Nicht nur die Nationalmannschaft der Frauen, auch DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach hat in Batumi eine deutsche Duftmarke im europäischen Schach hinterlassen. Sie wird für das Präsidium des Europaverbands ECU kandidieren. Voraussichtlich im Herbst 2026 wird Lauterbach im Team des seit 2014 amtierenden ECU-Präsidenten Zurab Azmaiparashvili antreten.

Als einer der größten Verbände müsse der DSB auf europäischer Ebene präsent sein, erklärt Lauterbach auf Anfrage. Schon Anfang vergangenen Jahres habe sie dazu beigetragen, dass Frank Jäger Mitglied im Schiedsrichterrat der ECU wird. Die Ernennung Walter Rädlers zum ECU-Botschafter für „Schach in der Bildung“ im August habe sie unterstützt. Nun will sie selbst eine führende Rolle übernehmen. Azmaiparashvili und der Brite Malcolm Pein hätten sie gefragt. Sie habe sich Bedenkzeit erbeten und schließlich zugesagt.

Verbündete in Afrika und Asien?
Lauterbachs neues Spielfeld soll nicht weniger als die Welt sein. Um als Europäer in der FIDE Einfluss auszuüben, ist es ihrer Meinung nach wichtig, die zahlreichen Vertreter:innen asiatischer und afrikanischer Verbände für europäische Anliegen einzunehmen. „Allein hast du keine Chance, du musst Dinge koordinieren“, sagt Lauterbach. „Die Asiaten oder Afrikaner sind ja nicht automatisch gegen uns. Sie wissen einfach zu wenig über uns.“
Beim FIDE-Kongress 2024 hat Lauterbach die Erfahrung gemacht, dass sich in Asien und Afrika europäische Verbündete finden lassen. Als für die Position des Vorsitzenden der Ethikkommission der Kandidat der Pro-Kremlin-Fraktion in der FIDE gewählt zu werden drohte, der im Schach unbekannte Daniel Florea, hat sie mit europäischen Mitstreitern eine Reihe von Delegierten überzeugt, stattdessen die Anwältin Yolander Persaud zu wählen. Die Guyanaerin gewann mit 77:59 Stimmen.
Ebenfalls beim Kongress 2024 versuchte die Pro-Kremlin-Fraktion, den russischen und weißrussischen Verband als reguläre Mitglieder wieder ins FIDE-Boot zu holen. „Damit Schach nicht aus der Sportwelt ausgeschlossen wird“, organisierte Lauterbach eine Stellungnahme des Dachverbands der vom IOC anerkannten Sportverbände, die dazu beitrug, diesen Vorstoß abzuwehren. Auch wenn das wahrscheinlich nur ein kurzfristiger Erfolg war, fällt doch das plötzliche internationale DSB-Engagement auf, zumal im Vergleich zu vergangenen Jahren.
Nach 30 Jahren wieder Schachdeutsche
Ihr Vorgänger Ullrich Krause habe die ECU für den DSB „nicht so wichtig“ gefunden, sagt Lauterbach. Zum Teil habe sie das schon korrigiert – Jäger, Rädler – , aber sie findet, dass allein der DSB-Größe wegen jemand aus Deutschland in der ECU-Chefetage mit von der Partie sein sollte. Daher nun die Kandidatur. Und daher wahrscheinlich der Verbandswechsel. Kurz nach dem Gespräch mit dieser Seite war auf Lauterbachs FIDE-Profil aus der englischen Flagge, die dort seit 1994 prangte, eine deutsche geworden.

Kein Zusammenhang mit möglicher Abwahl beim DSB
In Deutschland sehen Lauterbach und ihr DSB-Präsidium einem außerordentlichen Kongress (voraussichtlich Anfang 2026) und einer möglichen Abwahl entgegen. Die ECU-Kandidatur sei unabhängig davon, sagt Lauterbach. Würde sie als DSB-Präsidentin abgewählt, würde sie trotzdem in der ECU antreten.
Diejenigen, die sie abwählen wollen, haben jetzt einen weiteren Anlass, ihre (Nicht-)Kommunikation zu kritisieren. Weder hatte Lauterbach ihren bevorstehenden Schritt auf die europäische Bühne Anfang Oktober im Hauptausschuss angekündigt noch ihr DSB-Präsidium darüber informiert. Als sich Anfang der Woche die Nachricht von ihrem Alleingang verbreitete, war das für den Rest der DSB-Führungsriege eine Überraschung.
Das System Azmaiparashvili
Eine Kandidatur als ECU-Präsidentin sei für sie keine Option gewesen: „Das will ich gar nicht werden.“ Stattdessen will sie sich international als Teil der Mannschaft von Zurab Azmaiparashvili einbringen. Der Georgier ließe sich als ambivalente Figur skizzieren. Unter seiner Führung lässt er einen eher progressiven Kurs des Verbands zu. Nach außen gibt er sich als westeuropäisch orientierter Familienvater. Zugleich gilt er als Verbündeter und Statthalter von FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich, dessen Stellvertreter er bei der FIDE ist.
Anfang des Jahres hat Dvorkovich durchblicken lassen, dass er 2026 wieder als FIDE-Präsident kandidieren will. Lauterbach hält es für längst nicht ausgemacht, dass es so kommt. Eine Wiederwahl des Kreml-Emissärs an der Spitze des Weltverbands wäre auch deswegen möglich, weil Azmaiparashvili das Abschaffen der (von Dvorkovich eingeführten) Amtszeitbegrenzung für FIDE-Präsidenten entschieden unterstützt hat.

Bei der ECU hat der europäische Dauerpräsident ein ganz ähnliches System installiert wie Dvorkovich bei der FIDE: unter sich freundliche Leute mit vernünftig eingestelltem Kompass, die aber niemals öffentlich das Wort gegen ihn erheben und schon gar nicht seine Präsidentschaft gefährden würden.
Eine Figur wie Azmaiparashvili an der Spitze des Kontinentalverbands ließe sich auch als elfjähriges Armutszeugnis für den organisierten Schachsport skizzieren. Die lange Liste seiner Verfehlungen und mutmaßlichen Verfehlungen macht den 65-Jährigen als Repräsentant unserer Sache denkbar ungeeignet.
Man stelle sich vor, ein potenzieller westeuropäischer ECU-Sponsor stünde vor der Tür, würde sich vor dem Eintreten aber erst informieren, wer bei der ECU das Sagen hat. Die Zusammenarbeit wäre beendet, bevor sie begonnen hat. Kurios in dem Zusammenhang: Nach Azmaiparashvilis rassistisch gefärbtem Ausraster beim World Cup 2017 verteidigten ihn seine Getreuen mit dem Argument, Azmaiparashvili sei ein „Geldbeschaffer“ fürs Schach. In und um Georgien mag das zutreffen.
Zu Azmaiparashvilis Gunsten ließe sich anführen, dass seit vier Jahren keine Verhaltensauffälligkeiten bekannt geworden sind. 2018 während der Jugend-WM warf er dem damals 14-jährigen Alexander Krastev vor, bestechlich zu sein, 2021 beschimpfte er den ungarischen IM Andras Toth als Cheater. Seitdem ist Ruhe.
Ingrid Lauterbach kennt die Azmaiparashvili-Klassiker, das blaue Auge von Calvia, die Zugrücknahme von Istanbul, erweckt darüber hinaus aber nicht den Eindruck, an Details der Vita ihres ECU-Präsidenten besonders interessiert zu sein. Andere Leute machten auch Sachen, die „nicht sonderlich toll“ seien, und seine Fehltritte sollten ihm nicht „bis ans Ende aller Tage“ vorgeworfen werden. Für die DSB-Präsidentin zählt zuvorderst, dass Azmaiparashvili bei der ECU einen ordentlichen Job mache. „Da sind sich, glaube ich, alle einig. Die ECU läuft stabil.“
Ohne Gegenkandidat seit 2014
Die FIDE auch. Ein substanzieller Versuch, den Weltverband vom Kreml-Einfluss zu befreien, könnte mit dem Sturz Azmaiparashvilis in Europa beginnen. Eine ECU-Gegenkandidatur sähe ehrenhaft aus, wäre aber angesichts der zementierten Verhältnisse ein wenig aussichtsreicher Zug – den im europäischen Schach seit mehr als zehn Jahren niemand versucht hat. 2014 stieg mit Amtsinhaber Silvio Danailov ein wahrscheinlich noch dubioserer Kandidat gegen Azmaiparashvili in den Ring – und unterlag 18:33. Seitdem zieht der 65-Jährige mit schlau zusammengestellten Teams von Wahlsieg zu Wahlsieg, jeweils Formsache.

2022 unterstützte das DSB-Präsidium Azmaiparashvilis Kandidatur als ECU-Präsident einstimmig. Öffentlich wurde dieses Votum nur wegen der Berichterstattung dieser Seite. Die DSB-Führung hatte es nicht publik machen wollen, und die Landesverbände hielten es weder für nötig zu protestieren noch, ihre Mitglieder zu informieren. Das DSB-Präsidium entsandte Marcus Fenner zur ECU-Versammlung in Thessaloniki, um stellvertretend für die knapp 100.000 deutschen Vereinsmitglieder für Azmaiparashvili zu stimmen. Die knapp 100.000 wussten nichts davon.
Ziel erreicht! – Das Verbandsprogramm des DSB
Sollte Lauterbach 2026 gewählt werden, ist damit ein 2019 vom Verbandsprogramm des DSB vorgegebenes Ziel erfüllt: „Spätestens 2026 wird ein deutscher Vizepräsident (warum nicht Präsident?, Anm.d.Red.) bei der ECU gewählt.“ Das Verbandsprogramm, ein Monument der nutzlosen Papierproduktion und Lebenszeitverschwendung in der Schachverwaltung, hat der Hauptausschuss 2019 als Leitlinie des Handelns für den DSB beschlossen, 2020 vom Kongress bestätigt, 2021 noch einmal aktualisiert.

Passiert ist seitdem – nichts. Kurz nachdem diese Seite nach dem Kongress 2025 auf das unverändert geltende Programm aufmerksam gemacht hatte, verschwand es klammheimlich von der DSB-Website. Gültig ist es trotzdem noch.

Danke, Conrad, für Deinen Bericht zur Lage, und für Deine Stellungnahme.
Kaum zu glauben, kaum zu fassen, dass der windige Azmaiparashvili noch immer an der Spitze der ECU steht, und das das mit DSB Hilfe auch weiterhin so bleiben soll.
Politik natürlich, schon klar. Bitter genug aber, dass der Kremlin und seine Ableger dadurch weiter so bedenklich viel Macht und Einfluss haben sollen. In diesen Zeiten ein totales No-Go.
Meine Stimme bekäme er nicht.