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1972: WM Fischer vs. Spasski, "Match des Jahrhunderts"

Bobby Fischer und sein Drehstuhl

André Schulz beim SWR:

https://www.swr.de/swrkultur/wissen/andre-schulz-schach-und-politik-matinee-swr-kultur-20250316-100.html

André Schulz über die Schach-WM 1972, Bobby Fischer, Boris Spasski und die Angst der Sowjets

Die Schach-WM 1972 als Politikum des Kalten Krieges

André Schulz beschreibt die Weltmeisterschaft zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski 1972 als weit mehr als nur ein sportliches Ereignis – es war ein Prestigeduell zwischen Ost und West. Die Sowjetunion hatte Schach als Teil ihrer Kultur und als Beweis der intellektuellen Überlegenheit der Arbeiterklasse gefördert. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatten ausschließlich sowjetische Großmeister um den Titel gespielt.

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Doch dann kam Bobby Fischer, ein US-Amerikaner, der die Sowjets mit seinem außergewöhnlichen Talent in Panik versetzte. Spasski, der amtierende Weltmeister, wurde von einem ganzen Team sowjetischer Großmeister und Experten unterstützt, während Fischer allein als Einzelkämpfer nach Reykjavik kam.

Die Angst der Sowjets vor Fischer

Die sowjetische Schachführung fürchtete Fischer schon lange. Bereits 1962, als er sich das erste Mal anschickte, Weltmeister zu werden, verhinderten abgesprochene Unentschieden zwischen sowjetischen Spielern seinen Durchbruch. Bei seinem zweiten Angriff auf den Titel, 1970–72, dominierte Fischer seine Gegner in beängstigender Weise, besiegte unter anderem Mark Taimanov mit 6:0 und ließ keinen Zweifel daran, dass er eine reale Bedrohung für die sowjetische Schach-Hegemonie darstellte.

Fischers Beziehung zu Politik und die Intervention von Henry Kissinger

Für Fischer selbst war der Wettkampf kein ideologischer Kampf, sondern eine persönliche Mission. Allerdings sahen die Amerikaner – im Gegensatz zu ihm – die Möglichkeit, die sowjetische Überlegenheit im Schach zu brechen. Henry Kissinger rief Fischer persönlich an und drängte ihn, nach Reykjavik zu reisen.

Als Fischer schließlich den Titel gewann, wurde das in der westlichen Welt als Triumph des Kapitalismus gefeiert.

Boris Spasski: Der Gentleman und sein Verhältnis zu Fischer

Schulz beschreibt Spasski als fairen und respektvollen Gegner, der sich während des Matches viel gefallen ließ. Trotz Fischers exzentrischen und teils irrationalen Forderungen (z. B. zur Beleuchtung des Spielsaals) wollte Spasski das Match korrekt zu Ende spielen.

Auch nach dem Titelkampf blieb der Kontakt bestehen. Als Fischer 1992 – zwanzig Jahre nach dem legendären WM-Kampf – zu einem Rückkampf in Jugoslawien antrat, war Spasski dabei. Und als Fischer später in Japan festgenommen wurde, setzte sich Spasski für ihn ein.

“This Little Thing with Me and Spassky”

Wenn ein Amerikaner und ein Russe Schach spielen, 1972 zumal, ist das mehr als ein Spiel. “Even this little thing with me and Spassky is sort of a microcosm of the whole world political situation”, sagt Bobby Fischer gleich zu Beginn der nach diesem Satz benannten BBC-Dokumentation – ein Schlüssel zur Deutung eines Spiels, das zum Stellvertreterkonflikt des Kalten Krieges wurde. Und zur Selbstdeutung eines Mannes, der Schach nicht spielte, sondern lebte.

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Die BBC hat am 28. April ihre Reportage zur WM 1972 auf YouTube veröffentlicht. Prädikat: sehenswert.

Reykjavik, Island

Ein karger Ort. Grau. Einsam. “This is Reykjavik, Iceland. It’s an empty, lonely place. Hardly anybody ever comes here”, sagt BBC-Reporter James Burke. 1972 rückt die Insel ins Zentrum der Weltöffentlichkeit. Beim “Match des Jahrhunderts” begegnen sich zwei Männer, die gegensätzlicher kaum sein könnten – und dennoch im selben Spiel, auf denselben 64 Feldern dieselbe Obsession teilen.

Die BBC zeigt Fischer als getrieben, verschlossen, kompromisslos. “You either consider him the greatest chess player who ever lived or the most arrogant man you’re ever likely to meet”, sagt Burke über den Menschen, der von Kindheit an dem Spiel verfallen ist. “I started playing games with myself… eventually I would checkmate the other guy. I almost always won.”

Früh fühlt Fischer sich als der Beste. “If it’s true, it’s not arrogant.” Die Doku lässt ihn ausführlich sprechen. Über seine Kindheit, über russische Schachbücher, über das frühe Gefühl, betrogen worden zu sein. Seine Abneigung gegen sowjetische Spieler ist nicht nur politisch, sondern persönlich. “The first time the Russians ever mentioned me… they said all this publicity he’s getting is sure to do damage to his character.”

Was folgt, ist eine jahrzehntelange Geschichte von Misstrauen, Verschwörung und Trotz. “I wrote an article: ‘The Russians cheated at chess.'” Der Vorwurf: Absprachen, manipulierte Partien, gezielte Belastung. Die Doku gibt Raum für Fischers Sicht – und lässt Weggefährten wie Bent Larsen und Svetozar Gligoric ergänzen. Larsen erinnert sich, wie Fischer in einem Match gegen Michail Tal zuerst einen Zug aufschrieb, Tal ihn las, Fischer dann einen anderen Zug spielte – und verlor. “That loss helped his bitterness grow.”

Über Boris Spasski erfährt das Publikum weniger direkt. Gligoric zeichnet ein Bild des disziplinierten, innerlich wachen Meisters mit “poker face”. Spassky sei “a very intelligent man” mit feinem Gespür für kritische Momente. Seine Stärke: das Gleichgewicht erkennen – und kippen.

Fischer erkennt das an. Aber er sagt auch: “If you play aggressive chess, like black did here, you can take even a very strong player pretty easily.”

Fischer lebt in Hotelzimmern, spielt gegen sich selbst, lernt Partien auswendig. “He literally lives for chess.” Die Kamera zeigt einen Mann, der in Isolation Perfektion sucht. “I like to meet people, but I don’t like to meet 80 people at a shot.”

Ein Leben außerhalb des Spiels scheint für ihn kaum denkbar. “I always say to myself, what else can I do? Nothing.”

Für Fischer geht es um mehr als den Titel. “I felt all along that I’ve been the best. But especially to the general public… it’d be nice to show the Russians, too.” Dass er am Ende doch spielt, ist keine Selbstverständlichkeit. Er unterschreibt zehn Minuten vor Ablauf der Frist.

Sein Ziel: gewinnen – und danach endlich Ruhe. “I’m going to be working just as much… but I’m not going to have so much of a hassle with day-to-day things.”

Die BBC-Dokumentation zeigt keinen Helden und keinen Schurken. Sie zeigt einen Mann im Ausnahmezustand. Getrieben, brillant, streitbar. Und ein Spiel, das auf einmal die Welt bedeutet.

Am Ende sagt Fischer, er habe Angst vor der Leere nach dem Sieg. “It’s going to be a bit of a problem… but I’ll worry about that when I get there.”

Der Rest ist Geschichte.

Fischer gegen Spassky 1972: Ein „Chicken Game“ auf dem Schachbrett

Zenón Franco, ABC Color (15. Dezember 2008)

Zenón Franco Ocampos beschreibt Fischers Verhalten vor und während des WM-Kampfs 1972 als ein „Chicken Game“ – ein Spiel des ultimativen Risikos, bei dem er immer wieder alles auf eine Karte setzte. Schon vor Beginn forderte Fischer eine Verdopplung des Preisgelds, die schließlich durch den britischen Millionär James Slater möglich gemacht wurde. Neun Tage nach dem geplanten Termin begann das Match in Reykjavik – nach Boykott, Forderungen und endlosen Auseinandersetzungen.

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Fischer startete mit zwei Niederlagen: Er verlor die erste Partie durch einen unerklärlichen Fehler und erschien zur zweiten Partie gar nicht. Doch nach Zugeständnissen bei den Kamerabedingungen und einer dritten Partie unter Ausschluss der Zuschauer gelang ihm sein erster Sieg über Spassky – ein psychologischer Wendepunkt. Danach dominierte Fischer: Er gewann u. a. die sechste Partie im Damengambit in überragendem Stil und setzte sich schließlich mit 12,5:8,5 durch.

Der Wettkampf war auch von bizarren Nebenschauplätzen geprägt: So ließ die sowjetische Delegation Fischers Stuhl auf elektronische Manipulationen untersuchen – gefunden wurden lediglich ein Schraubenzieher und zwei tote Fliegen. Fischer selbst kommentierte später, dass er trotz des Sieges in der zweiten Hälfte des Matches stets unter Druck gestanden habe.

Am Ende aber wurde er der elfte Schachweltmeister, in den USA als Nationalheld gefeiert und von Präsident Richard Nixon ins Weiße Haus eingeladen. Doch die erhoffte neue Ära blieb aus: Fischer spielte nie wieder eine Titelverteidigung, sein Triumph blieb einzigartig.

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