Vincent Keymer und Dinara Wagner sind Deutsche Meister. Keymer setzte sich bei den Titelkämpfen in München frühzeitig mit deutlichem Vorsprung durch. Wagner holte sich den Titel bei den Frauen nach einem dramatischen Finale im Schnellschachstichkampf gegen Hanna Marie Klek. In den Kandidatenturnieren setzten sich Tobias Kügel und Dora Peglau durch. Beide werden bei den Deutschen Meisterschaften 2026 in Dresden Teil des Feldes sein.

Ein Drama bei dieser Deutschen Meisterschaft spielte sich unbemerkt von der Öffentlichkeit ab. Hauptperson: Ausnahmetalent Leonardo Costa, dem die deutsche Schachszene nach dem Grenke-Open kollektiv zur dritten Großmeisternorm und damit zum GM-Titel gratuliert hatte.

Schon im Spätsommer hatte die für Titelnormen zuständige Kommission der FIDE beschlossen, Costas erste GM-Norm, erzielt 2024 in Budapest, nicht anzuerkennen. Costa erfuhr kurz vor der Deutschen Meisterschaft davon, nachdem der vom DSB bei der FIDE eingereichte Titelantrag abgelehnt worden war. Damit war der schon eingetütet geglaubte Titel dahin.
Um sein Ziel – vor dem Abitur Großmeister werden – trotzdem zu erreichen, spielte der 17-Jährige in München unter dem Druck, noch eine Norm in Form einer 2600+-Performance nachlegen zu müssen. Costa hielt diesem Druck stand. Nach seinem ausgekämpften Remis in der Schlussrunde gegen Frederik Svane beendete er den Wettbewerb mit 4,5/9 und einer 2611-Performance – GM-Norm, die vierte! Da die FIDE nationale Meisterschaften für den Normerwerb zulässt (ansonsten bedarf es dafür internationaler Gegner) sollte Costas GM-Titelverleihung nun endgültig nichts mehr im Weg stehen.
Die Geschichte hinter Costas aberkannter Norm wirft ein Schlaglicht auf den Zustand des organisierten Weltschachs im Jahr 2025. In Budapest waren seinerzeit junge israelische und ein iranischer Normjäger am Start. Aber Iraner dürfen nicht gegen Israelis spielen, wollen sie daheim keine Repressionen des Mullah-Regimes erleiden, das den Staat Israel nicht anerkennt. Um den Spielern nicht Norm-Chancen zu nehmen, entschieden die Organisatoren, Paarungen zwischen Israelis und Iranern von vornherein zu vermeiden. Vor Jahren war ein solches Vorgehen übliche Praxis. Unter FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich wurde es abgeschafft.
Danach, vor mittlerweile vier Jahren, hat Dvorkovich dem Iran mit „Konsequenzen“ gedroht, sollte der Verband sich nicht vom Spielverbot gegen Israelis verabschieden. Die Änderung des Reglements und das Anprangern iranischen Gebarens war ein guter menschlicher, ein integrer Zug, aber politisch kurzsichtig.
Wenig später holte den Chef des von Kreml-Interessen gesteuerten Weltverbands die Wirklichkeit ein. Russische Truppen halfen, einen neuerlichen Aufstand gegen das Regime im Iran niederzuknüppeln, und iranische Drohnen halfen dem Putin-Regime, Ukrainerinnen und Ukrainer umzubringen. Der Mullah-Iran ist jetzt einer der wenigen treuen Verbündeten Putin-Russlands.
Seitdem fällt die verstärkte iranische Präsenz in FIDE-Kommissionen auf. Seitdem fällt auch das laute Schweigen der FIDE-Offiziellen auf, wenn wieder ein Iraner den Wettkampf mit Israelis verweigert.
„Konsequenzen“? Das war einmal.

Aber die Regel, dass Auslosungen nicht manipuliert werden dürfen, steht weiterhin. Und so sah die für Normen zuständige FIDE-Kommission beim Budapester Schachfestival einen Verstoß und strich Costas dort erzielte GM-Norm. Dem Vernehmen nach ist möglich, dass der FIDE-Rat nächste Woche, nein, nicht den iranischen Verband bestraft, aber den Beschluss der „Qualification Comission“ rückgängig macht.
Leonardo Costa kann es egal sein. Wenn nicht noch etwas Unvorhersehbares passiert, hat er den Titel jetzt in der Tasche. Vor dem Abitur.
Im Norm-Zusammenhang wird sich der Münchner Kandidaten-Sieger IM Tobias Kügel ärgern. Seine 2613-Performance bedeutet wegen der ausschließlich deutschen Gegner keine Norm. Trotzdem regnete es in diesen Tagen, nicht nur in München, Normen für den Nachwuchs. Im Frauenturnier sicherte sich Charis Peglau ihre erste WIM-Norm. Beim parallel ausgetragenen Mitropa-Cup schaffte Marius Deuer seine zweite GM-Norm und Svenja Butenandt ihre zweite WIM-Norm.

Bei der deutschen Meisterschaft hatten Doppeleuropameister Matthias Blübaum und Frederik Svane vor Turnierbeginn eine Kampfansage nach Saulheim geschickt. Die beiden, auf Augenhöhe im Wettstreit um den Nummer-Zwei-Status in Deutschland, wollten der Nummer eins mindestens das Leben schwer machen, möglichst selbst den Titel gewinnen. Unmöglich erschien das nicht. Keymer ging nach eigenem Bekunden respektvoll in dieses Kräftemessen, in dem von den besten Deutschen nur Dmitrij Kollars fehlte.
Frederik Svane war nach einem Start mit 0/2 aus dem Titelrennen bald ausgeschieden. In der ersten Runde hatte er Dennis Wagner nach und nach überspielt, aber scheiterte nach Wagners Verzweiflungsopfer auf Chance im 54. Zug an der Aufgabe, den einzigen Gewinnzug zu finden. Stattdessen ließ er sich ein verlorenes Turmendspiel andrehen. Davon womöglich noch frustriert und angeschlagen, spielte Svane tags darauf mit Schwarz gegen Vincent Keymer arg passiv, wurde nach und nach zurückgedrängt und verlor schließlich. Gegen Ende kam der Lübecker in Fahrt, hielt mit 5/9 den Eloverlust in Grenzen, aber sein Turnier war früh gelaufen.
Blübaum blieb dem an der Spitze seine Kreise ziehenden Keymer auf den Fersen – bis zum direkten Aufeinandertreffen in der siebten Runde. In zweischneidiger, unklarer Lage tappte Blübaum in eine Falle. Was aussah wie der Wendepunkt zugunsten des Bielefelders entpuppte sich als von langer Hand gesponnenes Mattnetz des Saulheimers.

Damit war Keymer quasi durch: 6,5/7, zwei Punkte Vorsprung zwei Runden vor Schluss. Wie ein Zug rolle Keymer über diese Meisterschaft, hatte Bundestrainer Jan Gustafsson schon vorher kommentiert. Ganz am Ende noch ein Sieg über Alexander Donchenko, und Keymer hätte mit 8/9 und einer Performance über 2900 das zweite Fabelturnier dieses für ihn so wichtigen Jahres hingelegt. Möglich war das, hätte er im 34. Zug die Gewinnchance genutzt. Als die verstrichen war, beendete Donchenko nach bis dahin bescheidenem Verlauf das Turnier mit der höchstmöglichen Note: Sieg über die Nummer eins.


Bei den Frauen anfangs ein ähnliches Bild wie bei den Männern. Die Favoritin Dinara Wagner startete furios mit vier Siegen, darunter wichtige Punkte gegen die Nationalmannschaftskolleginnen Hanna Marie Klek und Josefine Heinemann. Der hier schreibende Fan hoffte, sie würde nun die Leichtigkeit und den Biss des Sommers 2023 wiederfinden, der ihr zwei GM-Normen beschert hat.
Eine überraschende Niederlage Wagners gegen Charis Peglau (16) machte das Turnier wieder spannend. Hanna Marie Klek schloss auf. Vor der Schlussrunde lagen beide punktgleich an der Spitze – und danach immer noch. Während Klek früh gegen Jana Schneider remisiert hatte, gelang es Wagner gegen Kateryna Dolzhykova nicht, ihren Vorteil zu verwerten – Stichkampf.
Im Schnellschach bewies Wagner die stärkeren Nerven. Sie gewann beide Partien gegen Klek. „Deutsche Meisterin zu sein, ist etwas ganz Besonderes“, sagte Wagner nach ihrem Triumph. Der Titel sei verdient, fand sie. Bis auf die Partie gegen Peglau habe sie ein gutes Turnier gespielt.
Für die deutsche Schachhauptstadt 2025 München markiert die erste Deutsche Meisterschaft seit dem Jahr 1900 den Auftakt eines Denksportsommers. Fast unmittelbar auf die Titelkämpfe folgt das Münchner Schachfestival mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, darunter das am 8. Juni beginnende Pfingst-Open.

Schon am zweiten Tag der Deutschen Meisterschaft machte der Schreiber dieser Zeilen nach dem Besuch im spärlich frequentierten Gasteig in München eine ganz neue Erfahrung: anstehen müssen, um beim Schach reinzukommen! Für die Macher der „Deutschen“ hätte es angesichts 600 besetzter Plätze in einem ausverkauften Theater bei Levy Rozman einiges zu lernen gegeben, angefangen mit Demut.
- Das organisierte Schach ist nicht der Nabel der Welt. Es repräsentiert eine überschaubare Minderheit der hunderttausenden, wenn nicht Millionen Leute, die sich dem Spiel und dem Sport verbunden fühlen.
- Schach muss keine Billigsportart sein. Wenn ein Schach-Zugpferd es mitreißend präsentiert, zahlen dem Schach verbundene Leute gerne 50 Euro, um anzustehen und reinzukommen.
- Schach lässt sich spannend und inklusiv präsentieren. Alle 600 fühlten sich angesprochen und unterhalten, vom Anfänger bis zum Meisterspieler. Sch
narchachdeutschland TV kann sich davon einiges abschauen.
Nachdem „Marketing“ nun seit bald 25 Jahren im DSB-Leitbild steht, spricht sich langsam herum, dass Schachveranstaltungen für Publikum nur funktionieren, wenn sie in ein Rahmenprogramm eingebettet werden. Das gab es – für Spezialisten: Hübner, Unzicker, Problemlösen. Was es nicht gab: Schwellen abbauen, begeistern, überraschen, Neugierde wecken, zum Mitmachen anregen. Menschen, die nur mal reinschauen wollen, gezielt fürs Schach zu gewinnen, war bei der laut Kongressunterlagen 200.000 Euro kostenden Deutschen Meisterschaft nicht vorgesehen.
An jenem zweiten Tag sollte Rozman in München den Eröffnungszug ausführen. Auch er kann etwas lernen. Wenn du verabredet bist, andere dich erwarten, du aber kurzfristig absagst, dann ist eine Entschuldigung angemessen.
Ich kann mir jetzt diesen Kommentar nicht verkneifen: Die Männer (Leonardo Costa) brauchen 4 Normen für den Großmeistertitel, die Frauen nur 2 (Elisabeth Pähtz). An der empörenden Diskriminierung der Frauen ändert dies natürlich nichts.
Der doppelte Uropameister Blühbaum lässt mich doch etwas schmunzeln!
Richtig ist es, die Russen und Iran zu kritisieren, genauso richtig wäre es aber die aktuelle Israelische Politik im Gaza streifen nicht zu vernachlässigen, sowie dass das Netanjahu Regime Iran versucht zu bombardieren. Die Spannungen zwischen Iran und Israel sind komplexer als in Ihrem Artikel dargestellt. Sonst sehr guter Bericht.
Hi Conrad,
schöner Artikel zur Deutschen!, voller Bilder, Partiefragmenten, Infos und Referenzen, sehr gelungen.
Nur als Ergänzung: auch der Zweite bei den Kandidaten kommt durch zum Masters im nächsten Jahr. Das ist bei den Herren neben IM Tobias Kügel der FM Georg Braun (Dr.!) aus Bebenhausen. Die beiden also in Dresden bei den Topleuten mit dabei.
(Bei den Frauen sollte es ähnlich sein, neben Dora Peglau auch Riyanna Müller).