Als Kämpfer an der Front, sagt Pavel Eljanov, wäre er keine große Hilfe. Trotzdem fühlt sich der ukrainische Großmeister mit Wohnsitz in Deutschland schuldig. Die einstige Nummer sechs der Welt versucht, auf andere Weise zu helfen als mit der Waffe in der Hand. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (für Abonnenten) hat Eljanov jetzt eindringlich geschildert, wie der Überfall auf seine Heimat sein Leben und das vieler Freunde geprägt hat.
Seit zwei Jahren lebt Eljanov mit Tochter und Mutter in Milbertshofen. Seine Heimatstadt Charkiw verließ er kurz nach Beginn der russischen Invasion. Für ein Jahr arbeitete der heute 42-Jährige als Schachtrainer in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dann fand er mit Hilfe der Münchner Schachszene eine neue Bleibe in Deutschland.

„Meine Heimat ist unter Dauerbeschuss“, sagt Eljanov. Als der Überfall im Februar 2022 begann, versuchten russische Truppen, das etwa 30 Kilometer hinter der Grenze liegende Charkiw im Handstreich zu nehmen. Das scheiterte. In den 39 Monaten russischer Aggression ist die Stadt seitdem durchgehend Ziel von Drohnen- und Raketenbeschuss. Zuletzt hat Russland entlang der nordöstlichen Grenze der Ukraine in erheblichem Maße Truppen konzentriert und einen neuen Vorstoß an dieser Front begonnen. Charkiw steht mehr denn je unter Feuer.
Viele von Eljanovs Bekannten und Freunden kämpfen an der Front, darunter der beste ukrainische Schachspieler Igor Kovalenko. Eljanov sammelt Spenden und macht in den sozialen Medien auf das Leid in der Ukraine aufmerksam: „Den Krieg aus der Ferne zu verfolgen, das ist im Grunde unerträglich.“
Zur Rolle des Weltschachverbands FIDE äußert sich Eljanov kritisch. Präsident Arkady Dvorkovich, ehemals hochrangiger Kreml-Politiker, habe sich nie glaubhaft vom russischen Krieg distanziert. „Seine Verbindungen sind offensichtlich“, so Eljanov. Ein Antrag bei der FIDE, alle Beschränkungen gegen russische und belarussische Spieler aufzuheben, scheiterte zuletzt vor allem an der Opposition aus Europa, angeführt vom Deutschen Schachbund. Von der FIDE wünscht sich Eljanov mehr Solidarität mit der Ukraine, erlebt aber im Verband viele prorussische Akteure und sieht im FIDE-Präsidenten eine nützliche Figur für Putin-Russland, um der Isolation des Regimes entgegenzuwirken.
Deutschland beschreibt Eljanov als Land, das ukrainische Geflüchtete besonders herzlich aufgenommen hat. Die Arbeit als Trainer, unter anderem für das deutsche Top-Talent Leonardo Costa, gibt ihm Halt. Doch ein Teil von ihm bleibt in der Ukraine: „Ich habe viele Freunde, die an der Front kämpfen.“ Die Situation ukrainischer Schachspieler ist dramatisch. 21 von ihnen sind laut Verbandspräsident Alexander Kamyshin im Krieg gefallen, auch Schachclubs wurden zerstört.
Eljanov empfindet Dankbarkeit für die Hilfe in Deutschland. „Trotzdem fühle ich mich schuldig, dass ich hier bin und nicht dort“, sagt er. „Den Krieg aus der Ferne zu verfolgen, das ist im Grunde unerträglich.“