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Kenneth Rogoff

“Deutschlands Wirtschaft, eine Maschine” – Ökonom und Schachgroßmeister Kenneth Rogoff

https://twitter.com/JustChessSports/status/1903313612489322689

Ken Rogoff: Vom Schachmeister zum weltbekannten Wirtschaftsexperten

Ken Rogoff, heute einer der weltweit führenden Wirtschaftswissenschaftler, begann seine außergewöhnliche Laufbahn ursprünglich als erfolgreicher Schachspieler. Bereits in jungen Jahren sorgte Rogoff auf nationaler Ebene für Aufsehen: Im Sommer 1969 gewann er im Alter von nur 16 Jahren die US-Juniorenmeisterschaft in New York mit einem beeindruckenden Ergebnis von 6:1 Punkten. Damit stellte er einen neuen Rekord auf und wurde zum damals jüngsten Sieger des Turniers. Unterstützt wurde der Wettbewerb großzügig von Jacqueline und Gregor Piatigorsky, die sämtliche Kosten übernahmen und ursprünglich sogar einen Wanderpokal gestiftet hatten – doch dieser wurde kurioserweise noch vor der offiziellen Übergabe aus dem Turnierhotel gestohlen. Rogoff erhielt schließlich einen Ersatzpokal, der ihm bis heute in Erinnerung blieb.

Schon zu diesem frühen Zeitpunkt zeigten sich bedeutende Schachgrößen beeindruckt von seinem außergewöhnlichen Talent: So war unter anderem Weltklasse-Großmeister Bobby Fischer als Zuschauer beim Juniorenturnier anwesend und bescheinigte Rogoff ein großes Potenzial. Auch der dänische Weltklassespieler Bent Larsen hatte bereits ein Jahr zuvor seine Bewunderung für den jungen Rogoff geäußert.

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In dem von ihm gewonnenen Turnier ließ Rogoff unter anderem den Zweitplatzierten Salvatore Matera und den Dritten James Tarjan hinter sich. Matera war dabei der einzige Spieler, der Rogoff eine Niederlage zufügen konnte, während der spätere Ökonom die übrigen Partien souverän gewann – darunter auch eine entscheidende Partie in der Schlussrunde gegen Steven Spencer. Rogoff sicherte sich mit diesem Sieg die Teilnahme an der Junioren-Weltmeisterschaft in Stockholm.

Obwohl er erst zweieinhalb Jahre zuvor mit dem Turnierschach begonnen hatte, avancierte Ken Rogoff innerhalb kurzer Zeit zu einem der dominierenden Spieler in seiner Region und schließlich auf nationaler Ebene. Nach seiner Juniorenzeit entwickelte er sich kontinuierlich weiter: In den 1970er-Jahren gehörte er bereits zur Weltelite und erreichte zwischen 1976 und 1978 sogar den Status eines starken Großmeisters mit einer Elo-Zahl von rund 2540. Damit war er zeitweise unter den besten 70 Spielern der Welt; Professor Arpad Elo, Erfinder des Elo-Bewertungssystems, informierte Rogoff persönlich über seine Platzierung unter den Top-40 der Weltrangliste.

Parallel zu seinem sportlichen Erfolg widmete sich Rogoff einer akademischen Laufbahn, die ihn schließlich an die Spitze der Wirtschaftswissenschaft führte. Er wurde Professor an der Harvard University und war von 2001 bis 2003 Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF). Gemeinsam mit Carmen Reinhart verfasste Rogoff 2009 das vielbeachtete Buch This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly, das weltweit von Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten zitiert wird. Seine Forschung zeigte unter anderem erstaunliche Parallelen zwischen verschiedenen Finanzkrisen im Verlauf der Jahrhunderte und widerlegte viele traditionelle Vorstellungen über Unterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern.

Klappentext:

Using clear, sharp analysis and comprehensive data, Reinhart and Rogoff document that financial fallouts occur in clusters and strike with surprisingly consistent frequency, duration, and ferocity. They examine the patterns of currency crashes, high and hyperinflation, and government defaults on international and domestic debts--as well as the cycles in housing and equity prices, capital flows, unemployment, and government revenues around these crises. While countries do weather their financial storms, Reinhart and Rogoff prove that short memories make it all too easy for crises to recur.
 

„Ich war süchtig nach Schach“ – Kenneth Rogoff über Fischer, Larsen, Dvorkovich und ein Leben nach dem Spiel

Von Rochester nach Harvard, von der US-Jugendmeisterschaft ins Herz der Weltwirtschaft: Kenneth Rogoff zählt zu den wenigen Schachgroßmeistern, die abseits des Schachs eine zweite Weltkarriere machten. Im Gespräch mit Ben Johnson auf dem Perpetual Chess Podcast erzählt Rogoff ausführlich von seiner Schachjugend, seinen Begegnungen mit Bobby Fischer und Bent Larsen, seiner Sicht auf Kasparow und Dvorkovich – und warum er das Schachspiel trotz allem nie ganz losließ.

Fischer: Der Champion als Mentor

Besonders lebendig schildert Rogoff seine Begegnung mit Bobby Fischer während der US-Juniorenmeisterschaft 1969. Fischer, damals noch nicht Weltmeister, aber bereits ein Idol, verbrachte mehrere Tage im Turniersaal, analysierte Partien und lobte öffentlich den damals 16-jährigen Rogoff. In einer seltenen Geste schrieb Fischer in seiner Schachkolumne, was ihn an dem Jungen aus Rochester beeindruckt habe: dessen Selbstsicherheit, sein klares Spielverständnis – und der rasante Fortschritt in nur zwei bis drei Jahren intensiven Trainings.

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Fischer, erinnert sich Rogoff, sei freundlich gewesen, habe Varianten gezeigt und sich dabei sogar zu seinen eigenen Schwächen bekannt. Etwa im Bereich der Turmendspiele, an denen er intensiv gearbeitet habe – „er schloss sich drei Monate in einem fensterlosen Hotelzimmer ein“, so Rogoff. Diese Anekdote blieb ihm bis heute im Gedächtnis. Noch Jahrzehnte später dachte er über Fischers Ideen zu bestimmten Varianten nach – etwa im Klassischen Caro-Kann.

Zwischen Karpow und Europa

Trotz der Anerkennung durch Fischer war Rogoff klar, dass seine schachliche Entwicklung Grenzen hatte. Als er Anatoli Karpow 1969 traf, erkannte er dessen tieferes Spielverständnis. Karpow sei ganz auf Schach fokussiert gewesen, umgeben von einem sowjetischen Unterstützerteam – etwas, das dem jungen Amerikaner fehlte. Rogoff war beeindruckt, aber auch ernüchtert: „Ich wusste, dass ich ihn nicht schlagen würde.“

Sein eigener Weg führte ihn im selben Jahr nach Europa. Mit 16 verließ er die High School, um in London, Frankreich und vor allem Jugoslawien Turniere zu spielen – oft allein, mit wenig Geld, manchmal schlafend auf Parkbänken. „Ich lebte zwischen Fünf-Sterne-Hotels und Bahnhofswartehallen“, sagt er. Und: „Ich war süchtig nach Schach.“

In Jugoslawien erlebte Rogoff ein anderes Schachgefühl: Partien wurden im Fernsehen übertragen, Wetten abgeschlossen – und er wurde auf offener Straße für schlechte Züge kritisiert. „Es war das erste Mal, dass ich mich als Schachspieler gesellschaftlich akzeptiert fühlte.“

Bent Larsen und ein verpasster Sieg

Eine prägende Erinnerung ist Rogoffs Partie gegen Bent Larsen bei der Canadian Open 1968. Damals war Rogoff 15, Larsen einer der besten Spieler der Welt und die Partie wurde im Fernsehen übertragen. Larsen, offenbar nicht begeistert über den unbekannten Gegner, las demonstrativ Zeitung während der Züge. Doch Rogoff spielte stark, stand klar auf Gewinn – und nahm dann ein Remisangebot an. „Ein Fehler, der meiner Entwicklung schadete“, urteilt er heute. Gleichwohl bewundert er Larsen bis heute: „Er war der beste Endspieler seiner Zeit und seiner Gegner weit voraus.“ In seinem neuen Buch zitiert Rogoff sogar eine Sentenz Larsens: „Ist es besser, gut oder glücklich zu sein? Beides.“

Kasparow, Carlsen – und ein Remis gegen Magnus

Rogoff begegnete Garry Kasparow später in anderen Kontexten – etwa bei Debatten über künstliche Intelligenz, wo sie gemeinsam auf einem Podium standen. Schach, so Rogoff, habe ihm viele Einsichten über technologische Entwicklungen gegeben, die er auch in seiner ökonomischen Arbeit nutze.

2012 kam es zu einer Blitzpartie gegen Magnus Carlsen – sein einziges ernsthaftes Spiel nach jahrzehntelanger Pause. Carlsen wählte eine ihm bekannte Variante im Spanier, Rogoff kannte sie noch aus seiner aktiven Zeit. Eine Ungenauigkeit Carlsens erlaubte ihm eine vorteilhafte Stellung, die Partie endete Remis. „Ich wollte nur nicht blamiert werden“, sagt Rogoff bescheiden.

Dvorkovich im Kreml

Eine andere prägende Begegnung hatte Rogoff 2003 im Kreml, als er als Chefökonom des Internationalen Währungsfonds mit einem jungen Arkadi Dvorkovich zusammentraf – heute Präsident des Weltschachbundes. Dvorkovich, damals Berater von Putin, beeindruckte Rogoff durch seine Offenheit: „Er sprach ganz offen über wirtschaftliche Not, Arbeitslosigkeit und die Risiken gesellschaftlicher Instabilität.“ Im Raum stand ein Schachbrett – mit einer Stellung aus einer Partie Rogoff–Reshevsky. „Er war brillant“, erinnert sich Rogoff, „und auch ein Schachliebhaber.“

Das Ende einer Schachkarriere – und eine neue Obsession

Rogoff brach seine Schachkarriere abrupt ab. Nach einem kurzen Besuch in Yale fand er seine neue Leidenschaft: Wirtschaftswissenschaften. Es dauerte einige Jahre, bis die emotionale Tiefe des Schachs durch akademische Begeisterung ersetzt war – doch irgendwann saß er nachts über Gleichungen und merkte: „Ich bin jetzt ein Ökonom.“

Heute blickt er ohne Reue zurück. „Wäre ich beim Schach geblieben, wäre ich glücklich geworden“, sagt er. Doch ihn störte das viele Reisen, der soziale Rückzug, und der Wunsch, „etwas Bedeutenderes zu tun“. Seiner Leidenschaft für das Spiel tut das keinen Abbruch. Er denkt immer noch regelmäßig über alte Partien nach – etwa über verpasste Chancen gegen Reshevsky, über Endspiele, die ihn bis heute beschäftigen.

Ein Leben zwischen zwei Welten

Kenneth Rogoff lebt heute als Harvard-Professor, Buchautor und politischer Berater – aber mit dem Herzen eines Schachspielers. „Ich glaube, ein Teil meines Gehirns ist dauerhaft aufs Schach verdrahtet“, sagt er. Vielleicht ist genau das die Stärke seiner Stimme, wenn er über globale Finanzsysteme, Schuldenpolitik oder künstliche Intelligenz spricht: Er denkt in Mustern, Varianten und langfristigen Folgen – wie ein Großmeister.

Das neue Buch von Ken Rogoff erscheint auf Deutsch erst im Oktober, lässt sich aber schon vorbestellen. Amazon-Klappentext:

Die ganze Welt ist abhängig vom Dollar. Doch wird das auch so bleiben? Der führende Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Rogoff untersucht den Aufstieg des US-Dollars zur Weltwährung und zeigt, warum seine Vormachtstellung alles andere als gesichert ist.
Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds stützt sich auf eigene Erfahrungen, unter anderem mit politischen Entscheidungsträgern und Staatsoberhäuptern, und beschreibt, wie der Dollar sich gegen den japanischen Yen, den sowjetischen Rubel und den Euro durchsetzte. Präzise analysiert er die aktuellen Herausforderungen, mit denen die Leitwährung konfrontiert ist: Kryptowährungen und der chinesische Yuan, zunehmende Inflation und höhere Zinssätze, politische Instabilität und das Auseinanderbrechen des Dollarblocks. Das Ende der Pax-Dollar-Ära könnte bereits eingeläutet sein, nicht nur, weil viele Länder von dem System zutiefst frustriert sind, sondern auch, weil Selbstüberschätzung und Arroganz zu Fehlern führen. Rogoff zeigt, wie Amerikas übergroße Macht und exorbitante Privilegien finanzielle Instabilität nach sich ziehen – im eigenen Land und auf der ganzen Welt.

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