1978: WM Karpow vs. Kortschnoi
Zitat von Conrad Schormann am 17. März 2025, 9:28 UhrDer Schach-WM-Kampf 1978: Joghurt, Hypnose und ein sowjetischer Schatten
Der Schachweltmeisterschaftskampf 1978 zwischen Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi in Baguio, Philippinen, war mehr als nur ein Duell zweier Großmeister – er war eine bizarre Mischung aus Kaltem Krieg, Parapsychologie, Spionage und Psychospielchen. Kortschnoi, der Dissident, trat gegen Karpow an, den Favoriten des sowjetischen Systems. Der Kampf um den Titel wurde zu einem grotesken Theater, das in die Geschichte einging.
Ein ungleicher Kampf: Der Exilant gegen den Kreml-Favoriten
Vier Jahre zuvor, 1974, hatte Karpow Kortschnoi im Kandidatenfinale geschlagen. Doch als Bobby Fischer 1975 seinen Titel nicht verteidigte, wurde Karpow kampflos Weltmeister – eine Entscheidung, die Kortschnoi, der sich vom sowjetischen System benachteiligt fühlte, nie akzeptierte. Nach seiner Flucht in den Westen 1976 wurde er als „Vaterlandsverräter“ gebrandmarkt, seine Familie in der Sowjetunion als Geisel gehalten. Dennoch kämpfte er sich durch den Kandidatenzyklus und wurde Karpows Herausforderer für den Weltmeistertitel 1978.
Ein Schachbrett als Schlachtfeld des Kalten Krieges
Die Welt betrachtete das Match als eine weitere Konfrontation zwischen Ost und West, ähnlich wie Fischer-Spassky 1972. Doch während Fischer gegen Spassky seine eigenen skurrilen Forderungen stellte, wurde Kortschnoi mit einem weit überlegenen Gegner außerhalb des Schachbretts konfrontiert. Die sowjetische Delegation war mit über 20 Personen angereist, darunter Schachgroßmeister, KGB-Agenten, Ärzte, Köche – und ein Parapsychologe namens Wladimir Suchar, der angeblich durch Hypnose Kortschnois Konzentration stören sollte.
Kortschnoi versuchte, sich mit seinen eigenen Methoden zu wehren. Er forderte, dass Suchar in die hinteren Reihen verbannt werde, woraufhin Karpow plötzlich drei Partien in Folge gewann. Als Gegenmaßnahme lud Kortschnoi zwei Mitglieder der esoterischen Sekte Ananda Marga zu seinen Partien ein – bekleidet in orangefarbenen Roben, brabbelten sie unverständliche Mantras. Die Sowjets beschuldigten sie des Mordes, und die philippinische Polizei verhaftete sie.
Der Joghurt-Skandal und die Brillen-Farce
Das Match war von absurden Protesten geprägt. Karpow ließ sich während der Partien regelmäßig Joghurt servieren – doch Kortschnoi witterte dahinter einen Code. War Erdbeerjoghurt ein Zeichen für Angriff? Bedeutete Bananenjoghurt Remis? Um die Situation zu entschärfen, entschied der Schiedsrichter, dass Karpow jeden Tag zur gleichen Zeit denselben Joghurt erhalten dürfe.
Ein weiteres Drama entfaltete sich rund um Kortschnois verspiegelte Brille. Da er Karpows „hypnotischen Blick“ für seine Niederlagen verantwortlich machte, tauchte er mit einer Sonnenbrille auf, die das Bühnenlicht direkt in Karpows Gesicht reflektierte. Als Karpow sich beschwerte, konnte der Schiedsrichter nichts tun – es gab keine Regel gegen Schachspielen mit Brille.
Der Psychokrieg eskaliert – und Kortschnoi kämpft sich zurück
Karpow dominierte zunächst, führte mit 5:2 und brauchte nur noch einen Sieg zur Titelverteidigung. Doch Kortschnoi wehrte sich und gewann die Partien 28, 29 und 31. Plötzlich stand es 5:5 – wer die nächste Partie gewann, würde Weltmeister.
Kortschnoi war überzeugt, dass er Karpow mit einer Neuerung in der Pirc-Verteidigung überraschen konnte. Doch am 17. Juli 1978, im entscheidenden 32. Spiel, war es Karpow, der perfekt vorbereitet schien. Der Verdacht kam auf, dass jemand Kortschnois Vorbereitung verraten hatte. Der sowjetische Weltmeister spielte eine brillante Partie und gewann nach vier Stunden. Kortschnoi erschien nicht zur nächsten Partie – Karpow wurde zum Sieger erklärt.
Verrat, KGB und eine düstere Prophezeiung
Kortschnoi war überzeugt, dass Karpow und sein Team durch Spione von seinem geplanten Angriff wussten. Jahre später wechselte sein Assistent Raymond Keene auf die Seite Karpows, und Florencio Campomanes, der das Turnier geleitet hatte, wurde FIDE-Präsident – beides verstärkte Kortschnois Zweifel an Verrat.
WerbungNoch später, nach der Veröffentlichung der Mitrochin-Akten, stellte sich heraus, dass 18 KGB-Agenten in Baguio stationiert waren, um sicherzustellen, dass Kortschnoi nicht gewann. Der lettische Großmeister Michail Tal, der für Karpow arbeitete, sagte später zu Kortschnoi: „Du hattest Glück. Du hättest diese Insel nicht lebend verlassen, wenn du gewonnen hättest.“
Nachspiel: Ein unversöhnlicher Zweikampf
Drei Jahre später, 1981, trafen sich die beiden Kontrahenten erneut im WM-Match in Meran. Karpow siegte mit 6:2 – diesmal ohne Skandale. Doch Kortschnoi hörte nie auf zu kämpfen, spielte bis ins hohe Alter weiter und galt als „ungekrönter Weltmeister“.
Anatoli Karpow blieb jahrzehntelang eine zentrale Figur im Schach und in der Politik Russlands. Viktor Kortschnoi, der ewige Kämpfer, starb 2016 – ein Mann, der vielleicht hätte Weltmeister werden können, wenn nicht Joghurt, Hypnose und die unsichtbare Hand des Kremls ihm im Weg gestanden hätten.
Der Schach-WM-Kampf 1978: Joghurt, Hypnose und ein sowjetischer Schatten
Der Schachweltmeisterschaftskampf 1978 zwischen Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi in Baguio, Philippinen, war mehr als nur ein Duell zweier Großmeister – er war eine bizarre Mischung aus Kaltem Krieg, Parapsychologie, Spionage und Psychospielchen. Kortschnoi, der Dissident, trat gegen Karpow an, den Favoriten des sowjetischen Systems. Der Kampf um den Titel wurde zu einem grotesken Theater, das in die Geschichte einging.
Ein ungleicher Kampf: Der Exilant gegen den Kreml-Favoriten
Vier Jahre zuvor, 1974, hatte Karpow Kortschnoi im Kandidatenfinale geschlagen. Doch als Bobby Fischer 1975 seinen Titel nicht verteidigte, wurde Karpow kampflos Weltmeister – eine Entscheidung, die Kortschnoi, der sich vom sowjetischen System benachteiligt fühlte, nie akzeptierte. Nach seiner Flucht in den Westen 1976 wurde er als „Vaterlandsverräter“ gebrandmarkt, seine Familie in der Sowjetunion als Geisel gehalten. Dennoch kämpfte er sich durch den Kandidatenzyklus und wurde Karpows Herausforderer für den Weltmeistertitel 1978.
Ein Schachbrett als Schlachtfeld des Kalten Krieges
Die Welt betrachtete das Match als eine weitere Konfrontation zwischen Ost und West, ähnlich wie Fischer-Spassky 1972. Doch während Fischer gegen Spassky seine eigenen skurrilen Forderungen stellte, wurde Kortschnoi mit einem weit überlegenen Gegner außerhalb des Schachbretts konfrontiert. Die sowjetische Delegation war mit über 20 Personen angereist, darunter Schachgroßmeister, KGB-Agenten, Ärzte, Köche – und ein Parapsychologe namens Wladimir Suchar, der angeblich durch Hypnose Kortschnois Konzentration stören sollte.
Kortschnoi versuchte, sich mit seinen eigenen Methoden zu wehren. Er forderte, dass Suchar in die hinteren Reihen verbannt werde, woraufhin Karpow plötzlich drei Partien in Folge gewann. Als Gegenmaßnahme lud Kortschnoi zwei Mitglieder der esoterischen Sekte Ananda Marga zu seinen Partien ein – bekleidet in orangefarbenen Roben, brabbelten sie unverständliche Mantras. Die Sowjets beschuldigten sie des Mordes, und die philippinische Polizei verhaftete sie.
Der Joghurt-Skandal und die Brillen-Farce
Das Match war von absurden Protesten geprägt. Karpow ließ sich während der Partien regelmäßig Joghurt servieren – doch Kortschnoi witterte dahinter einen Code. War Erdbeerjoghurt ein Zeichen für Angriff? Bedeutete Bananenjoghurt Remis? Um die Situation zu entschärfen, entschied der Schiedsrichter, dass Karpow jeden Tag zur gleichen Zeit denselben Joghurt erhalten dürfe.
Ein weiteres Drama entfaltete sich rund um Kortschnois verspiegelte Brille. Da er Karpows „hypnotischen Blick“ für seine Niederlagen verantwortlich machte, tauchte er mit einer Sonnenbrille auf, die das Bühnenlicht direkt in Karpows Gesicht reflektierte. Als Karpow sich beschwerte, konnte der Schiedsrichter nichts tun – es gab keine Regel gegen Schachspielen mit Brille.
Der Psychokrieg eskaliert – und Kortschnoi kämpft sich zurück
Karpow dominierte zunächst, führte mit 5:2 und brauchte nur noch einen Sieg zur Titelverteidigung. Doch Kortschnoi wehrte sich und gewann die Partien 28, 29 und 31. Plötzlich stand es 5:5 – wer die nächste Partie gewann, würde Weltmeister.
Kortschnoi war überzeugt, dass er Karpow mit einer Neuerung in der Pirc-Verteidigung überraschen konnte. Doch am 17. Juli 1978, im entscheidenden 32. Spiel, war es Karpow, der perfekt vorbereitet schien. Der Verdacht kam auf, dass jemand Kortschnois Vorbereitung verraten hatte. Der sowjetische Weltmeister spielte eine brillante Partie und gewann nach vier Stunden. Kortschnoi erschien nicht zur nächsten Partie – Karpow wurde zum Sieger erklärt.
Verrat, KGB und eine düstere Prophezeiung
Kortschnoi war überzeugt, dass Karpow und sein Team durch Spione von seinem geplanten Angriff wussten. Jahre später wechselte sein Assistent Raymond Keene auf die Seite Karpows, und Florencio Campomanes, der das Turnier geleitet hatte, wurde FIDE-Präsident – beides verstärkte Kortschnois Zweifel an Verrat.
Noch später, nach der Veröffentlichung der Mitrochin-Akten, stellte sich heraus, dass 18 KGB-Agenten in Baguio stationiert waren, um sicherzustellen, dass Kortschnoi nicht gewann. Der lettische Großmeister Michail Tal, der für Karpow arbeitete, sagte später zu Kortschnoi: „Du hattest Glück. Du hättest diese Insel nicht lebend verlassen, wenn du gewonnen hättest.“
Nachspiel: Ein unversöhnlicher Zweikampf
Drei Jahre später, 1981, trafen sich die beiden Kontrahenten erneut im WM-Match in Meran. Karpow siegte mit 6:2 – diesmal ohne Skandale. Doch Kortschnoi hörte nie auf zu kämpfen, spielte bis ins hohe Alter weiter und galt als „ungekrönter Weltmeister“.
Anatoli Karpow blieb jahrzehntelang eine zentrale Figur im Schach und in der Politik Russlands. Viktor Kortschnoi, der ewige Kämpfer, starb 2016 – ein Mann, der vielleicht hätte Weltmeister werden können, wenn nicht Joghurt, Hypnose und die unsichtbare Hand des Kremls ihm im Weg gestanden hätten.