Sebastian Siebrecht und Georgios Souleidis werden am Mittwoch ab 19 Uhr einen Schaukampf austragen. Beide werden am elektronischen Brett vom Millennium spielen – und doch separat, der eine in Frankreich, der andere in Hamburg, jeweils online über chess.com miteinander verbunden. Übertragen wird auf dem Twitch-Kanal von Georgios “The Big Greek” Souleidis, der die Partie live kommentiert, während er sie spielt.
Die hybride Schaupartie ist der zweite Teil einer Serie auf dem führenden deutsch-griechischen Schachkanal. Etwa im Monatsrhythmus lädt Millennium-Botschafter Souleidis Gäste ein, um gegen sie eine hybride Schachpartie zu spielen. Zum Auftakt stieg der Schreiber dieser Zeilen in den Ring. Das sah so aus:
Für jemanden, der fast nur noch beim Schach zuschaut und darüber schreibt, anstatt selbst zu spielen, war das eine aufregende Erfahrung. Und eine Erinnerung daran, was für ein intensives, großartiges Hobby Schach ist. Die Partie hatte ja im Geiste lange vorher begonnen. Im Moment, in dem die Verabredung stand, erwachte die Nervosität angesichts eines öffentlichen Duells gegen einen deutlich stärkeren Gegner, und sie sollte wachsen, je näher die Partie rückte.
Hoffentlich endet das nicht peinlich! Die Horrorvision: vor tausenden Zuschauern schon in der Eröffnung etwas einstellen und, als Patzer gebrandmarkt, der schachlichen Glaubwürdigkeit beraubt, ans Keyboard zurückkehren, um besser Buchstaben aneinanderzureihen, anstatt Holzklötze übers Brett zu schieben.
Dann offenbarte sich ein lange vergessener Aspekt ambitionierten Schachs: Vorbereitung! Der Plan, jeden Tag mit einer Viertel- oder halben Stunde Taktik die grauen Schachzellen zu aktivieren, wäre der wichtigere Part gewesen, scheiterte aber Tag für Tag von neuem. Es blieb der überschätzte Part der Vorbereitung, dem schlechte Spieler wie ich in aller Regel viel zu viel Aufmerksamkeit widmen: die Eröffnungsvorbereitung – beginnend mit der Frage: Was spielt der Grieche gegen 1.d4?
Ob es ein Fehler war, das öffentlich auf Twitter zu fragen? Seine Vorliebe für Königsindisch ist ja bekannt, kein Grund, sie sich öffentlich bestätigen zu lassen. Andererseits spielt er jetzt so viel online, vielleicht hat er ein neues Steckenpferd. Aber ein solches offenbarte sich nicht, also: Königsindisch.
Puh. Qual der Wahl. Dagegen kann ich nichts richtig, habe aber vieles schon probiert.
Fianchetto? Doppelfianchetto? Torre, die alte Liebe? Makagonov? Moderner Makagonov (der wahrscheinlich anders heißt, aber wer weiß das schon) ohne Sf3 mit Le2, Le3 und g4? Oder lieber das e3, d4, c4-Konstrukt in der Hoffnung, ihn in einen Königsindischen Angriff mit vertauschten Farben zu locken? Am Ende war es eh egal, weil auch der Vorsatz Eröffnungsvorbereitung an der Umsetzung scheiterte – abgesehen von der guten halben Stunde am Tag der Partie, in der ich eine verzweifelte Druckbetankung meines Gehirns mit Konzepten und Varianten versuchte.
Zum Warmwerden noch eine schnelle Trainingspartie auf dem eBoard:
Und, siehe da, es geht noch!
Natürlich hatte Georgios die Frage nach seiner Eröffnung auf Twitter gesehen. Aber wer hätte gedacht, dass ein gestandener IM gegen jemanden aus der Bodenseeliga von seiner Haupteröffnung abweicht, um “Vorbereitung (hihi, siehe oben) aus dem Weg zu gehen”?
Es geschah 1.d4 d5 2.Sf3 Sf6 3.c4 dxc4, und Weiß war aus dem Buch, Schwarz ging es nicht viel besser. Erstaunlicherweise gelang es beiden Akteuren dennoch, bis ins frühe Mittelspiel der Theorie und einer Partie Dubov vs. So (!) zu folgen. Wie es dann weiterging? Hier die kommentierte Partie:
Zum befürchteten Szenario eines frühen Einstellers kam es zwar nicht, trotzdem endete die Partie so, wie es nominell zu erwarten gewesen war.
Nun soll es GM Sebastian Siebrecht besser machen. Die Chance, dass ihm das gelingt, ist allemal größer als beim oben beschriebenen Duell. Es ließe sich sogar weissagen, dass ein GM gegen einen IM favorisiert sein sollte, aber das erscheint in diesem Fall alles andere als klar.
Während Souleidis sich gerade in Biel zwischen den Mahlzeiten beim Meister-Open schachlich gestählt hat, besteht Siebrechts schachliche Praxis der jüngsten Vergangenheit in erster Linie darin, Kindern und Playboys das Schäfermatt zu zeigen.
Nach langer Pandemie-Zwangspause kann Siebrecht jetzt wieder seiner angestammten Tätigkeit als Botschafter des königlichen Spiels nachgehen. Das sei ihm von Herzen gegönnt, aber es dürfte eher nicht dazu führen, dass er sich den 2500 von einst annähert. Die Elozahl favorisiert den Griechen: 2426 vs. 2378.
Die Vorbereitung dürfte für beide Kontrahenten heikel sein, sie sind miteinander befreundet und kennen das Schach des jeweils anderen aus dem Effeff. Die beiden sind etwa ein Jahrgang, und sie sind fast am selben Ort geboren: Siebrecht in Herdecke nördlich der Ruhr, Souleidis im daran angrenzenden Hagen südlich der Ruhr. Wer in den 80ern und 90ern in NRW Schachturniere spielte, der begegnete eher früher als später diesem Ruhrpott-Duo.
Ob es einem der beiden gelingt, den anderen zu überraschen? Ob Siebrecht Souleidis stoppen kann, bevor der zu einer Hybrid-Siegesserie ansetzt? Für den Fall, dass nicht, hören wir aus dem Millennium-Hauptquartier, dass dort schon nach einem noch stärkeren Gegner fürs nächste Duell in vier Wochen gefahndet wird.
Kurze Frage, auf die Gefahr hin, dass ich es übersehen habe:
Auf der Perlenseite werden Werbebanner für Millennium geschaltet. Wie verhält es sich mit den Berichten über Hybride-(Millennium-)wettkämpfe? Sind das Advertorials, oder würden Advertorials explizit gekennzeichnet werden?
Man könnte ja fast glauben, dass Georgios mit dem Tweet dazu provoziert werden sollte, sein gewohntes Repertoire zu verlassen 🙂
(Möglicherweise wäre auch noch Tschigorin im Angebot gewesen, immerhin hat er damit einst die legendäre Glanzpartie gegen Gagunashvili gewonnen.)
[…] Wie ich beinahe den Griechen geschlagen hätte (und wer es jetzt besser machen soll) […]