Leonid Stein (1934-1973)
Zitat von Conrad Schormann am 4. Juli 2025, 10:24 UhrLeonid Stein
Quelle: Georges Bertola, Europe Échecs
Seine Bilanz gegen die Weltelite war eindrucksvoll:
+4 gegen Bronstein, +3 gegen Spassky, = gegen Botwinnik, -1 gegen Petrosjan, -1 gegen Fischer.
Er hätte Weltmeister werden können. Er war nah dran. Mehrfach. Doch die Regeln, das System und schließlich sein Herz standen ihm im Weg. Leonid Stein, geboren 1934 in Kamjanez-Podilskyj, starb am 4. Juli 1973, mitten in der Vorbereitung auf das Interzonenturnier in Brasilien. Er war 38 Jahre alt.
Kindheit im Schatten des Krieges
Kamjanez-Podilskyj – ein historischer Ort in der Westukraine, nahe Moldau und Rumänien. Hier begann Steins Leben. Doch es hatte kaum begonnen, als es beinahe endete. Im Sommer 1941 rückte die Wehrmacht vor, und mit ihr kamen die Einsatzgruppen. Innerhalb weniger Tage wurden über 23.000 Juden ermordet. Die Familie Stein entkam knapp nach Usbekistan, siedelte sich in Taschkent an. Der Vater überlebte den Typhus nicht. Leonid Stein war sieben, als er Halbwaise wurde.
1948 kehrte die Familie zurück, diesmal nach Lwiw. Dort begann Stein Schach zu spielen – in einem Pionierpalast unter Aufsicht des Meisters Gorenstein. Später betreute ihn Alexei Sokolsky, der Theoretiker der Orang-Utan-Eröffnung.
Aufstieg im Schatten der Großen
Seine Entwicklung verlief nicht wie bei Tal oder Spassky. Kein Wunderkind. Kein kometenhafter Aufstieg. Mit 18 war er erst Meisterkandidat, mit 24 Meister, die UdSSR-Meisterschaft spielte er erstmals 1961. Aber da schlug er sofort ein: Er bezwang Petrosjan, der später Weltmeister wurde, und teilte mit Geller Platz drei.
Efim Geller wurde sein Mentor. Stein spielte fortan Spanisch, Indisch, klassischer, gezielter. Und doch: Er blieb ein Instinktspieler. Schnell. Impulsiv. Riskant. Michail Tal war ihm im Wesen wohl näher als Karpow.
Der Aufstieg und die Quoten
Im Interzonenturnier 1962 in Stockholm spielte er stark, wurde Sechster – aber das genügte nicht. Drei Sowjets waren bereits qualifiziert, also blieb der Platz für das Kandidatenturnier Benko. Zwei Jahre später dasselbe Spiel: Erneut war Stein eigentlich qualifiziert, erneut zählten andere mehr. Erst 1965 wurde die unsägliche FIDE-Quotenregel gestrichen.
1963 gewann Stein die UdSSR-Meisterschaft, wieder 1965, dann 1967. Dreifacher Champion in der stärksten Landesmeisterschaft der Welt. Doch für den Kampf um den WM-Titel reichte es nicht – nie.
Ein geplatztes Match gegen Fischer
1966 in Havanna kam es zum bemerkenswertesten Nicht-Match der Schachgeschichte. Bobby Fischer schlug ihm ein inoffizielles Duell vor. Bis sechs Siege, ohne Remiswertung. Castro war begeistert, alles schien möglich. Doch Moskau bremste: Kein Match ohne FIDE. Stein zog sich zurück. Fischer erzählte es anders. Aber das Projekt starb, bevor es geboren war.
Glanzpartien gegen Giganten
Er spielte viele große Partien. Eine ragt heraus: gegen Wassili Smyslow, Moskau 1972. Stein, schon ein gesetzter Spieler, spielt gegen den soliden Ex-Weltmeister mit einem Bauernzug, der aus der Zeit gefallen scheint – 10.h4!?, ein Vorstoß, wie man ihn heute in AlphaZero-Partien sieht.
https://youtu.be/M-bCVWoPHCw
Er rochiert nicht, entwickelt kaum, doch bringt seine Figuren wie aus dem Nichts ins Zentrum. Die Bauern stürmen. Der König bleibt in der Mitte. Es ist ein Spiel, das alles verneint, was Lehrbücher lehren – und genau deshalb brillant ist. Stein zerreißt Smyslow regelrecht, in einem Angriff, der sich direkt aus dem Nichts formt. Es ist ein Stilbruch mit dem klassischen Schach – und eine Vorahnung des 21. Jahrhunderts.
Das Ende: zu früh, zu banal
1973 bereitete sich Stein ernsthaft auf das Interzonenturnier in Brasilien vor. Zum ersten Mal war er gesetzt, musste sich nicht qualifizieren. Er war bereit. Vielleicht zum letzten Mal. Am 4. Juli erlitt er einen Herzinfarkt – behandelt von einer Krankenschwester, nicht von einem Arzt. Es war ein banaler Tod für einen Ausnahmespieler.
Anatoli Karpow sah ihn am Vorabend noch – sie wollten nach Bath zur Europameisterschaft. Stein sagte: „Du wirst überrascht sein. Wenn ich in Brasilien ankomme, wird mein Leben anders verlaufen.“ Er kam nie an.
"Stein move by move" (2015), Klappentext:
Leonid Stein was a three-time Soviet Chess Champion and one of the World’s strongest players during his career, which was tragically cut short at its peak by his premature death in 1973. Stein was a fierce competitor who defeated virtually all of his closest rivals and enjoyed excellent results even against World Champions. Stein possessed a unique creative attacking style, and his legacy includes a number of wonderful attacking games. In this book, International Master Thomas Engqvist invites readers to join him in a study of his favorite Stein games, and shows how we can all improve by learning from Stein’s masterpieces.
Move by Move provides an ideal platform to study chess. By continually challenging the reader to answer probing questions throughout the book, the Move by Move format greatly encourages the learning and practicing of vital skills just as much as the traditional assimilation of knowledge. Carefully selected questions and answers are designed to keep you actively involved and allow you to monitor your progress as you learn. This is an excellent way to improve your chess skills and knowledge.
Leonid Stein
Quelle: Georges Bertola, Europe Échecs
Seine Bilanz gegen die Weltelite war eindrucksvoll:
+4 gegen Bronstein, +3 gegen Spassky, = gegen Botwinnik, -1 gegen Petrosjan, -1 gegen Fischer.
Er hätte Weltmeister werden können. Er war nah dran. Mehrfach. Doch die Regeln, das System und schließlich sein Herz standen ihm im Weg. Leonid Stein, geboren 1934 in Kamjanez-Podilskyj, starb am 4. Juli 1973, mitten in der Vorbereitung auf das Interzonenturnier in Brasilien. Er war 38 Jahre alt.
Kindheit im Schatten des Krieges
Kamjanez-Podilskyj – ein historischer Ort in der Westukraine, nahe Moldau und Rumänien. Hier begann Steins Leben. Doch es hatte kaum begonnen, als es beinahe endete. Im Sommer 1941 rückte die Wehrmacht vor, und mit ihr kamen die Einsatzgruppen. Innerhalb weniger Tage wurden über 23.000 Juden ermordet. Die Familie Stein entkam knapp nach Usbekistan, siedelte sich in Taschkent an. Der Vater überlebte den Typhus nicht. Leonid Stein war sieben, als er Halbwaise wurde.
1948 kehrte die Familie zurück, diesmal nach Lwiw. Dort begann Stein Schach zu spielen – in einem Pionierpalast unter Aufsicht des Meisters Gorenstein. Später betreute ihn Alexei Sokolsky, der Theoretiker der Orang-Utan-Eröffnung.
Aufstieg im Schatten der Großen
Seine Entwicklung verlief nicht wie bei Tal oder Spassky. Kein Wunderkind. Kein kometenhafter Aufstieg. Mit 18 war er erst Meisterkandidat, mit 24 Meister, die UdSSR-Meisterschaft spielte er erstmals 1961. Aber da schlug er sofort ein: Er bezwang Petrosjan, der später Weltmeister wurde, und teilte mit Geller Platz drei.
Efim Geller wurde sein Mentor. Stein spielte fortan Spanisch, Indisch, klassischer, gezielter. Und doch: Er blieb ein Instinktspieler. Schnell. Impulsiv. Riskant. Michail Tal war ihm im Wesen wohl näher als Karpow.
Der Aufstieg und die Quoten
Im Interzonenturnier 1962 in Stockholm spielte er stark, wurde Sechster – aber das genügte nicht. Drei Sowjets waren bereits qualifiziert, also blieb der Platz für das Kandidatenturnier Benko. Zwei Jahre später dasselbe Spiel: Erneut war Stein eigentlich qualifiziert, erneut zählten andere mehr. Erst 1965 wurde die unsägliche FIDE-Quotenregel gestrichen.
1963 gewann Stein die UdSSR-Meisterschaft, wieder 1965, dann 1967. Dreifacher Champion in der stärksten Landesmeisterschaft der Welt. Doch für den Kampf um den WM-Titel reichte es nicht – nie.
Ein geplatztes Match gegen Fischer
1966 in Havanna kam es zum bemerkenswertesten Nicht-Match der Schachgeschichte. Bobby Fischer schlug ihm ein inoffizielles Duell vor. Bis sechs Siege, ohne Remiswertung. Castro war begeistert, alles schien möglich. Doch Moskau bremste: Kein Match ohne FIDE. Stein zog sich zurück. Fischer erzählte es anders. Aber das Projekt starb, bevor es geboren war.
Glanzpartien gegen Giganten
Er spielte viele große Partien. Eine ragt heraus: gegen Wassili Smyslow, Moskau 1972. Stein, schon ein gesetzter Spieler, spielt gegen den soliden Ex-Weltmeister mit einem Bauernzug, der aus der Zeit gefallen scheint – 10.h4!?, ein Vorstoß, wie man ihn heute in AlphaZero-Partien sieht.
Er rochiert nicht, entwickelt kaum, doch bringt seine Figuren wie aus dem Nichts ins Zentrum. Die Bauern stürmen. Der König bleibt in der Mitte. Es ist ein Spiel, das alles verneint, was Lehrbücher lehren – und genau deshalb brillant ist. Stein zerreißt Smyslow regelrecht, in einem Angriff, der sich direkt aus dem Nichts formt. Es ist ein Stilbruch mit dem klassischen Schach – und eine Vorahnung des 21. Jahrhunderts.
Das Ende: zu früh, zu banal
1973 bereitete sich Stein ernsthaft auf das Interzonenturnier in Brasilien vor. Zum ersten Mal war er gesetzt, musste sich nicht qualifizieren. Er war bereit. Vielleicht zum letzten Mal. Am 4. Juli erlitt er einen Herzinfarkt – behandelt von einer Krankenschwester, nicht von einem Arzt. Es war ein banaler Tod für einen Ausnahmespieler.
Anatoli Karpow sah ihn am Vorabend noch – sie wollten nach Bath zur Europameisterschaft. Stein sagte: „Du wirst überrascht sein. Wenn ich in Brasilien ankomme, wird mein Leben anders verlaufen.“ Er kam nie an.
"Stein move by move" (2015), Klappentext:
Leonid Stein was a three-time Soviet Chess Champion and one of the World’s strongest players during his career, which was tragically cut short at its peak by his premature death in 1973. Stein was a fierce competitor who defeated virtually all of his closest rivals and enjoyed excellent results even against World Champions. Stein possessed a unique creative attacking style, and his legacy includes a number of wonderful attacking games. In this book, International Master Thomas Engqvist invites readers to join him in a study of his favorite Stein games, and shows how we can all improve by learning from Stein’s masterpieces.
Move by Move provides an ideal platform to study chess. By continually challenging the reader to answer probing questions throughout the book, the Move by Move format greatly encourages the learning and practicing of vital skills just as much as the traditional assimilation of knowledge. Carefully selected questions and answers are designed to keep you actively involved and allow you to monitor your progress as you learn. This is an excellent way to improve your chess skills and knowledge.