1950: Schacholympiade Dubrovnik
Zitat von Conrad Schormann am 21. März 2025, 9:50 UhrHitze, Dramatik und der Neustart des Weltschachs: Die Schacholympiade 1950 in Dubrovnik
Im Sommer 1950 blickte die gesamte Schachwelt auf das jugoslawische Küstenstädtchen Dubrovnik, wo vom 20. August bis 11. September die 9. Schacholympiade stattfand. Nach elfjähriger Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg wurde hier der Neustart einer Tradition gefeiert, die von nun an regelmäßig alle zwei Jahre stattfinden sollte.
Es war glühend heiß in Dubrovnik, mit Temperaturen über 40 Grad Celsius im Schatten. Selbst die ältesten Bewohner der Stadt konnten sich nicht an eine solche Hitze erinnern. Dennoch kamen zahlreiche Zuschauer, politische Würdenträger und Medienvertreter, um das Spektakel hautnah zu erleben. Die Spiele wurden in der Kunsthalle der Stadt ausgetragen und für die Einwohner auf riesigen Schachbrettern im Stadtzentrum live übertragen.
Politische Spannungen und prominente Abwesende
Politisch war das Turnier von Anfang an brisant. Wegen Jugoslawiens politischer Unabhängigkeit vom Ostblock boykottierten die Sowjetunion und weitere osteuropäische Staaten die Olympiade. Auch England fehlte, da zeitgleich die nationale Meisterschaft stattfand.
Trotzdem gelang es dem jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito, das Turnier zu einem beeindruckenden sportlichen und kulturellen Ereignis zu machen. Der frühere Weltmeister Max Euwe sprach bei der Eröffnung im Namen der Spieler, während Tito persönlich später die Teilnehmer in seinem Weißen Palast in Belgrad empfing.
Favoriten und Hoffnungen vor Turnierbeginn
Mehr als 80 Schachspieler aus 16 Ländern traten an. Favoriten waren Argentinien mit Miguel Najdorf, Jugoslawien mit Svetozar Gligorić, den Niederlanden mit Ex-Weltmeister Max Euwe und die USA mit Starspieler Samuel Reshevsky. Die deutsche Mannschaft hatte hingegen von Beginn an mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Die Spitzenspieler Paul Tröger und Georg Kieninger konnten wegen Visaproblemen gar nicht anreisen, und auch Lothar Schmid erreichte Dubrovnik verspätet.
Der Turnierverlauf: Hitze, Spannung und packende Duelle
Die Olympiade bot drei Wochen lang spannende Schachkämpfe, insgesamt 480 Partien. Die Gastgeber aus Jugoslawien dominierten überraschend stark. Besonders beeindruckten Svetozar Gligorić, Vasja Pirc, Petar Trifunović und Braslav Rabar, die mehrere Gegner mit 4:0 besiegten.
Unzicker gegen Euwe
Unzicker gegen Tartakower
Deutschland überraschte ebenfalls positiv. Trotz personeller Schwierigkeiten glänzte vor allem der erst 25-jährige Wolfgang Unzicker, der am Spitzenbrett mit Miguel Najdorf die beste Leistung aller Teilnehmer zeigte.
Brett Deutscher Spieler Punkte Partien Prozent Platz 1 Wolfgang Unzicker 11 14 78,6% 1. 2 Lothar Schmid 9 12 75,0% 2. 3 Gerhard Pfeiffer 7 11 63,6% 3. 4 Ludwig Rellstab 6 11 54,5% 7. Ersatz Hans-Hilmar Staudte 7½ 12 62,5% 3. Historisch erwähnenswert ist die Teilnahme der Französin Chantal Chaudé de Silans, der ersten Frau überhaupt bei einer Schacholympiade. Obwohl ihre persönliche Bilanz nicht außergewöhnlich war, setzte sie damit ein Zeichen in der bis dahin ausschließlich männlichen Schachwelt.
https://perlenvombodensee.de/2022/04/21/madame-de-silans-und-die-tal-besieger/
Der Kampf um Gold: Jugoslawien triumphiert zuhause
Der Kampf um Gold entwickelte sich zwischen Jugoslawien und Argentinien zu einem dramatischen Zweikampf. Jugoslawien nutzte seinen Heimvorteil perfekt und gewann souverän mit insgesamt 45½ Punkten.
Team Jugoslawien
Platz Land Spieler Punkte 1 Jugoslawien Gligorić, Pirc, Trifunović, Rabar, Vidmar Jr., Puc 45½ 2 Argentinien Najdorf, Bolbochán, Guimard, Rossetto, Pilnik 43½ 3 Westdeutschland Unzicker, Schmid, Pfeiffer, Rellstab, Staudte 40½ 4 USA Reshevsky, Steiner, Horowitz, Shainswit, Kramer, Evans 40 5 Niederlande Euwe, van Scheltinga, Prins, Cortlever, Kramer, Donner 37 Die USA landeten auf dem undankbaren vierten Platz, obwohl sie kein einziges Match verloren.
Persönliche Erfolge und Entdeckungen
Neben Unzicker wurden vor allem zwei jugoslawische Spieler gefeiert: Braslav Rabar, der neun seiner zehn Partien gewann (90 %), und Petar Trifunović, der am dritten Brett Gold holte. Argentinien punktete ebenfalls stark, besonders durch Julio Bolbochán, der das zweitbeste Brett-Ergebnis aller Spieler erreichte.
Das große Finale und der Empfang bei Tito
Am 11. September verkündete der Hauptschiedsrichter Milan Vidmar offiziell das Ergebnis unter großem Jubel des Publikums. Tags darauf empfing Staatschef Tito die Spieler persönlich in Belgrad. Dabei bedauerte Tito mehrfach, nicht ausreichend Zeit für seine eigenen Schachstudien zu haben.
Ein detailliertes Buch über die Olympiade mit dem Titel „Turnir Nacija“ erschien kurz nach dem Turnier, mit umfangreichen Analysen, Fotos und Hintergrundberichten, und dokumentierte dieses Ereignis für die Nachwelt.
Die Schachwelt nach Dubrovnik
Die Schacholympiade 1950 in Dubrovnik markierte einen wichtigen Wendepunkt. Es war die letzte Olympiade, bei der es noch einen echten Wettbewerb um Gold gab, bevor die kommenden Jahrzehnte von der übermächtigen Sowjetunion dominiert wurden. Der Sieg Jugoslawiens auf eigenem Boden, der dramatische Kampf um die Medaillen und die überraschend starke Leistung der deutschen Mannschaft machen diese Olympiade bis heute zu einer der denkwürdigsten der Schachgeschichte.
Quellen:
https://www.dubrovnikchessmen.com/IX-chess-olympiad-dubrovnik.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Schacholympiade_1950
https://de.chessbase.com/post/geschichte-der-schacholympiaden-vierter-teil/713
Hitze, Dramatik und der Neustart des Weltschachs: Die Schacholympiade 1950 in Dubrovnik
Im Sommer 1950 blickte die gesamte Schachwelt auf das jugoslawische Küstenstädtchen Dubrovnik, wo vom 20. August bis 11. September die 9. Schacholympiade stattfand. Nach elfjähriger Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg wurde hier der Neustart einer Tradition gefeiert, die von nun an regelmäßig alle zwei Jahre stattfinden sollte.
Es war glühend heiß in Dubrovnik, mit Temperaturen über 40 Grad Celsius im Schatten. Selbst die ältesten Bewohner der Stadt konnten sich nicht an eine solche Hitze erinnern. Dennoch kamen zahlreiche Zuschauer, politische Würdenträger und Medienvertreter, um das Spektakel hautnah zu erleben. Die Spiele wurden in der Kunsthalle der Stadt ausgetragen und für die Einwohner auf riesigen Schachbrettern im Stadtzentrum live übertragen.
Politische Spannungen und prominente Abwesende
Politisch war das Turnier von Anfang an brisant. Wegen Jugoslawiens politischer Unabhängigkeit vom Ostblock boykottierten die Sowjetunion und weitere osteuropäische Staaten die Olympiade. Auch England fehlte, da zeitgleich die nationale Meisterschaft stattfand.
Trotzdem gelang es dem jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito, das Turnier zu einem beeindruckenden sportlichen und kulturellen Ereignis zu machen. Der frühere Weltmeister Max Euwe sprach bei der Eröffnung im Namen der Spieler, während Tito persönlich später die Teilnehmer in seinem Weißen Palast in Belgrad empfing.
Favoriten und Hoffnungen vor Turnierbeginn
Mehr als 80 Schachspieler aus 16 Ländern traten an. Favoriten waren Argentinien mit Miguel Najdorf, Jugoslawien mit Svetozar Gligorić, den Niederlanden mit Ex-Weltmeister Max Euwe und die USA mit Starspieler Samuel Reshevsky. Die deutsche Mannschaft hatte hingegen von Beginn an mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Die Spitzenspieler Paul Tröger und Georg Kieninger konnten wegen Visaproblemen gar nicht anreisen, und auch Lothar Schmid erreichte Dubrovnik verspätet.
Der Turnierverlauf: Hitze, Spannung und packende Duelle
Die Olympiade bot drei Wochen lang spannende Schachkämpfe, insgesamt 480 Partien. Die Gastgeber aus Jugoslawien dominierten überraschend stark. Besonders beeindruckten Svetozar Gligorić, Vasja Pirc, Petar Trifunović und Braslav Rabar, die mehrere Gegner mit 4:0 besiegten.
Unzicker gegen Euwe
Unzicker gegen Tartakower
Deutschland überraschte ebenfalls positiv. Trotz personeller Schwierigkeiten glänzte vor allem der erst 25-jährige Wolfgang Unzicker, der am Spitzenbrett mit Miguel Najdorf die beste Leistung aller Teilnehmer zeigte.
Brett | Deutscher Spieler | Punkte | Partien | Prozent | Platz |
---|---|---|---|---|---|
1 | Wolfgang Unzicker | 11 | 14 | 78,6% | 1. |
2 | Lothar Schmid | 9 | 12 | 75,0% | 2. |
3 | Gerhard Pfeiffer | 7 | 11 | 63,6% | 3. |
4 | Ludwig Rellstab | 6 | 11 | 54,5% | 7. |
Ersatz | Hans-Hilmar Staudte | 7½ | 12 | 62,5% | 3. |
Historisch erwähnenswert ist die Teilnahme der Französin Chantal Chaudé de Silans, der ersten Frau überhaupt bei einer Schacholympiade. Obwohl ihre persönliche Bilanz nicht außergewöhnlich war, setzte sie damit ein Zeichen in der bis dahin ausschließlich männlichen Schachwelt.
Der Kampf um Gold: Jugoslawien triumphiert zuhause
Der Kampf um Gold entwickelte sich zwischen Jugoslawien und Argentinien zu einem dramatischen Zweikampf. Jugoslawien nutzte seinen Heimvorteil perfekt und gewann souverän mit insgesamt 45½ Punkten.
Team Jugoslawien
Platz | Land | Spieler | Punkte |
---|---|---|---|
1 | Jugoslawien | Gligorić, Pirc, Trifunović, Rabar, Vidmar Jr., Puc | 45½ |
2 | Argentinien | Najdorf, Bolbochán, Guimard, Rossetto, Pilnik | 43½ |
3 | Westdeutschland | Unzicker, Schmid, Pfeiffer, Rellstab, Staudte | 40½ |
4 | USA | Reshevsky, Steiner, Horowitz, Shainswit, Kramer, Evans | 40 |
5 | Niederlande | Euwe, van Scheltinga, Prins, Cortlever, Kramer, Donner | 37 |
Die USA landeten auf dem undankbaren vierten Platz, obwohl sie kein einziges Match verloren.
Persönliche Erfolge und Entdeckungen
Neben Unzicker wurden vor allem zwei jugoslawische Spieler gefeiert: Braslav Rabar, der neun seiner zehn Partien gewann (90 %), und Petar Trifunović, der am dritten Brett Gold holte. Argentinien punktete ebenfalls stark, besonders durch Julio Bolbochán, der das zweitbeste Brett-Ergebnis aller Spieler erreichte.
Das große Finale und der Empfang bei Tito
Am 11. September verkündete der Hauptschiedsrichter Milan Vidmar offiziell das Ergebnis unter großem Jubel des Publikums. Tags darauf empfing Staatschef Tito die Spieler persönlich in Belgrad. Dabei bedauerte Tito mehrfach, nicht ausreichend Zeit für seine eigenen Schachstudien zu haben.
Ein detailliertes Buch über die Olympiade mit dem Titel „Turnir Nacija“ erschien kurz nach dem Turnier, mit umfangreichen Analysen, Fotos und Hintergrundberichten, und dokumentierte dieses Ereignis für die Nachwelt.
Die Schachwelt nach Dubrovnik
Die Schacholympiade 1950 in Dubrovnik markierte einen wichtigen Wendepunkt. Es war die letzte Olympiade, bei der es noch einen echten Wettbewerb um Gold gab, bevor die kommenden Jahrzehnte von der übermächtigen Sowjetunion dominiert wurden. Der Sieg Jugoslawiens auf eigenem Boden, der dramatische Kampf um die Medaillen und die überraschend starke Leistung der deutschen Mannschaft machen diese Olympiade bis heute zu einer der denkwürdigsten der Schachgeschichte.
Quellen:
https://www.dubrovnikchessmen.com/IX-chess-olympiad-dubrovnik.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Schacholympiade_1950
https://de.chessbase.com/post/geschichte-der-schacholympiaden-vierter-teil/713