Samuel Reshevsky (1911-1992)
Zitat von Conrad Schormann am 22. Juni 2025, 9:08 UhrSamuel Reshevsky – das frühreife Schachwunderkind mit Umwegen
Quelle: Georges Bertola, Europe Échecs
Samuel Reshevsky war ein Phänomen – und eine Projektionsfläche. Geboren 1911 im polnischen Ozorkow, lernte er Schach, bevor er lesen konnte. Schon als Sechsjähriger trat er in kurzen Hosen gegen Erwachsene an, spielte Simultanpartien, wurde bejubelt, bestaunt – und bald auch vermarktet.
Mit sechs Jahren besucht Reshevsky erstmals den Schachclub in Warschau. Er beeindruckt alle – auch Akiba Rubinstein, der nach einer gewonnenen Partie über den Jungen sagt:
„Eines Tages wirst du Weltmeister sein.“
Europa staunt
Mit acht Jahren reist Reshevsky durch Mitteleuropa. Sein Talent wird zum Spektakel – und zur Einkommensquelle der Familie. 1919 spielt er in den Niederlanden mehrere Simultans; Max Euwe, damals 18, ist der Einzige, der gegen ihn ein Remis erreicht. „Das sorgte für großes Aufsehen“, erinnert sich Euwe später.
1920 tritt der Neunjährige in London blind gegen den britischen Meister Richard Griffith an. Die Partie verläuft auf höchstem Niveau. Reshevsky kommentiert später lakonisch:
„Ich kannte keine Eröffnungsbücher. Ich war zu jung, um von so etwas beeindruckt zu sein.“
Tatsächlich spielt er aus dem Stand heraus ein strategisch tiefes Match – und gewinnt. Bertola analysiert die Partie Zug für Zug, lobt Reshevskys Weitblick und Angriffslust: Das Spiel kulminiert in einer Kombination mit Qualitätsopfer, Turmverdopplung, präziser Endspielführung. Am Ende bleibt Griffith nichts als die Aufgabe.
https://youtu.be/wKqtbuepQ0E
Amerika ruft
Noch im selben Jahr emigriert die Familie in die USA. Für zwei Jahre tourt der kleine Sammy weiter durchs Land, fasziniert die Öffentlichkeit, füllt Säle. Der US-Meister Edward Lasker bezahlt 1.600 Dollar für mehrere Show-Partien – und braucht 70 Züge, um eine zu gewinnen. Reshevsky platzt daraufhin der Kragen:
„Das war die letzte Partie, die Sie gegen mich gewinnen!“
Das Ende der Kindheit
Doch 1924 greift der Staat ein. Das Leben als Show-Wunderkind gilt zunehmend als Kinderarbeit, ein Vormund zwingt ihn erstmals zur regulären Schulausbildung. Der kleine Sammy, der sein Leben bisher über Schach definiert hatte, sitzt nun im Klassenzimmer.
Anders als Paul Morphy, das Wunderkind des 19. Jahrhunderts, verschwindet Reshevsky nicht von der Bühne. Er wird später mehrfacher US-Meister, besiegt Weltmeister wie Botwinnik, spielt Kandidatenturniere – und bleibt mehr als sechs Jahrzehnte lang Teil der Weltelite.
Der Mythos, der ihn umgibt, stammt aus jener Zeit, als er neun Jahre alt war, keinen Theoriezug kannte – und trotzdem stärker spielte als fast jeder Erwachsene.
Reshevskys gepriesenes Strategie-Lehrbuch, Amazon-Klappentext:Samuel Reshevsky is the ideal person to write a book on positional play because that was exactly the way he played: positionally. Reshevsky preferred to crush his opponents slowly, like a python, rather than to win with a blaze of tactics. Reshevsky was capable of great tactics, but felt it easier and more secure just to win by the slow build-up, gaining small advantages and then waiting for the opponent to throw himself on the sword with a brash counter-attack. The disadvantage is this takes a long time and most of the games in this book are long, but that makes them more instructive. A game won by sharp tactics does not teach much, unless that exact tactic arises again. The slow build-up that Reshevsky specialized in can be repeated again and again to bring home the point every time. Reshevsky goes through positional values, such as open files, avoidance of doubled pawns, consequences of weak pawns, bad bishops, unsupported pawn chains, blockade vs. breakthrough, using minority attacks, passed pawns in the middle game and rooks behind passed pawns. In each of these cases, he uses a top level grandmaster game to illustrate it, showing how the greatest players use these motifs to win their games at the highest levels.
Samuel Reshevsky – das frühreife Schachwunderkind mit Umwegen
Quelle: Georges Bertola, Europe Échecs
Samuel Reshevsky war ein Phänomen – und eine Projektionsfläche. Geboren 1911 im polnischen Ozorkow, lernte er Schach, bevor er lesen konnte. Schon als Sechsjähriger trat er in kurzen Hosen gegen Erwachsene an, spielte Simultanpartien, wurde bejubelt, bestaunt – und bald auch vermarktet.
Mit sechs Jahren besucht Reshevsky erstmals den Schachclub in Warschau. Er beeindruckt alle – auch Akiba Rubinstein, der nach einer gewonnenen Partie über den Jungen sagt:
„Eines Tages wirst du Weltmeister sein.“
Europa staunt
Mit acht Jahren reist Reshevsky durch Mitteleuropa. Sein Talent wird zum Spektakel – und zur Einkommensquelle der Familie. 1919 spielt er in den Niederlanden mehrere Simultans; Max Euwe, damals 18, ist der Einzige, der gegen ihn ein Remis erreicht. „Das sorgte für großes Aufsehen“, erinnert sich Euwe später.
1920 tritt der Neunjährige in London blind gegen den britischen Meister Richard Griffith an. Die Partie verläuft auf höchstem Niveau. Reshevsky kommentiert später lakonisch:
„Ich kannte keine Eröffnungsbücher. Ich war zu jung, um von so etwas beeindruckt zu sein.“
Tatsächlich spielt er aus dem Stand heraus ein strategisch tiefes Match – und gewinnt. Bertola analysiert die Partie Zug für Zug, lobt Reshevskys Weitblick und Angriffslust: Das Spiel kulminiert in einer Kombination mit Qualitätsopfer, Turmverdopplung, präziser Endspielführung. Am Ende bleibt Griffith nichts als die Aufgabe.
Amerika ruft
Noch im selben Jahr emigriert die Familie in die USA. Für zwei Jahre tourt der kleine Sammy weiter durchs Land, fasziniert die Öffentlichkeit, füllt Säle. Der US-Meister Edward Lasker bezahlt 1.600 Dollar für mehrere Show-Partien – und braucht 70 Züge, um eine zu gewinnen. Reshevsky platzt daraufhin der Kragen:
„Das war die letzte Partie, die Sie gegen mich gewinnen!“
Das Ende der Kindheit
Doch 1924 greift der Staat ein. Das Leben als Show-Wunderkind gilt zunehmend als Kinderarbeit, ein Vormund zwingt ihn erstmals zur regulären Schulausbildung. Der kleine Sammy, der sein Leben bisher über Schach definiert hatte, sitzt nun im Klassenzimmer.
Anders als Paul Morphy, das Wunderkind des 19. Jahrhunderts, verschwindet Reshevsky nicht von der Bühne. Er wird später mehrfacher US-Meister, besiegt Weltmeister wie Botwinnik, spielt Kandidatenturniere – und bleibt mehr als sechs Jahrzehnte lang Teil der Weltelite.
Der Mythos, der ihn umgibt, stammt aus jener Zeit, als er neun Jahre alt war, keinen Theoriezug kannte – und trotzdem stärker spielte als fast jeder Erwachsene.
Reshevskys gepriesenes Strategie-Lehrbuch, Amazon-Klappentext:
Samuel Reshevsky is the ideal person to write a book on positional play because that was exactly the way he played: positionally. Reshevsky preferred to crush his opponents slowly, like a python, rather than to win with a blaze of tactics. Reshevsky was capable of great tactics, but felt it easier and more secure just to win by the slow build-up, gaining small advantages and then waiting for the opponent to throw himself on the sword with a brash counter-attack. The disadvantage is this takes a long time and most of the games in this book are long, but that makes them more instructive. A game won by sharp tactics does not teach much, unless that exact tactic arises again. The slow build-up that Reshevsky specialized in can be repeated again and again to bring home the point every time. Reshevsky goes through positional values, such as open files, avoidance of doubled pawns, consequences of weak pawns, bad bishops, unsupported pawn chains, blockade vs. breakthrough, using minority attacks, passed pawns in the middle game and rooks behind passed pawns. In each of these cases, he uses a top level grandmaster game to illustrate it, showing how the greatest players use these motifs to win their games at the highest levels.