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Mannheim 1914

Im Sommer 1914 war Mannheim Schauplatz eines der bedeutendsten Schachereignisse der Zeit: Der 19. Kongress des Deutschen Schachbundes (DSB) brachte rund 100 Spieler in die badische Handelsstadt. Wie bei früheren DSB-Kongressen wurden mehrere Wettbewerbe ausgetragen – darunter das Meisterturnier, das mit 18 Spielern hochkarätig besetzt war, sowie das Hauptturnier und diverse Nebenturniere. Der Gastgeber, der Mannheimer Schachklub von 1865, nutzte den Kongress zur Feier seines 50-jährigen Bestehens.

Austragungsort war das idyllisch gelegene Ballhaus im Schlossgarten mit großzügigen Sälen und schattigem Garten. Die Stimmung war festlich und konzentriert – ein internationales Turnier auf höchstem Niveau, mit einer Mischung aus Routiniers und jungen Talenten.


Die Teilnehmer des Meisterturniers

Das Teilnehmerfeld war europäisch geprägt und von herausragender Qualität. Ausgewählte Namen:

  • Alexander Aljechin, Russland – 22 Jahre, aufstrebender Star

  • Dawid Janowski, Russland – erfahrener Weltklassespieler

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  • Jefim Bogoljubow, Russland

  • Milan Vidmar, Österreich-Ungarn

  • Richard Reti, Savielly Tartakower, Rudolf Spielmann, Gyula Breyer, Oldrich Duras – ebenfalls aus der Donaumonarchie

  • Frank Marshall, USA

  • Siegbert Tarrasch, Deutschland – der damals wohl bekannteste deutsche Spieler

  • sowie weitere Meister aus Deutschland und der Schweiz (u.a. Carls, Mieses, Ehrhardt Post)

Erwartet wurde auch Akiba Rubinstein, doch dieser sagte kurzfristig ab. Richard Teichmann zog seine Teilnahme gar in letzter Minute zurück.


Aljechins Blitzstart

Alexander Aljechin war nicht nur der jüngste Spieler (nach Breyer), sondern auch der ehrgeizigste. Wochen vor dem Turnierbeginn war er in Mannheim eingetroffen, bestens vorbereitet. Nach seinen Erfolgen in Stockholm (1912), Scheveningen (1913) und dem dritten Platz beim Turnier in Sankt Petersburg (1914) galt er als kommender Star.

Er startete furios, gewann Partie um Partie, und selbst eine Niederlage gegen seinen Landsmann Janowski (wie schon 1913 in Scheveningen) warf ihn nicht zurück. Im Gegenteil: Danach folgten fünf Siege in Serie – darunter gegen Tarrasch.

Zur Zeit des Turnierabbruchs nach der 11. Runde führte Aljechin mit 9,5 Punkten.


Die politische Lage eskaliert

In Europa spitzte sich die Lage zu. Am 28. Juni 1914 war der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo ermordet worden. Trotzdem schien das Turnier im sicheren Deutschland nicht gefährdet.

Doch dann kam die Eskalation:

  • 28. Juli: Österreich erklärt Serbien den Krieg

    1. Juli: Russlands Mobilmachung

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    1. Juli: Deutsche Mobilmachung

    1. August: Kriegserklärung Deutschlands an Russland

Am 1. August, dem Tag nach der 11. Runde, wurde der Kongress abgebrochen. Turnierleiter Hermann Römmig verließ das Turnier, um als Reservist zur Armee einzurücken. Die Lage wurde ernst.


Der Turnierabbruch

Pläne, das Turnier in der Schweiz fortzusetzen oder um ein Jahr zu verschieben, zerschlugen sich rasch. Statt regulärer Preisgelder wurde eine "Entschädigung" beschlossen:

  • Aljechin: 1100 Mark

  • Vidmar: 850

  • Spielmann: 600

  • Marshall, Breyer, Reti: je 375

  • Janowski: 250

  • Tarrasch, Bogoljubow: je 180

  • Die übrigen Teilnehmer: 100 Mark

Nach heutiger Kaufkraft entsprach Aljechins Summe etwa 11.000 Euro.


Die russischen Spieler werden zu „feindlichen Ausländern“

Die elf russischen Teilnehmer – darunter Aljechin, Bogoljubow, Janowski, Flamberg, Rabinovich, Romanovsky, Bogatyrchuk und Saburov – wurden interniert. Die Deutschen betrachteten sie als Angehörige eines feindlichen Staates.

Aljechin wurde zunächst auf der Hauptwache in Mannheim festgesetzt, kam dann in das Militärgefängnis Ludwigshafen, später nach Rastatt. Dort war er mit Bogoljubow, Rabinovich und einem „gewissen Weinstein“ inhaftiert. Trotz widriger Umstände spielten sie dort blind Schach – ohne Brett, ohne Figuren.


Aus der Haft nach Triberg

Nach Wochen der Ungewissheit wurden die russischen Schachspieler unter polizeilicher Aufsicht in das Schwarzwaldstädtchen Triberg verlegt. Dort lebten sie unter relativ freien Bedingungen. Bogoljubow lernte eine Frau aus dem Ort kennen, heiratete – und blieb für den Rest seines Lebens in Triberg.

Aljechin hingegen kam durch eine ärztliche Untersuchung frei. Ob durch Fasten oder andere Mittel: Er überzeugte den Arzt, dass er schwer krank sei, und erhielt die Erlaubnis, über die Schweiz auszureisen.


Rückblick

Das Mannheimer Turnier von 1914 war nicht nur eines der stärksten Turniere der Zeit – es wurde zum Symbol einer untergegangenen Welt. Der 22-jährige Aljechin hatte seine große Chance auf einen Turniersieg, der womöglich ein Meilenstein auf dem Weg zum Weltmeistertitel gewesen wäre. Stattdessen begann für ihn und seine Landsleute ein politisches und menschliches Drama.

Der 19. DSB-Kongress blieb unvollendet, aber unvergessen – als Moment, in dem das Spiel von der Geschichte jäh unterbrochen wurde.


Quelle: Hans-Dieter Müller (†), für den Deutschen Schachbund 
Veröffentlicht auf der Website des Deutschen Schachbundes im Rahmen der Rückschau zum 100. Jahrestag des Turniers.

Turnierbuch 99 Jahre später, Amazon-Klappentext:

Dieses bekannte Turnier der Schachgeschichte in Mannheim 1914 musste nach 11 von 17 Runden wegen des Kriegsausbruchs abgebrochen werden. (Stand bei Abbruch: Aljechin vor Vidmar und Spielmann, gefolgt von den punktgleichen Breyer, Marshall und Reti usw.) 99 Jahre danach erhält es jetzt ein Turnierbuch! Der Autor, Diplom Ingenieur Stefan Haas spielt seit frühester Kindheit Schach und hat eine Elo von über 2000, sein großes Können als Autor Schach Historischer Bücher hat er bereits mit dem 2006 erschienen Turnierbuch Baden-Baden 1870 unter Beweis gestellt, mit seinem Zweitwerk Mannheim 1914, hat der Autor seine ausgezeichnete Arbeit nochmals übertroffen, Stefan Haas zeichnete nicht nur das Turniergeschehen akribisch nach, sondern gibt auch noch einen historischen Einblick in das Zeitgeschehen vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges !

 

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