Wenn KI lernt, Schönheit zu berechnen

Künstliche Intelligenz kann längst spielen, analysieren, optimieren – aber kann sie Neues erschaffen? Kreativ sein, einen Sinn für Schönes entwickeln? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer neuen Studie von DeepMind, der auf KI-Forschung spezialisierten Google-Tochter des Nobelpreisträgers und ehemaligen Schachtalents Demis Hassabis. Das Projekt mit dem Titel „Generative Chess Puzzles“ soll Antworten geben. Einmal mehr dient das Schachspiel als Objekt für die Grundlagenforschung.

Demis Hassabis beschäftigt sich jetzt mit Maschinen und der Frage, ob sie Ästhetik erschaffen können. | Foto: World Economic Forum CC BY-NC-SA 2.0

Seit mehr als zweieinhalb Jahrhunderten dient Schach als Experimentierfeld für Forschung, Logik und Technik. Schon 1770 verblüffte der Wiener Hofmechaniker Wolfgang von Kempelen mit seinem „Schachtürken“, einer scheinbar selbständig spielenden Maschine, die Gegner wie Napoleon Bonaparte und Benjamin Franklin besiegte. In Wahrheit saß ein menschlicher Schachmeister im Inneren, doch das Gerät löste die erste große Debatte über künstliches Denken aus. Im 19. Jahrhundert griffen Mathematiker und Philosophen das Thema auf: Charles Babbage sah im Schach ein Beispiel für die Mechanisierung von Logik, während Ada Lovelace früh erkannte, dass Maschinen Regeln ausführen, aber keine Ideen hervorbringen – eine Einsicht, die bis heute nachwirkt und nun ins Wanken geraten könnte.

Genial, missverstanden, Pionier und tragische Figur: Alan Turing.

Mit dem Aufkommen der Computer wurde Schach zum Labor für die junge künstliche Intelligenz. Schon Alan Turing und Claude Shannon beschrieben in den 1950er-Jahren Algorithmen, die Suchbäume und Bewertungsfunktionen nutzten – die Grundlage späterer Schachprogramme. In den folgenden Jahrzehnten entstanden in den 1960ern und 70ern erste funktionierende Systeme wie Mac Hack am MIT oder Kaissa in der Sowjetunion. 1997 gilt als Jahr des Durchbruchs, als Deep Blue von IBM den amtierenden Weltmeister Garry Kasparow besiegte. Zum ersten Mal zeigte eine Maschine, dass Rechenleistung und algorithmische Tiefe menschliche Intuition übertreffen können – ein Meilenstein.

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Im 21. Jahrhundert verschob sich der Fokus von bloßer Berechnung hin zum Lernen. Mit AlphaZero (2017) präsentierte DeepMind eine KI, die Schach allein durch Selbsttraining meisterte – ohne menschliche Vorgaben. Damit wurde das Spiel erneut zum Probierstein der Forscher, diesmal als Modell für maschinelles Lernen, dessen Prinzipien später auf andere Forschungsfelder wie Proteinanalysen oder kognitive Psychologie übertragen wurden. Auch in der Wissenschaft über das menschliche Denken bleibt Schach ein Prüfstein: Psychologen wie Adriaan de Groot oder Herbert Simon nutzten es, um zu verstehen, wie Experten Muster erkennen und Entscheidungen treffen.

Hassabis ist seit Jahren davon überzeugt, dass sich am Schach besonders gut zeigen lässt, was Intelligenz ausmacht. Seine Firma DeepMind wurde berühmt mit AlphaGo, dem Programm, das 2016 den Weltklasse-Profi Lee Sedol im Go besiegte, und mit AlphaZero, das ohne menschliches Wissen in wenigen Stunden so gut lernte, dass es danach Stockfish besiegte. Wo AlphaZero vor allem Effizienz und strategisches Denken demonstrierte, geht das neue Projekt noch weiter: DeepMind will erkunden, ob eine KI kreativ sein kann – ob sie Schönheit erkennen und hervorbringen kann.

Demis Hassabis im Interview über sein Lebenswerk (für Abonnenten).

Schach eignet sich dafür wie kaum ein anderes Feld. Seit Jahrhunderten werden Kompositionen als Miniaturen betrachtet, in denen Logik und Kunst verschmelzen. Eine gelungene Aufgabe überrascht, wirkt elegant, fast musikalisch. Für Menschen ist das ein Ausdruck von Intuition. Für Maschinen dagegen ist es eine der härtesten Prüfungen überhaupt, weil sie Muster zwar erkennen, aber nicht intuitiv gestalten können.

Das Forschungsteam von DeepMind arbeitete zusammen mit der University of Oxford und dem Mila – Quebec AI Institute an der Universität Montreal. Sie speisten ihr neuronales Netz mit vier Millionen Aufgaben von Lichess und nutzten anschließend Reinforcement Learning, also Belohnungslernen. Das Ziel war nicht, möglichst viele Mattkombinationen zu erzeugen, sondern originelle, überraschende und zugleich logische Stellungen zu entwickeln. Die KI erhielt Punkte, wenn sie Aufgaben erfand, die nur einen einzigen Gewinnweg erlaubten, dabei aber ungewöhnlich oder schwer durchschaubar waren – also das Gegenteil von maschinischer Routine.

Diese Aufgabe stach hervor. Weiß zieht und gewinnt:

Die Resultate wurden einer Jury vorgelegt: GM Matthew Sadler, GM Jonathan Levitt und FM Amatzia Avni, selbst Kompositions-IM, bewerteten die Aufgaben nach Kriterien wie Kreativität, Schwierigkeitsgrad und ästhetischer Wirkung. Nicht alle Stellungen überzeugten; manche wirkten zu konstruiert oder unnatürlich. Doch die Mehrheit überraschte die Experten positiv. Die Aufgabe oben etwa beginnt mit einem scheinbar absurden Doppelturmopfer – beide Türme werden geopfert, damit die weiße Dame über den Umweg a1 auf den Königsflügel gelangen kann. „Paradox und geometrisch faszinierend“, urteilten die Gutachter.

„Eine Maschine lehren, was schön ist“: Diese Herausforderung beschäftigt auch Martin Bennedik, Schöpfer und Betreiber von chesspuzzle.net.

Levitt sprach von einem „pionierhaften Schritt“ in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Zwar seien die Ergebnisse noch nicht auf dem Niveau preisgekrönter Komponisten, doch das Potenzial sei sichtbar. Der entscheidende Fortschritt: Die KI habe nicht einfach vorhandene Muster „abgeschöpft“, sondern wirklich neue Stellungen entworfen.

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DeepMind sieht mehr als ein Schachprojekt. „Unsere Arbeit zeigt einen bedeutenden Fortschritt in der KI-basierten Erzeugung kreativer Inhalte“, schreiben die Autoren. Die Ergebnisse seien Beleg dafür, dass sich maschinelle Systeme nicht nur rational, sondern auch ästhetisch verhalten können – zumindest im Rahmen klarer Regeln.

Zur Studie „Generative Chess Puzzles“

Stellungnahme der drei Schachexperten

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Tara
Tara
16 Tage zuvor

„KI“ bzw. der Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist eine Illusion, eine Erfindung des Menschen. NICHTS daran ist „intelligent“. Musterkennungs-Programm ist richtig. Es ist nur eine Ansammlung von Algorithmen, mehr nicht. Selbst „die natürliche Intelligenz“ ist nur eine Erfindung, eine Illusion des Menschen. Das heutige gebräuchliche und übliche „KI-Gesabbele“, egal um was es gehen mag, es ist einfach nur lächerlich. Bin schon sehr gespannt darauf, welche Sau man dereinst durchs Dorf treiben wird, wenn, wenn die KI-Sau langweilig geworden ist und wieder in der Versenkung verschwinden wird.

Georg Adelberger
Georg Adelberger
16 Tage zuvor

4 Mio. Aufgaben von Lichess für´s Training abgegriffen, aber in der Danksagung wird die Seite nicht mal erwähnt. Stellt Lichess die Daten eigentlich einfach zur Verfügung, selbst dann wenn das Copyright des Papers explizit bei Google Deep Mind liegt?

Wolle
Wolle
11 Tage zuvor

Das Problem bei modernen LLM ist, das sie nur einmal lernen. Im diesem Fall hat ein LLM 4,1 Millionen Partien gelernt. Sprich in den Daten gespeichert. Wäre interessant zu erfahren, ob unter den „Parteien“ auch Schachaufgaben gewesen sind. Oder ob die Stellung einer der gelernten Partien vorkommt

Dann würde das Ergebnis nur ein langweiliges wiedergegeben, von erlernten Inhalte.

Was für eine moderne LLM ein der einfacheren Übungen ist.