Verleumdung? Kramnik klagt

Vladimir Kramnik hat in Genf eine Verleumdungsklage gegen die Online-Schachplattform chess.com, die Schachnachrichtenplattform chessdom und den tschechischen Großmeister David Navara eingereicht. Am Dienstag, dem Tag seines 50. Geburtstags, verkündete Kramnik auf Twitter/X, dass er nun den Rechtsweg beschreitet.

Vladimir Kramnik mit Hans Niemann in Karlsruhe beim Grenke-Freestyle, wo er die Startposition zur fünften Runde ausloste. Fotos davon sind in der Fotogalerie des Turniers nicht (mehr?) zu finden. | Foto via ChessBase India

Bis zur Eröffnung eines Verfahrens werde einige Zeit vergehen, „aber es wird definitiv kommen“, schrieb Kramnik. Diese neueste Entwicklung ist das Ergebnis einer langjährigen Auseinandersetzung Kramniks insbesondere mit chess.com. Kramnik, der regelmäßig andere des Betrugs beschuldigt, sich aber selbst als Ritter des Anti-Cheatings sieht, hat anderen wiederholt mit Klagen gedroht.

Früher war es noch komisch, wenn der große Kramnik während Analysen nach der Partie nach eigener Einschätzung stets besser stand, unabhängig davon, wie es tatsächlich stand. Mittlerweile ist es traurig mitanzusehen.

Kramnik hat in der Vergangenheit zahlreiche Artikel und Videos über Betrug im Schach veröffentlicht. Meistens kommt er auf Grundlage kleiner Stichproben zu großen Schlüssen, verdächtigt diverse Spielerinnen und Spieler, oft Profis, gelegentlich Jugendliche – und wird ausfällig denjenigen gegenüber, die widersprechen. Eine Mehrheit der Beobachter hält den Exweltmeister für durchgeknallt, und eine Mehrheit derjenigen, die sich mit Statistik und Mathematik auskennen, hält seine „Analysen“ für substanzlos.

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Die Fehde zwischen chess.com und Kramnik reicht weit zurück. Der Exweltmeister wurde von der Plattform verbannt, nachdem er wiederholt andere Spieler öffentlich des Betrugs beschuldigt und damit gegen die Nutzungsbedingungen der Plattform verstoßen hatte. Die zwischen chessdom und Kramnik ist vergleichsweise jung. Die Plattform hat auf ihrer Seite Tweet für Tweet Kramniks Ausfälle und die Reaktionen darauf dokumentiert.

“Feiert seinen 50. Geburtstag, indem er einen freundlichen, zerbrechlichen Mann verklagt.”

Navara hat am 23. Mai einen offenen Brief als Antwort auf Kramniks Betrugsanschuldigungen veröffentlicht. Darin begegnet er Kramniks Betrugsvorwürfen. Unter dem Titel “Because we care” schrieb Navara, dass er nach der Lektüre der Kommentare von Kramnik nicht mehr schlafen konnte, in Depressionen verfiel und professionelle Hilfe von einem Psychiater und einem Psychotherapeuten in Anspruch nehmen musste. Er habe sogar mit dem Gedanken gespielt, sich das Leben zu nehmen. Kramniks Anschuldigungen hätten ihn „völlig aus dem Gleichgewicht gebracht“, schrieb Navara, der dem Vernehmen nach in der kommenden Bundesligasaison für die SG Solingen spielen wird.

Die Homestory von ChessBase India bei David Navara.

Navaras Replik wertete Kramnik als „Beschuldigungskampagne“. Die nächste öffentliche Äußerung gegen ihn würde zu Konsequenzen führen, drohte Kramnik.

“Lange den Respekt verloren.”

Der in München lebende ukrainische Großmeister Pavel Eljanov unterstützte Navara. Kramnik habe Grenzen überschritten. Eljanov: “Ich habe schon vor einiger Zeit den Respekt vor Herrn Kramniks Handlungen verloren, aber diese Klage gegen angesehene Kollegen überschreitet eine Grenze. Ich kenne keinen einzigen Kollegen, der seine sogenannte statistische Analyse ernst nimmt, und das einzige “Fehlverhalten” von David Navara – und den anderen – war, die Dinge beim Namen zu nennen.

Als Frederik Svane Vladimir Kramnik besiegte. Was danach passieren würde, war abzusehen.

Unter anderem Frederik Svane und Matthias Blübaum haben sich schon auf Kramniks Cheating-Verdachtslisten wiedergefunden. Blübaum hat sich jetzt im Schachglatzen-Poscast kritisch zu den Cheating-Vorwürfen und Veröffentlichungen des in der Schweiz lebenden Russen geäußert. Als Betroffenen beschleiche ihn ein ungutes Gefühl, wenn Kramnik “komische Statistiken” veröffentlicht. „Man kann sich nicht dagegen wehren“, sagt Blübaum.

Auch Vincent Keymer war schon Ziel von Kramniks Attacken.

Kramniks Vorgehen hält Blübaum für “völlig falsch”, für kontraproduktiv. Blübaum glaubt, dass Kramniks Gebaren dazu führt, dass niemand mehr Cheating-Vorwürfe ernst nimmt, und stattdessen Kramnik-Memes entstehen. Kramnik agiere “völlig an der Realität vorbei”. Blübaum gibt an, selbst nicht oft das Gefühl zu haben, dass Gegner cheaten, da er dazu tendiert, sich selbst für Verluste verantwortlich zu machen.

Als der beim Online-Blitz sehr erfolgreiche deutsche Nationalspieler auf Kramniks Radar geraten war, hing das auch mit seiner moderaten Blitz-Elo von 2615 zusammen. Die wertete Kramnik als Indiz, dass Blübaum womöglich kein sehr starker Spieler ist. Der mehrfache deutsche Blitzmeister erklärt dazu, dass die Blitz-Elo wenig Aussagekraft besitzt, da es zu wenige Turniere gibt und die Formabhängigkeit im Blitz zu starken Schwankungen führen kann. Blübaum stimmt zu, dass Spieler, die online überperformen, genauer untersucht werden sollten. Kramnik wolle sie verbannen, anstatt nach angemessenen Sicherheitsvorkehrungen zu suchen.

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Beim Titled Tuesday auf chess.com liefert Matthias Blübaum regelmäßig Riesenergebnisse ab.
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Oliver Calm
Oliver Calm
11 Tage zuvor

In gewisser Weise ist es interessant, Kramniks Verfall zu beobachten.

Evtl. ist man auch der Antwort auf die Frage “Was passiert, wenn man einem psychisch kranken Menschen keine angemesse Therapie, sondern Internetzugang gewährt?” nähergekommen.

Parallelen zwischen Fischer und Kramnik sind offensichtlich; nur kann in diesem Fall die komplette Welt zuschauen.

Für David Navara alles Gute, er möge sich die Worte eines kranken Geistes nicht zu Herzen nehmen!

joschi
joschi
10 Tage zuvor

Einfach traurig. Krammniks lächerliche Paranoia, die lächerlichen Aussagen, das lächerliche juristische Nachspiel mit wohl begrenzten Erfolgsaussichten.
Gut im Schach zu sein ist keine Garantie für Stil, Benehmen, Urteilskraft und geistige Gesundheit.

Uwe Böhm
Uwe Böhm
11 Tage zuvor

Worin besteht denn konkret die Verleumdung?

Eigentlich hätte doch der verklagt werden müssen, der Inquisitionslisten erstellt hat. Ich wundere mich eh, dass man nichts besseres mit seiner Zeit anfangen kann.

Jochen
Jochen
11 Tage zuvor

Traut sich keiner zu kommentieren?