Hussain Besou, Ausnahmetalent

In keiner Altersklasse des deutschen Schachs steht ein Spieler so sehr über den Dingen wie in der U10. Mit seiner DWZ von 1973 muss sich Hussain Besou in höheren Altersklassen umschauen, will er Talente auf Augenhöhe finden. Und auch im internationalen Vergleich überragt der Junge vom LSV/Turm Lippstadt. Nach Elo ist er die Nummer neun der Welt. Wenn das gerade beendete Open in Bamberg ausgewertet ist, wird er mehr als 120 Punkte gewonnen haben, auch nach Elo bei knapp 2000 stehen – und auf Platz drei der Weltrangliste.

Bild
Screenshot via schachbund.de

Beim Schach sei es dank der Wertungszahlen transparent, wie gut ein Spieler ist, wie sich die Spielstärke im Vergleich mit anderen darstellt, erklärt Olaf Gersemann. Der 53-Jährige ist Vater eines Schach spielenden Sohns, Vater und Sohn haben sich der TSG Oberschöneweide in Berlin angeschlossen. Als vor etwa eineinhalb Jahren Gersemanns Junior am Brett erste Erfolge erzielte, wollte der Vater anhand von Rating-Ranglisten herausfinden, „wo Kinder im Schach üblicherweise leistungsmäßig stehen“.

Hussain Besou weckte seine Aufmerksamkeit, „der fällt schon sehr stark heraus“. So stark sogar, dass der Journalist Gersemann mehr wissen wollte, um die Geschichte dieses Wunderknaben zu erzählen. Aber die Begegnung in Lippstadt fiel aus – Corona.

Werbung

Nun, kurz vor der Deutschen Jugendmeisterschaft (und zu Hussains 10. Geburtstag am heutigen Samstag), sollte die Geschichte endlich geschrieben werden. Der Chef des Wirtschaftsressorts der Welt ließ die Wirtschaft Wirtschaft sein. Gersemann fuhr nach Lippstadt, um eine Schachgeschichte zu recherchieren, die des Deutschen U10-Meisters Hussain Besou – der gar kein Deutscher ist und bangt, ob er dereinst einer werden darf.

Wer die heutige Samstagsausgabe der Welt aufschlägt, findet im Wirtschaftsressort eben diese Schachgeschichte auf mehr als einer Seite und 400 Zeilen.

https://twitter.com/OlafGersemann/status/1426220655255633926

Das deutsche Kapitel beginnt mit einem Schachverein in Lippstadt, der Gutes bewirkt, im Sinne unseres Spiels wie im Sinne der Integration von Flüchtlingen. In Flüchtlingsheimen verteilen die Lippstädter mit ihrem Vorsitzenden Olaf Winterwerb Schachbroschüren in mehreren Sprachen. Anfang 2017 fällt eines dieser Hefte Mustafa Besou in die Hände, ein aus Syrien stammender Zahnarzt, der beim Schach gegen seinen sechsjährigen Sohn kaum noch eine Chance hat. Wenig später melden sich die beiden beim LSV/Turm Lippstadt.

Training mit Jussupow

Geboren wird Hussain Besou am 14. August 2011 in Riad. Vater Mustafa und Ehefrau Hend Besou, ebenfalls Ärztin, waren der besseren Verdienstmöglichkeiten wegen nach Saudi-Arabien ausgewandert. Seine Abneigung gegen das Assad-Regime in der Heimat macht Mustafa Besou via Facebook öffentlich – und begibt sich damit in Gefahr. Um einer Abschiebung nach Syrien zuvorzukommen, flieht das Ehepaar in die EU. Über Frankreich landen sie in Deutschland, das Vater Besou von Ärztekongressen kennt. Hier beantragen sie Asyl.

In Lippstadt wird den Betreuern um Jugendwart Andreas Kühler schnell klar, dass ein Ausnahmetalent den Weg in ihre Reihen gefunden hat, eine Verpflichtung, der der Verein aus dem Kreis Soest allein nicht gerecht werden kann. Kühler, Winterwerb und ihre Mitstreiter suchen Unterstützung, schachliche wie finanzielle – und finden den Leipziger Schachmäzen Gerhard Köhler sowie die Stiftung Teutonia Lippstadt 08.

Deren Hilfe macht möglich, dass Hussain Besou den bestmöglichen Trainer bekommt: Artur Jussupow, dessen Akademie von Köhlers Schachstiftung unterstützt wird. In Jussupows Meisterklasse trainiert Hussain Besou gemeinsam mit zwei etwas älteren Ausnahmetalenten: Marius Deuer und Magnus Ermitsch.

Hussain Besou beim Open in Bamberg, wo der Neunjährige eine Leistung von knapp 2200 erzielte. | Foto: Klaus Steffan

Es dauert nicht lange, da wird Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler auf Hussain Besou aufmerksam. Bei der EU-Meisterschaft seiner Altersklasse wird er Dritter, die Deutsche Meisterschaft gewinnt er überlegen. Seit Ende 2019 ist der Zehnjährige das jüngste Mitglied des deutschen Nachwuchskaders.

“Mit 14 Großmeister werden”

Wie die Deutschland-Geschichte der Familie Besou weitergeht, ist nach Gersemanns Recherchen offen. Mustafa Besou kämpft um seine Zulassung als Zahnarzt und hofft auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Die jetzige läuft Mitte 2023 ab.

Hussain Besou wird derweil ab dem 20. August ein weiteres Kapitel seiner Schachgeschichte schreiben: Deutsche Meisterschaft in Willingen. Er dürfte noch einmal in der U10 spielen, dort würde er voraussichtlich mit Leichtigkeit seinen Titel verteidigen. Der stärkeren Gegner wegen wird er in der U12 antreten.

Seine Qualifikation für internationale U10-Wettbewerbe sei nicht gefährdet, wenn er jetzt national in der U12 antritt, erklärt Bernd Vökler auf Anfrage dieser Seite. Bei der hybrid gespielten Europameisterschaft im Oktober, das nächste Ziel nach der Deutschen Meisterschaft, werde der junge Lippstädter “sicherlich berücksichtigt”.

Ein mittelfristiges Ziel hat er sich auch schon gesetzt: „Mit 14 will ich Großmeister werden“, sagt Hussain Besou. Er wäre nach Vincent Keymer der zweite deutsche Spieler, der das schafft.

4.7 16 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

5 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments
G. Kuckling
G. Kuckling
2 Jahre zuvor

Hallo, ein toller Artikel. Wir kennen Hussain seit seinen ersten schachlichen Schritten im Verein. Ein ganz prägender Begleiter von Hussain sollte nicht unerwähnt bleiben: Georg Hagenhoff! Wir werden. Hussains Schachkarriere mit Spannung verfolgen!

trackback

[…] Hussain Besou, Ausnahmetalent […]

trackback

[…] Schön auch der Bericht des Schachmagazins – Perlen vom Bodensee:Hussain Besou Ausnahmetalent […]