Georgios Souleidis: vom Rand ins Rampenlicht

Im Frühjahr 2020 verändert sich Georgios Souleidis’ Leben. Inmitten des Corona-Lockdowns wacht er eines Morgens auf, greift wie immer zum Tablet – und traut seinen Augen nicht. Hunderte Kommentare unter seinen Videos. „Vom komplett Arbeitslosen plötzlich zum YouTube-Star”, so beschreibt Souleidis jetzt diese Wendung im Podcast “Hamburg, Was willst du wissen?”.

Turnierschach spielt er kaum noch, aber gelegentlich, hier zum Beispiel bei den Dortmunder Schachtagen. | Foto: Dariusz Gorzinski/Dortmunder Schachtage

Heute kennt ihn die deutschsprachige Schachszene unter einem anderen Namen: The Big Greek. “TeBeGe” sagen Eingeweihte, längst eine Marke. Über 160.000 Menschen folgen seinem YouTube-Kanal. Viele Menschen lernen mit ihm Schach oder finden durch ihn erst Zugang zum Spiel. Souleidis hat sich als einer der erfolgreichsten Schach-Erklärer im deutschsprachigen Raum etabliert.

Bis dahin war es ein weiter Weg, kein typischer.

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Griechische Wurzeln, deutsche Hürden

Georgios Souleidis wird 1972 in Hagen als Sohn von griechischen Einwanderern geboren. Seine Eltern stammen von der Peloponnes. Als, wie es damals hieß, Gastarbeiter waren sie nach Deutschland gekommen – mit einem einzigen Ziel: Geld verdienen, der Armut in ihrer Heimat entkommen. „Bildung hatte in unserer Familie keine Priorität“, sagt Souleidis.

Die Schule ist für ihn kein einfacher Ort. Weil er anfangs kaum Deutsch spricht, landet er auf der Hauptschule. „Ich glaube, Lehrer nehmen Kinder wie mich oft falsch wahr“, sagt er heute. Wer sprachlich nicht mitkommt, gilt erst einmal als ungeeignet für akademische Bildungswege. “Was aber totaler Quatsch ist”, erklärt Souleidis.

Souleidis-Porträt aus dem Mai 2021.

Nach der Hauptschule folgt die Aufbaurealschule, dann eine erste Ausbildung als Bürokaufmann. Abgebrochen. „Ich war überhaupt nicht bereit für irgendetwas Berufliches.“ Dann eine zweite Ausbildung – diesmal als Energieelektroniker. Durchgezogen, aber lustlos. Zu laut, zu dreckig – “nicht mein Leben.“

Stattdessen beginnt er spät, aber entschieden neu: Souleidis holt das Abitur nach – an der Abendschule in Hagen. „Das war eine gute Zeit“, sagt er. „Viele Ausländer, Gastarbeiterkinder, die auf dem zweiten Bildungsweg einen vernünftigen Abschluss erreichen wollten.“ Souleidis schätzt, dass es diese Möglichkeit gab, und respektiert diejenigen, die sie wahrgenommen haben. Mehr als die Hälfte seiner Mitschüler auf der Abendschule habe tagsüber gearbeitet und abends die Schulbank gedrückt, um das Abi nachzuholen.

Studium, Schach – und Suche

Mit 26 geht er an die Ruhr-Uni Bochum. Kommunikationswissenschaft, romanische Philologie, Film- und Fernsehwissenschaft. Klingt wild, ist es auch. Souleidis wählte seine Studienfächer nach Interesse, aber ohne klares Ziel. Das Studium finanziert er sich mit Jobs – und mit Schach.

Denn längst ist das Spiel mehr als ein Hobby. In seinen Zwanzigern wird er Turnierspieler, mit 27 Jahren erreicht er den Titel Internationaler Meister. Er spielt auf vielen großen Turnieren, auch in der Schach-Bundesliga. Souleidis ist Teil der Szene – aber kein Star.

Auch nach dem Studium bleibt sein Weg brüchig. Mal freiberuflicher Schachjournalist, mal Kommentator, mal Trainer, mal arbeitslos. 2012 zieht er nach Hamburg, um bei Chess24 zu arbeiten – einer neuen Plattform, die Schach medial groß machen will. Dort entwickelt er als Redakteur Formate, moderiert Livestreams, wird ein Gesicht des Projekts. Aber die großen Sprünge bleiben aus.

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https://youtu.be/FXCkSYaQpms
Als der Schreiber dieser Zeilen mal sehr gut gegen Souleidis stand – was am zu erwartenden Ergebnis der Partie nichts änderte.

2019 startet er seinen eigenen Kanal: The Big Greek. Der Name: selbstironisch, einprägsam. Die Mission: Schach für alle. Aber nicht viele schauen zu. Wenige Monate später die Pandemie – und mit ihr der Schub. Millionen Menschen sitzen zu Hause, suchen Beschäftigung. Netflix zeigt The Queen’s Gambit. Schach erlebt einen Boom. Mittendrin: The Big Greek.

Heute lebt Souleidis noch immer in Hamburg. Er spielt kaum noch, aber lebt vom Schach. Von YouTube, Twitch, Kommentatorenjobs, Simultan-Einladungen. Und er lebt gesünder als früher. „Ich war übergewichtig“, sagt er und verweist auf frühere Videos, die auch dokumentieren, wie er sich äußerlich verändert hat. Jetzt macht er Krafttraining, hat seine Ernährung umgestellt – ebenfalls ein Projekt, das er öffentlich dokumentiert.

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Jochen
Jochen
1 Tag zuvor

Großes Lob. Diesen Artikel finde ich echt gut. Und: Ein weiterer Beweis, dass Schachberichterstattung sehr viel mehr sein kann als eine “und dann hat der und dann hat der – Ergebnisberichterstattung”. Ich kann mich noch gut an die Pandemie und die vielen Online Berichte, u.a. von Georgios erinnern. Die Lichess Bundesliga bildete wöchentliche Höhepunkte, die ich mit der Henry Maske Hymne “Conquest of Paradise” für mich einleitete. Schach ist mehr, als Nerd – Wissen abzuspulen. An der Begeisterungswelle für Schach wird klar, wie stark positive Emotionen das Denken und das Schachspiel im Leistungssinne beflügeln. Ich wünsche “TBG” weiterhin alles Gute… Weiterlesen »

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
16 Stunden zuvor

Toller Bericht, danke dafür. Und was für ein Moment: eine unerwartete Chance (im Corona-Frühjahr 2020) beim Schopf ergreifen. Wow.