Sechs Runden sind gespielt bei der Europameisterschaft in Batumi. Die deutschen Frauen liegen mit neun Punkten auf Platz zwei, die Männer mit sieben Punkten auf Rang zwölf. Während das Team um Bundestrainer Zahar Efimenko auf Medaillenkurs segelt, kämpft die Mannschaft von Jan Gustafsson mit wechselhaften Ergebnissen – und mit der Frage, was mit WM-Kandidat Matthias Blübaum los ist. Eines ihrer Mitglieder hat die deutsche Delegation verloren. Pressechef Matthias Wolf ist nach einem Disput mit Gustafsson abgereist.

Die Frauen: stabil
Nach zwei Siegen über die dritte Mannschaft des Gastgebers Georgien sowie die Türkei galt es für die Frauen, den dickestmöglichen Brocken aus dem Weg zu räumen: die topgesetzte erste Mannschaft der Georgierinnen, mit drei GM und zwei IM in ihren Reihen exzellent besetzt und klarer Favorit gegen das deutsche Team. Dessen einzige GM Elisabeth Pähtz ist angesichts von Schwangerschaft und Disput mit der DSB-Spitze nicht mit von der Partie.

Gegen Georgien offenbarte sich erstmals, dass etwas gehen könnte in Batumi. Während das Team an den anderen drei Brettern nicht in Gefahr geriet, gelang Hanna Marie Klek eine Partie, die Bundestrainer Zahar Efimenko hinterher als „Meisterleistung“ pries. Gegen Nino Batsiashvili, in deren schachlichem Lebenslauf unter anderem ein Schwarzremis gegen Magnus Carlsen steht, übernahm Klek im Mittelspiel die Initiative und erkämpfte sich ein günstiges Endspiel mit einem Mehrbauern, das sie sicher verwertete. Sogar ein 3:1 war möglich. Bis zum Schluss erfreute sich Kateryna Dolzhykova gegen GM Bela Khotenashvili einer Mehrqualität, gab sich aber mit einer Punkteteilung zufrieden.

Die zweite Duftmarke gleich danach in der vierten Runde gegen Aserbaidschan. Deren Team ist nicht so stark wie die Georgierinnen, aber nominell immer noch etwas besser als das deutsche und zudem ein Angstgegner. Gegen Aserbaidschan ist für die Deutschen traditionell nicht viel zu holen – das galt bis zur vierten Runde der EM 2025. 2,5:1,5 dank eines Siegs von Lara Schulze, 8:0 Punkte, und man wollte sich die Augen reiben.
Danach gegen Polen, ein ähnliches Schwergewicht wie die Georgierinnen, setzte es dann doch eine Niederlage. Schulze passierte ein Malheur, wie es den Nationalspielerinnen in vergangenen Mannschaftswettbewerben regelmäßig passiert ist. Ein vermeidbarer taktischer Schnitzer kostete sie die Partie, die bislang einzige verlorene Partie der Deutschen. Trotzdem hätte am Spitzenbrett Dinara Wagner gegen Wojtaszek-Gattin Alina Kashlinskaya beinahe das 2:2 gerettet. Im Endspiel mit zwei Türmen gegen die Dame fand Wagner nicht die Gewinnaufstellung und ließ die Polin in ein Dauerschach entschlüpfen – 1,5:2,5.

Ob das Bisherige ein Strohfeuer war, oder ob die Mannschaft auf hohem Level die ersehnte Stabilität gefunden hat, diese Frage stand vor der sechsten Runde gegen die Ukrainerinnen im Raum, noch ein Spitzenteam mit unter anderem GM Anna Uschenina, Weltmeisterin 2012, und GM Natalia Zhukova, zweifache Europameisterin. Vielleicht ein kleiner Vorteil: Der ukrainische Bundestrainer Efimenko kennt die Ukrainerinnen besser als jeden anderen Gegner.
Nach vier Unentschieden endete der Vergleich 2:2. Wer sich beim Stand von 1,5:1,5 sorgte, dass nach ihrer Vortagsniederlage nun die leicht unter Druck stehende Lara Schulze einbrechen könnte, wurde eines Besseren belehrt. Staubtrocken wickelte Schulze in ein Damenendspiel ab, in dem das kleine Aktivitätsplus ihrer Gegnerin nur akademischer Natur war. Fortschritte konnte die Ukrainerin nicht machen.
Mit dem 2:2 rückten die Deutschen in der Tabelle sogar einen Rang nach vorne. Auf dem Silberplatz zwei gehen sie mit 9:3 Punkten in den Ruhetag am Samstag vor dem letzten Drittel des Turniers. Ganz vorne haben sich die Polinnen (12:0) deutlich abgesetzt. Mit drei Punkten Vorsprung drei Runden vor Schluss wäre alles andere als Gold eine Überraschung.

Dahinter ringen sieben Mannschaften mit 9 bzw. 8 Punkten um die Medaillen, darunter die deutsche, die gegen die vier nominell topgesetzten Teams schon gespielt hat: Georgien, Polen, Ukraine, Aserbaidschan. Am Sonntag in Runde sieben geht es gegen die überraschend auftrumpfenden Rumäninnen, die ebenfalls bei 9 Punkten stehen. Den Ratings nach werden Wagner&Co. erstmals seit der zweiten Runde wieder favorisiert sein.
Hinter der starken Zwischenbilanz steht eine geschlossene Teamleistung. Niemand überragt, aber fast alle spielen über Soll. Vier der fünf Spielerinnen performen jenseits der 2400. Im Vergleich fällt nur Laras Schulzes Performance ein wenig ab.

Den Ruhetag wird insbesondere Dinara Wagner brauchen können. Nachdem sie in der ersten Runde ausgesetzt hatte, plant der Bundestrainer, sie als kaum bezwingbare Festung am ersten Brett durchspielen zu lassen. Aber schon in der sechsten Runde klagte Wagner über Halsschmerzen und eine Erkältung, laut DSB die Folge einer „zu straff“ eingestellten Klimaanlage.
Vor dem Endspurt hat Lara Schulze ihre Attitüde und wahrscheinlich die des Teams so erklärt: „Immer das nächste Match im Blick haben.“ Nicht darüber hinaus und ans große Ganze denken, sondern Match für Match einen Gegner nach dem anderen aus dem Weg räumen. Und dann sehen, wofür das reicht.
Die Männer: wackelig
Während die Frauen um Medaillen kämpfen, suchen die Männer nach Konstanz. Eigentlich hatten Beobachter das andersherum erwartet. Nun entpuppt sich die Europameisterschaft für das topgesetzte deutsche Team als ein weiterer Wettbewerb, in dem es nicht gelingt, fünf Spieler in guter Form an die Bretter zu bringen – was die Voraussetzung für einen Medaillenplatz wäre.
Einer der fünf Spieler steht nach seinem Coup in Samarkand besonders unter Beobachtung. WM-Kandidat Matthias Blübaum tut sich schwer. 1,5 Punkte aus 4 Partien, Performance 2443, was mag da los sein? Nationalspieler Alexander Donchenko, Elo 2641 und diesmal nicht im Team, hat auf Schachdeutschland TV eine Erklärung versucht. Die Erschöpfung nach einem harten Grand Swiss sieht Donchenko weniger als Faktor: „Vielmehr ist es eine große psychologische Belastung, den Erfolg von sich abzuwerfen. Matthias hat ein so unfassbar gutes Turnier gespielt, dass er von sich selbst erwartet, weiterhin so zu punkten. Er setzt sich selbst zu viel unter Druck.“

Anders als bei einer Schacholympiade gibt es bei der EM keine schwachen Auftaktgegner, gegen die sich komfortabel Schwung für alles Weitere holen ließe. In Batumi ging es nach strapaziöser Anreise zum Beginn gegen die Dänen, kein Fallobst, sondern eine solide Großmeistertruppe mit drei Spielern aus dem Bundesligakader des FC St. Pauli.

Das Malheur, das nach 22 Zügen am dritten Brett passierte, setzte den Ton für das weitere Geschehen. Dmitrij Kollars übersah eine zwar versteckte, aber doch kleine Taktik, die ihn eine Figur und damit die Partie kostete. Diese Null mit Weiß ließ sich nicht kompensieren. Während Rasmus Svane am zweiten Brett das ihm aufgetragene schnelle Schwarzremis einbrachte, verrechnete sich am vierten sein Bruder Frederik und geriet ebenfalls materiell ins Hintertreffen. Nur Vincent Keymer an eins schien einem technischen Endspielsieg entgegenzusteuern. Am Ende wurden auch diese Partien remis, und der Turnierfavorit war mit einer Niederlage gegen die Nummer 21 der Setzliste in die Europameisterschaft gestartet.
Wie sehr das alle Beteiligten wurmte, offenbarte sich anschließend bei den Interviews für die DSB-Kanäle. Nach übereinstimmenden Berichten gerieten Bundestrainer Jan Gustafsson und Pressechef Matthias Wolf aneinander. Was genau passiert ist, ist nicht bekannt. Wolf wollte sich auf Anfrage nicht äußern, und auf eine Anfrage beim Bundestrainer hat diese Seite angesichts des laufenden Wettbewerbs verzichtet. Sicher ist, keine zwei Tage nach seiner Ankunft in Georgien reiste Wolf ab.
„Schade“ findet das DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach, die zur Vollversammlung des Europaverbands nach Georgien gereist ist. „Wir machen jetzt das Beste daraus“, sagte Lauterbach auf Anfrage. Stimmen zum Spiel in Form von Clips gibt es vom in Batumi weilenden Finn Engesser weiterhin, und auf der Website teilen sich Frank Binding und Bundesjugendtrainer Bernd Vökler die nun reduzierte Berichterstattung.
Um trotzdem noch die angepeilte Goldmedaille zu holen, war für die Mannschaft das Punktepolster nach der ersten Runde schon verbraucht. Nun mussten möglichst acht Siege am Stück her. Die ersten beiden davon gelangen, 3:1 gegen die Schweiz, 3:1 gegen Georgien.
Dann, gegen die Ukraine, der nächste Nackenschlag. In einer für diese Partie vorbereiteten Variante kam Matthias Blübaum mit den weißen Steinen gegen Andrei Volokitin am Ende der Vorbereitung sogleich vom rechten Pfad ab. „Minus 5“ konstatierte die Engine nach 17 Zügen.

In der Ergebnisliste stand ein 1,5:2,5, nachdem alle Partien beendet waren. Tags darauf, nicht viel besser: 2:2 gegen Bulgarien mit der einstigen deutschen Nummer eins Arkadij Naiditsch am ersten Brett. Gustafsson: „Nach einer Stunde hatten wir an jedem Brett fast +1 – und kämpfen am Ende ums 2:2. Das ist schwach.“ Ein 3:1 über die Slowakei am sechsten Spieltag verschaffte dem Team vor dem letzten Drittel immerhin eine positive Bilanz.
„Schwach“, „bitter“, „frustrierend“, „nicht unser Anspruch“, „ärgerlich“ – um seine Einschätzungen weiter variieren zu können, wird Jan Gustafsson bald Anleihen beim zur Selbstgeißelung („kompletter Idiot“) neigenden Matthias Blübaum nehmen müssen. Die Alternative: drei Siege zum Schluss. Bei zwei Punkten Rückstand auf die drittplatzierten Aseris ist Edelmetall für die deutsche Mannschaft zwar unwahrscheinlich, aber noch nicht außer Reichweite.

Als Einzelspieler bilden bislang Vincent Keymer (Brett 1) und Frederik Svane (Brett 5) mit jeweils 4,5/6 die Klammer, die ein Team in Normalform durchs Turnier und aufs Podest ziehen könnte. Svane hat den Wackler aus der ersten Runde gegen Dänemark abgeschüttelt. Bei Keymer fällt wie schon im Grand Swiss die gestiegene Stabilität und eine Erweiterung des Repertoires auf. Mit dem neuen 2750+-Selbstverständnis gelingt es ihm zunehmend häufig, Gegner aus der 2600-Klasse in langwierigen Endspielen niederzukneten. Den Partien nach war sogar mehr als 4,5/6 und eine 2777-Performance drin. Beide haben bislang als einzige Akteure durchgespielt. Es wäre überraschend, würde das nicht bis zum Ende so bleiben.

(Titelfoto: Finn Engesser/DSB)
Wenn das Antritsgeld entsprechend ist könnte die Form vielleicht wachsen.
Ich kann mir vorstellen worum der Streit ging, hat der Pressechef den Teamchef in diesem Artikel doch als ‚WGM‘ betitelt: https://www.schachbund.de/team-news/team-em-in-batumi-fehlstart-der-maenner-gegen-daenemark-frauen-besiegen-georgische-auswahl.html