Cup und der US-Meisterschaft teilzunehmen, das ist großartig dank der Möglichkeiten, die der St. Louis Chess Club bietet. Nicht alle Top-Junioren bekommen diese Chancen.”

Niemann, der Eroberer: Bericht zur dritten Runde inklusive kommentierter Partien.

Heute ab 20 Uhr führt Niemann die weißen Steine gegen Alireza Firouzja, den anderen 19-Jährigen im Feld und den einzigen 19-Jährigen, der jemals die 2800 überschritten hat.

(Titelfoto: Lennart Ootes/Grand Chess Tour)

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Gerald
Gerald
1 Jahr zuvor

Was für ein unsympathischer Großkotz.

Volker
Volker
1 Jahr zuvor

Laut Hikaru Nakamura ist Niemann zweimal wegen Engine Betrug auf Chess.com gesperrt worden.
Wie kann man so jemanden noch an Turnieren teilnehmen lassen?
Wenn es bewiesen worden ist.
Lebenslange Sperre und gut ist es.

Neandertaler
Neandertaler
1 Jahr zuvor

Das ist mal wieder ein sehr heikles Thema. Heikel finde ich vor allem aber Vorverurteilungen. Niemann kommt für mich alles andere als sympathisch rüber. Darum geht es aber nicht. Und “verdächtige Äußerungen” sind auch erstmal nur das: “verdächtig”. Es wird zu klären sein, ob sein Spiel klare Hinweise auf Betrug gibt. Es wird zu klären sein, wie dieser Betrug dann durchgeführt worden sein soll. Sperren auf einer Online-Plattform wegen “Cheating” könnten aus meiner Sicht dazu führen, mal genauer hinzuschauen. Als echtes Indiz für echten Sportbetrug bei Schach am Brett genügt mir das noch nicht. Ich würde dem Schach wünschen, dass… Weiterlesen »

Schachtürke
Schachtürke
1 Jahr zuvor

Unabhängig davon, aus welchem Grund sich MC zurückgezogen hat, verfolgt er meines Erachtens zum zweiten Mal in Folge einer sehr fragwürdige und unprofessionelle Kommunikationsstrategie. Ähnlich wie bei seinem WM-Rückzug macht er zunächst nebulöse Äußerungen, die eine riesige Spekulationsblase erzeugen und sich auf die Partien seiner Super-GM-Kollegen auswirken. Es lässt sich kaum der Eindruck vermeiden, dass Carlsen diese Form der Aufmerksamkeit sucht. Entweder er hat konkrete Anhaltspunkte für einen Betrug, dann sollte er diese unverzüglich öffentlich machen, oder er hat sie nicht, dann wäre dieses ganze Theater völlig daneben. So oder so ist ein großer Schaden für das Schach und alle… Weiterlesen »

Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
1 Jahr zuvor

Ich denke die Topleute haben ein ganz gutes Gefühl, was noch normal ist und was nicht mehr. Sowohl bei der ELO Entwicklung als auch bei der Qualität der Züge. Wenn Niemann allerdings sagt, Carlsen habe vergessen dass er das g3-System vor fünf Jahren selbst gespielt habe (da war er vierzehn!), dann erinnert das sehr an die Mattansage eines Böblinger Openteilnehmers.
Carlsen wird sich wahrscheinlich nicht äußern. Für ihn ist es einfach, er spielt einfach keine Turniere mehr wo Niemann aufgestellt ist.

Wolfgang Kuechle
Wolfgang Kuechle
1 Jahr zuvor

Starke Behauptungen erfordern tragfähige Beweise. Hier tobt sich mal wieder die versammelte Verschwörungsgemeinschaft aus. Ich meine damit nicht den Autor des Artikels, sondern die Kommentatoren. Wo sind denn die Beweise für den vermeintlichen Betrug? Braucht man als geübter Verschwörungstheoretiker natürlich nicht. Solange nichts bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung. Carlsen hat mal wieder eine zweifelhafte Variante gespielt. Damit kommt er aufgrund seines überragenden Talents oftmals durch. Diesmal ist er halt ausnahmsweise mal aufgeflogen. Das hat mit Cheating meiner Meinug nach nichts zu tun. 13.Le6 ist ein guter Zug, aber nicht so ungewöhnlich, dass man ihn nicht finden kann. Gestern wurde Niemann… Weiterlesen »

Holger
Holger
1 Jahr zuvor

Was mich ärgert, ist Carlsens Reaktion… und noch mehr dass darüber kaum jemand redest/schreibt. Alle spekulieren über Niemann. Aber was ist mit Carlsen? Er ist ein gestandener Mann über 30, erfolgreicher Geschäftsmann, jahrelange Nr 1 und jahrelanger Weltmeister. Selbst wenn er glaubt, gute Belege für einen Cheat zu haben… dann haut man kein billiges PR-Twitter-Posting mit einem solchen Verschwörungstheorie-Mini-Video raus. Das Video unter seinem Posting war katastrophal und hat ja erst die Spekulationen entfacht, ohne auch nur den Hauch einer echten Beschuldigung zu beinhalten. Das ist übelste Manipulation, wie sie überall auf der Welt von Demagogen betrieben wird. Wenn er… Weiterlesen »

Fernando Offermann
1 Jahr zuvor

Mir ist einiges nicht klar: A. Ramirez hat nach der Partie Niemann-Firouzja extra die Engine ausgelassen (auf Reddit wird behauptet, zum ersten Mal) und Niemann beinahe wie bei einer Lehrer-Schüler-Situation nach Varianten gefragt, die er vorher während der Übertragung selbst überprüft hat. Wird es dazu noch eine Erklärung geben? Viele sagen, Niemann habe den Betrug auf chess.com selbst eingestanden. Wo ist eine Quelle dazu? Wenn Carlsen wegen Niemann aus dem Turnier ausgestiegen ist, haben wir wohl wieder Situationen wie im Kalten Krieg, als die Rüssen überall dort nicht mitspielten, wo Kortschnoj eingeladen war. Wieso behauptet Carlsen nicht einfach, Niemann hätte… Weiterlesen »

Gerhard
Gerhard
1 Jahr zuvor

Ich persönlich glaube nach mehrfachen Nachspielen der Partie nicht, dass hier ein Fall von Betrug vorliegt. Dabei wäre es im Turnierschach immer noch zu leicht… Es würde jeweils ein Vibrationssensor unter der linken und unter der rechten Fußsohle genügen. Mit der entsprechenden Anzahl an Impulsen liessen sich Problemlos die Koordinaten der einzelnen Schachfelder darstellen. Z.B. bedeuten zwei Impulse links und 5 Impulse rechts das Feld „b5“. Mit elektronischen Geräten dürfte so ein Minisensor nicht aufspürbar sein. Und ob man bei jedem Spieler vor Spielbeginn und nach einem Toilettenbesuch eine gründliche Leibesvisitation vornehmen will, glaube ich auch nicht! Das Thema „Cheating“… Weiterlesen »

MartinRieger
MartinRieger
1 Jahr zuvor

Laut Insidern geht da was nicht mit rechten Dingen zu. Innerhalb von 2 Jahren von 2480 auf 2700 und dazu mehrere verdächtige Dinge, wie zB. nach der Carlsenpartie etwas von einer g3 Variante erwähnen die es lt. chess.com niemals gegeben hat! Dann dieses “Interview”: Das ist kein normales Verhalten eines Siegers sondern eines sehr Verdächtigen. Auch andere Spitzenspieler dort in St.Louis munkeln schon das da was definitiv nicht stimmt. Na lange wird er dieses Spiel nicht treiben können. Verstehe das Carlsen da zurücktritt. Ich meine, wir werden da noch einiges hören!

Gerhard
Gerhard
1 Jahr zuvor

Mir ist Niemann zwar nicht gerade unsympatisch, aber er wirkt in meinen Augen nicht sehr authentisch. Irgentwie als ob er krampfhaft versucht, sich ein bestimmtes Image zu geben. Ein riesiges Schachtalent ist er auf alle Fälle!

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CAPTN HIRNI
CAPTN HIRNI
1 Jahr zuvor

Endlich mal wieder eine interessante Persönlichkeit im Schach und schon wird er nieder gemacht, selbst wenn er gut spielt. Aalglatte Langweiler und Biedermänner scheinen fürs Schach offenbar “besser” zu sein.

Aljechina
Aljechina
1 Jahr zuvor

Alle Frauen lieben Hänschen, endlich mal kein Duckmäuser und Wuschelhaare wie Samson! Und wenn es mit Schachweltmeister wider Erwarten nichts wird, wird er eben Wirt … Nein, Gigolo.