Lauterbach oder Meyer-Dunker? / Kongress des Deutschen Schachbunds 2025

Ton- und Videodokumente, historische Partieformulare, Artefakte, persönliche Briefe von Schachlegenden. Im neuen digitalen FIDE-Museum kann jeder im reichen Schatz der internationalen Schachgeschichte stöbern. Zum 100-jährigen Jubiläum hat der Verband jetzt dieses „Open Chess Museum“ eröffnet. Sogar kommentierte Partien sämtlicher Weltmeister lassen sich dort nachspielen.

Den Bestand will die FIDE laufend erweitern. Sammler, Vereine und nationale Verbände können und sollen ihre Fundstücke beisteuern. Mit dem Online-Museum setzt der Weltverband zu seinem Jubiläum ein modernes Signal: Statt gedrucktem Archiv nur für Experten ist die Schachgeschichte nun global, interaktiv und für alle frei zugänglich.

Work in progress, beständig erweiterbar: das offene, digitale Schachmuseum der FIDE.

Wie die FIDE feiert bald auch der Deutsche Schachbund Jubiläum, 150-jähriges sogar. Im 21. Jahrhundert ist er deswegen noch lange nicht angekommen. Auch beim DSB soll es ein Jubiläumsprojekt geben – analog, nicht erweiterbar, ohne Ton und Bewegtbild, nicht offen für alle, sondern käuflich zu erwerben für Leute, in deren Schränken noch nicht genug bedrucktes Papier steht. Die 1980er lassen grüßen: Unser DSB plant ein Jubiläumsbuch.

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Als im Oktober 2024 beim Hauptausschuss unsere Funktionäre über diesen Plan abstimmten, geschah, was zu erwarten war. 90 Prozent finden ein Jubiläumsbuch gut. Etwas offenes, modernes, wie es sogar die FIDE macht, stand gar nicht erst zur Debatte. Die gute Nachricht: Für dieses anachronistische Monument werden nur 20.000 Euro Beitragsgeld durch den Schornstein gehen. Im deutschen Schach sind wir das Versenken ganz anderer Summen gewohnt.

Emanuel Lasker wird aus dem DSB-Jubiläumsbuch nicht zu uns sprechen. Aber vielleicht demnächst aus dem FIDE-Museum.

An diesem Wochenende in Paderborn wird die Schachverwaltung eine Entscheidung von potenziell viel größerer Tragweite treffen. Weil, siehe Jubiläumsbuch, Schlimmstes zu erwarten ist, wenn der DSB-Kongress Weichen stellt, sei an dieser Stelle Entwarnung gegeben. Sie werden zwar eine Weiche stellen, können aber diesmal nichts grob falsch machen. Ob nächste Woche Ingrid Lauterbach DSB-Präsidentin ist oder Paul Meyer-Dunker DSB-Präsident, es wird die nächsten zwei Jahre okay sein, vielleicht gut.

Die unterirdisch tief liegende Messlatte für DSB-Präsidenten und -Präsidien hat Ingrid Lauterbach in den vergangenen zwei Jahren auf ein erträgliches Maß geliftet. Nach der jüngeren Vergangenheit muss es schon als Errungenschaft gelten, eine Amtszeit ohne Katastrophe zu absolvieren. Diese Mindestanforderung hat Lauterbach weit übertroffen.

Die Amtsinhaberin blickt auf eine ordentliche Bilanz zurück: die drohende Pleite abgewendet, die erste richtige Deutsche Meisterschaft seit Jahrzehnten ausgerichtet, Maritim-Partnerschaft, Gipfel-Neustart. Dazu das Gewicht des DSB international eingebracht. Der FIDE-Kongress 2024 in Chennai bot zum ersten Mal seit Bestehen dieser Seite Anlass, stolz auf das Führungspersonal des deutschen Verbands zu sein.

Ganz unten ist die Grammatik schwer zu durchschauen. Ansonsten fällt im Finanzbericht an den Kongress auf, dass (“gute Nachrichten?”) schon der Weg für die nächsten Beitragserhöhungen geebnet wird.

Umso überraschender: Lauterbachs Wiederwahl 2025 wird kein Selbstläufer. Wer sich in den vergangenen Wochen in den Ländern nach Tendenzen umgehört hat, der kommt sogar zu dem Schluss, dass Meyer-Dunker als Favorit in den Tagesordnungspunkt 11a geht: Neuwahlen der Mitglieder des Präsidiums gemäß Paragraf 25 Absatz 1 Nummer 3 der Satzung, wie es in Schachverwaltungssprache heißt.

Für seine Favoritenrolle kann Meyer-Dunker wenig. Sie hängt in erster Linie mit dem Umstand zusammen, dass Ingrid Lauterbach es nicht geschafft hat, Anführerin und Integrationsfigur zu werden, ja, nie den Eindruck erweckte, es werden zu wollen. Nun wird sie beim Kongress dutzenden Delegierten gegenübersitzen, die sie sich nicht zum Freund und Verbündeten gemacht hat, teilweise im Gegenteil. Meyer-Dunkers bizarr erscheinende, aber für den Moment nicht zu erschütternde Koalition mit dem bayerischen Schachpräsidenten Ingo Thorn etwa war nicht vorgezeichnet. Lauterbach hat erheblichen Anteil daran.  

“Bei der aktuellen personellen Besetzung des Präsidiums fehlt mir die Fantasie, wie ich diese Aufgaben weiterhin engagiert und mit Freude wahrnehmen sollte. Daher kandidiere ich nicht mehr. Einem anderen Präsidium stehe ich zumindest für Gespräche zur Verfügung”, teilt Online-Referent Christian Kuhn (l.) dem Bundeskongress in seinem Tätigkeitsbericht mit. Präsidentschaftskandidat Paul Meyer-Dunker (M.) zählt derweil Stimmen – und kann davon ausgehen, aus Bayern die von Ingo Thorn (r.) zu bekommen. | Foto: Matthias Wolf/DSB

Einen von der Öffentlichkeit unbemerkten Tiefpunkt hatte das neue Präsidium erreicht, da war es kaum ein halbes Jahr im Amt. Mindestens die Hälfte der Belegschaft der Geschäftsstelle in Berlin stand Ende 2023 kurz davor zu kündigen, frustriert, teils tief gekränkt. Mehr noch als Lauterbach hat in diesem Zusammenhang einer ihrer Vizepräsidenten dringenden Anlass, seinen Umgang mit Menschen, Untergebenen zumal, zu hinterfragen. Während die Eskalation knapp ausblieb und sich die persönlichen Wogen langsam glätteten, war zu inhaltlichen Dingen von „Beratungsresistenz“ und „Basta-Mentalität“ der neuen Führung die Rede.

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Das ist es bis heute. Zwischenzeitlich sind aus Schachverwaltungskreisen Einschätzungen wie „Hat Diplomatie nicht erfunden“ oder „Axt im Walde“ dazugekommen. „Ich bin sicher nicht der Politiker“, hat Lauterbach dazu unlängst selbst gesagt.

Auf Außenstehende wirkte das anfangs durchaus erfrischend: jemand, die durchregiert, ohne fremdbestimmt zu sein, und der die Befindlichkeiten der Landesfürsten egal sind. Aber im Lauf der zwei Jahre verstärkte sich bei Beobachtern auch der Eindruck, dass hier jemand „Basta“ sagen mit Autorität verwechselt.

„Wahrscheinlich will sie gar nicht wiedergewählt werden. Jedenfalls agiert sie so“, mutmaßte im vergangenen Jahr ein Landespräsident im Gespräch mit dieser Seite. Offenbar beschränkt sich diese Art des Agierens nicht aufs Interne. Das lässt sich in der neuen Imagebroschüre des DSB besichtigen. Wo sich naturgemäß Niggemann und UKA tummeln, fehlt diesmal das Logo des dritten langjährigen DSB-Partners, eine Folge eines Eklats mit Chessbase Ende 2023. Allerdings mag der erhebliche wirtschaftliche Druck, unter dem das Hamburger Softwarehaus steht, den Streit mit forciert haben.

Kritikwürdig ist vor allem, dass beim DSB 2023-25 trotz aller Autoritätsversuche Führung da fehlte, wo sie gebraucht worden wäre. Als im Kongress 2024 zur Debatte stand, alles geheim abzustimmen, und sich jedem Demokraten der Magen umdrehte, fand Lauterbach das nicht schlimm. Anstatt reinzugrätschen, improvisierte sie eine Geschichte vom „Datenschutz“. Dass während ihrer Amtszeit der zweite Satzungsentwurf für den Papierkorb entstanden ist (inklusive der darin investierten Arbeitsstunden diverser Mittäter), hätte sich verhindern lassen. Lauterbach ließ es geschehen.

Anstatt zeitig zu steuern, watscht sie nun in ihrem „Tätigkeitsbericht“ ihren Vizepräsidenten für den Fehlversuch ab. Der arme Mann hat in zwölf Sitzungen genau das produziert, was er kann und was von Anfang an zu erwarten gewesen war: eine archaische, von Hierarchiedenken geprägte Paragrafensammlung. Dazu ein “Eckpunktepapier” als vermeintliche Diskussionsgrundlage, das nun auf wundersame Weise von der DSB-Website verschwunden ist. Er ist nicht schuld, dass sechs Jahre später das ach so dringende Thema „Satzungsreform“ nun ein zweites Mal bei null anfängt.  

Die Schachverwaltungsparade mit 32 Anträgen für den Kongress in Paderborn? „Zu viele“, sagt Lauterbach und hofft, Lösungen zu finden, wie sich das künftig verhindern lässt. Hallo? Warum hat sie nicht zeitig in Württemberg angerufen und den dort agierenden Landespräsidenten in seinem Drang gestoppt, beim DSB Dinge kompliziert zu machen? Oder einmal zeitig die ganze Truppe zur Online-Sitzung zusammentrommeln und gemeinsam den Kongress vorbereiten; koordinieren, anstatt jeden Landesschachbeamten in seiner Regelungswut freidrehen zu lassen.

Diese Art der Führung hätte auch dazu geführt, dass sich kurz vor dem Kongress nicht Leute wundern, plötzlich von ihrer Präsidentin zu hören, mit der sie zwei Jahre lang kaum oder gar nicht zu tun hatten. Nachdem Lauterbach von Meyer-Dunkers Kandidatur erfahren hatte – später als viele andere, kurz bevor sie offiziell wurde – offenbarte sich, dass ihr doch alles andere als egal ist, ob sie wiedergewählt wird.

Amtsinhaberin Ingrid Lauterbach oder Herausforderer Paul Meyer-Dunker?

Und der Gegenkandidat? Der sagt nicht viel, dafür umso genüsslicher: „Ich möchte dafür arbeiten, dass Ehren- und Hauptamt wieder Freude an der Arbeit im DSB finden.“ Was für nicht Eingeweihte klingt wie ein Allgemeinplatz, repräsentiert in Wirklichkeit den Finger in der Wunde der Amtsinhaberin. Und soll die Bedenken darüber lindern, dass Meyer-Dunker nicht wie Lauterbach Tag für Tag rund um die Uhr für den DSB ackern würde. Ihm ist eher zuzutrauen, ein Team um sich zu scharen, das Dinge gemeinsam wegarbeitet. In seinem Berliner Verband scheint das zu funktionieren.

Wer immer Präsident wird, es wird mindestens okay sein. Das größere, wichtigere, womöglich richtungweisende Thema des Kongresses 2025 ist, dass potenziell das gesamte Konstrukt vor einem personellen Umbruch steht. Dem organisierten Schach wird es weiterhin nicht an alten Männern mangeln, aber es könnte jetzt an einigen Schaltstellen vielfältig werden.

Schon die Personalie Christoph Barth, seit Sommer 2024 neuer Beauftragter für Hochschulschach, könnte ein Volltreffer für den lange verwaisten, aber umso wichtigeren Posten gewesen sein. Am Übergang von Schule zu Hochschule verliert das organisierte Schach massiv Mitglieder – und hat mit Barth am Steuerknüppel jetzt eine bessere Chance, sie zu halten oder zurückzugewinnen.

Während Jürgen Klüners, Vizepräsident Sport, und Gerald Hertneck, Leistungssportreferent, ihre weitere DSB-Tätigkeit von der Wiederwahl Lauterbachs abhängig machen, hat Online-Referent Christian Kuhn eine Fortsetzung seiner Tätigkeit an deren Abwahl geknüpft. Unterdessen klopfen mit einem Mal eine Reihe junger Leute an, um den ergrauten Laden zu verjüngen: Carlos Hauser (37) will Vizepräsident Sport werden, Jannik Kiesel (25) Vizepräsident Verbandsentwicklung, Dominik Wieber (31) Referent für Breiten- und Freizeitsport und Lea Brandl (26) Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Dazu ein 33-Jähriger, der Präsident des Ganzen werden will.

Bürokratie ist auch beim Schach ein Problem, nur andersherum 🙂 Trotzdem hat den Schachbund jetzt zum Kongress 2025 eine unerwartete Welle des Engagements getroffen. (Spiegel-Interview über Ehrenamt für Abonnenten.)

Diese geballte Entwicklung kommt, wohlgemerkt, in einer Zeit, in der Verbänden und Vereinen generell die Ehrenamtlichen ausgehen, in der Leute mit Format fehlen, in der sich junge Menschen immer seltener einbinden lassen. Ein unerwartetes Geschenk, ja, aber in dieser massiven Form mit dem Risiko verbunden, dass es umso stärker die Angst des Schachbeamten vor Veränderung triggert.

Zuletzt war zu hören, dass Wieber und Brandl gar nicht erst beim Kongress erscheinen. Sie wollen sich in Abwesenheit wählen lassen. Ob das gutgeht? Bei der amtierenden Präsidentin könnten sie sich danach erkundigen, wie wichtig es ist, des Schachdelegierten Ego zu streicheln, um das gewünschte Abstimmungsverhalten zu bekommen.

Das amtierende Präsidium mit (v.l.) Vize Sport Jürgen Klüners, Präsidentin Ingrid Lauterbach, Vize Finanzen Alexander von Gleich und Vize Verbandsentwicklung Guido Springer. Klüners will nur unter Lauterbach Vizepräsident Sport bleiben. Von Gleich steht unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung. | Foto: Matthias Wolf/DSB
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joschi
joschi
19 Tage zuvor

Also das Produzieren eines Buchs bedeutet Geldverbrennen und die Investition in eine (flüchtige) Website ist ein gutes Projekt? Entschuldige, aber das kann ja nur ein Witz sein. Schon mal das Schachmuseum genauer angeschaut? Mit welchem Aufwand hier nichtige Videos produziert werden, die nur aus der Aneinanderreihung von (statischen) Bildern und Grafiken bestehen? Naiv, wer denkt, das wäre billiger als € 20.000 gewesen. Das Ergebnis wirkt mehr als “künstlich” und überzeugt mich rundum nicht. Eine konzeptlose Aneinanderreihung von digitalen Objekten, ohne ein differenziertes Kuratieren kann nur in die Hose gehen. Modern, digital, aber irgendwie lächerlich. Eine fundierte Festschrift wäre etwas Feines.… Weiterlesen »

Thomas Richter
Thomas Richter
19 Tage zuvor

Zum Aufhänger des Artikels kann man geteilter Meinung sein, dabei auch zu “warum das in diesem Kontext als Aufhänger?”. Wichtiger ist ja, was danach kommt: Gerald Hertneck machte Wahlkampf für Ingrid Lauterbach, bezeichnet die Kandidatur von Paul Meyer-Dunker als “extrem unglücklich” und im Kommentar als “chancenlos”. Conrad Schormann macht nun Wahlkampf für Paul Meyer-Dunker und bezeichnet ihn als Favoriten. Eines stimmt wohl: Meyer-Dunker hat sicher im Vorfeld sondiert, dass er jedenfalls nicht chancenlos ist. Das Demokratieverständnis von Gerald Hertneck habe ich zu “extrem unglücklich” kritisiert, das Demokratieverständnis von Conrad Schormann kann man zu mehreren Punkten auch hinterfragen: Geheime Abstimmungen sind… Weiterlesen »

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
19 Tage zuvor

Die Festschrift soll ja den Titel “150 Jahre Deutscher Schachbund” haben. Ich halte es für sinnvoll, dass sie wirklich als “Werk” und nicht nur als “Website” erstellt wird. Wichtig wäre mir, dass es sie auf jeden Fall auch als pdf gibt, damit die, die sich nicht die Bücherwand mit Papier vollstellen wollen oder können, auch etwas davon haben. pdf hat außerdem den Vorteil, dass man direkt mit Computerhilfe in Sekundenschnelle nach Begriffen oder Namen suchen kann.

Ingo Althöfer

Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
18 Tage zuvor

Die 20.000€ sagen doch gar nichts aus ohne zu wissen wie groß die Auflage sein wird, wieviel es kosten wird und wen man zum Kauf zwingen kann. Wenn man jedem Verein drei aufdrückt wird es ja vielleicht noch zum Geschäft. Was ich befürchte ist, dass sich in der Verbandsleitung die grüne Wohlfühlpolitik breitmacht. In Württemberg gibt es im Sommer zusammen mit dem DSB einen “Integrationsgipfel”. Frauen, Behinderte spielen dort – natürlich jeder für sich. Eine offene U25 Meisterschaft wird es auch geben. OK, 230€ Startgeld. Mit dem Integrieren sollte man es nicht übertreiben, die weniger Betuchten sollen doch lieber zu… Weiterlesen »

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Schachfreund
Schachfreund
17 Tage zuvor

Also ich werde mir das Buch zum DSB-Jubiläum sicherlich kaufen, obwohl ich schon sehr lange keinen Platz mehr für weitere Bücher habe, aber ein solches Werk muss einfach sein.
Übrigens: Auch die FIDE hat zu ihrem Jubiläum gleich zwei (!) Bücher herausgebracht, die ich natürlich gekauft habe.
Die Bücher der FIDE und des DSB werden noch existieren, wenn die FIDE-Museumsseite schon längst wieder abgeschaltet ist.
Übrigens Nr. 2: Im Landesverband, dem ich angehöre, war ich für das DSB-Buch. “Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.” – Zum Glück war ich es.