„In einem anderen Universum“: Jörg Hickl über Robert Hübner

Als Herausgeber seines Magazins Schachwelt hatte Jörg Hickl einen Artikel von Robert Hübner bearbeitet – oder besser gesagt, versucht, ihn an die neue deutsche Rechtschreibung anzupassen: „dass“ statt „daß“ oder „muss“ statt „muß“ zum Beispiel. Was dann geschah, blieb bis heute hängen: „Wenn du das änderst, erscheint der Artikel nicht!“, schrie Hübner am Telefon. Für ihn hatte sich die Rechtschreibung nicht geändert, und sie werde sich nicht ändern. Der Artikel erschien in alter Rechtschreibung. Diese Episode erzählte Hickl jetzt im sonntäglichen Talk des Chess-Tigers-Shops.

Jörg Hickl (unten) zu Gast bei Michael Busse und Jonathan Carlstedt.

Eigenwillig, kompromisslos, beeindruckend. Hickl spricht mit Zuneigung und Bewunderung über einen der großen deutschen Denker am Schachbrett. „Der intelligenteste Mensch, dem ich je begegnet bin“, sagt er über Hübner. Ihre Beziehung reicht zurück bis in die frühen 1980er-Jahre, als beide für den FC Bayern München spielten. Neun Jahre lang war Hickl dort aktiv. In dieser Zeit und in der Nationalmannschaft kämpften sie oft Seite an Seite. Fast drei Jahrzehnte lang blieb der Kontakt eng. „Er war nicht immer einfach, aber unglaublich besonders.“ Hübner sei sehr sensibel gewesen.

Robert Hübner und Jörg Hickl 2013 während einer Schachreise ins Allgäu. | Foto via DSB

Nach Hübners aktiver Zeit begleitete er Hickl auf rund einem Dutzend Schachreisen. Der Veranstalter hat ihn als „sehr unterhaltsame Ergänzung“ in Erinnerung. Auf die Sonnenalp kam Hübner mit, auch nach Rotenburg. Für Kreuzfahrten sei er weniger geeignet gewesen, also ließ Hickl ihn dort außen vor. Bei einer Schachreise ins Allgäu im Februar 2013 unterhielt Hübner etwa die Teilnehmer bis spät in die Nacht mit Anekdoten aus seinem Leben. Er spielte stundenlang mit einem eifrigen Teilnehmer mit DWZ 1300 – und gewann sogar mit Turmvorgabe. Seine Kommentare zu den Partien führten bei den Zuhörern wahlweise zu Erleuchtung oder Verzweiflung – Schachwellness mit Tiefgang.

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2013 arbeiteten Hickl und Hübner gemeinsam an einem Buch, „66 saftige Schnitzer„, das unter Hübners Namen im Schachreisen-Verlag erschien. Über der Veröffentlichung kam es zum Bruch. Erst schickte Hübner seinen Anwalt vor, um den Vertrieb des Werks zu unterbinden – erfolglos. In der Juni-Ausgabe 2015 der Zeitschrift Schach ließ Hübner verbreiten, der Text sei nicht autorisiert gewesen. Kurios: Er hatte trotzdem einige Ausgaben für den Verkauf des Werks signiert, dessen Vertrieb er nun unterbinden wollte.

Ungeprüfte Behauptungen mit potenziell rufschädigender, die wirtschaftliche Existenz bedrohender Wirkung. Wie es dazu kam, dass die Schach-Redaktion Hübners Einlassung einfach so druckte, offenbar, ohne Hickl Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ist nicht bekannt.

Später entschuldigte sich Hübner schriftlich bei Hickl. Er zog seine Darstellung zurück und verpflichtete sich, keine solchen Äußerungen mehr zu verbreiten. Für Hickl kam diese späte Geste dennoch zu spät. Was Hübner unter Zuarbeit der Zeitschrift Schach verbreitet hatte, war in der Welt. Hickl beklagte einen Imageschaden durch falsche Behauptungen und forderte einen respektvolleren Umgang.

Über dieser Episode dürfte sich die einst enge Beziehung zwischen Hickl und Hübner stark abgekühlt haben. Im Gespräch mit Michael Busse und Jonathan Carlstedt geht Hickl nicht darauf ein, was passiert ist, stellt aber fest, der Kontakt sei 2016 abgerissen – „aus seltsamen Gründen“.

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Geist. Hübners Artikel, so Hickl, kamen nie mit einem einzigen Tippfehler. Selbst lange Texte nicht. Beim gemeinsamen Analysieren zeigte sich immer wieder die außerordentliche Gabe Hübners. Hickl, selbst einst Nummer 35 der Welt, erkannte den Unterschied. „Es gibt nicht viele Menschen, bei denen ich sage: Sie spielen in einer anderen Liga. Aber Robert war in einem anderen Universum.“

66 saftige Schnitzer„: Robert Hübner zeigt 66 kritische Stellungen aus seiner langjährigen Turnierpraxis – sortiert nach fünf Partiephasen, von Eröffnung bis Endspiel, aufgeteilt in drei Schwierigkeitsgrade. 
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