Schachspieler und Bahnchef: Richard Lutz über Krisenstrategie und Konzentration

Früher, beim Schach in Miesenbach, nannten sie ihn “Ricky”. Heute, als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, firmiert er als Dr. Richard. Wie im Schach, sagt Richard Lutz, gehe es in der aktuellen Bahnkrise darum „zu analysieren, welche Probleme man hat, was die Ursachen sind und wie Lösungswege aussehen können“. Das deutsche Schienennetz sei „seit vielen Jahrzehnten chronisch unterfinanziert“, mit einem Investitionsrückstau von über 100 Milliarden Euro. „Das Netz und die Bahnhöfe sind schlicht zu alt, viel zu störanfällig und in weiten Bereichen jenseits der Belastungsgrenze.“ Etwa 80 Prozent der Unpünktlichkeit führt Lutz auf die Infrastruktur zurück.

Wahrscheinlich nicht sein angenehmster öffentlicher Auftritt: Richard Lutz bei der jüngsten Bilanzpressekonferenz der Deutschen Bahn. | Foto: Volker Emersleben/Deutsche Bahn AG

Dass Lutz sich in schwierigen Lagen nicht aufhält, sondern Entscheidungen trifft, mag mit seiner schachlichen Herkunft zusammenhängen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG war am Freitag bei den Deutschen Meisterschaften in München zu Gast – und sprach im Interview mit dem Deutschen Schachbund darüber, wie ihn das Spiel geprägt hat: „Schach war und ist meine Leidenschaft und hat meine Jugendzeit entscheidend geprägt.“ Er habe durch das Schach „sehr früh andere Länder und andere Kulturen kennenlernen dürfen“ und „Freunde fürs Leben gewonnen“.

Der beste Zahlenmensch, den die Bahn je hatte. Aber der richtige Chef? Unter anderem um diese auch im politischen Berlin auf der Tagesordnung stehende Frage ging es in der großen Bahn-Bestandsaufnahme des Spiegel im März (für Abonnenten).

Was ihm das Spiel gegeben hat? „Immer vorauszudenken und einen Plan zu haben, Entscheidungen bei unsicherer Datenlage und unter Zeitdruck zu treffen, der eigenen Intuition zu vertrauen, Überraschungen und auch Fehleinschätzungen zu akzeptieren und dann das Beste daraus zu machen. Und selbst wenn man schlecht steht, niemals aufzugeben, immer zu kämpfen, Risiken zu managen und nach Chancen zu suchen.“

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Für das aktive Spiel fehlt inzwischen meist die Zeit. „Ich sage mir eigentlich ständig“, dass er wieder mehr spielen müsse – aber der Job lasse das kaum zu. Dennoch: Schachzeitschriften, App, Online-Streams, Mitgliedschaft in der Emanuel-Lasker-Gesellschaft – der Kontakt bleibt. Zuletzt verfolgte er den Bundesliga-Einstand von Magnus Carlsen beim FC St. Pauli: „Das hat ganz viel Spaß gemacht – nicht zuletzt, weil ich einige gute Freunde aus alten Zeiten wieder getroffen habe und neue Kontakte wie zum Beispiel mit Jan Henric Buettner und Sebastian Siebrecht knüpfen konnte.“

Für die Meisterschaft in München nimmt er sich Zeit. Zwei seiner Kinder leben dort, mit der Münchener Schachstiftung ist er eng verbunden. Beim Krulich-Cup am Samstag, wo Unternehmer/Prominente mit Großmeistern Zweierteams bilden, sitzt er mit am Brett: „Auch wenn meine schachlichen Gehirnwindungen alle schon ziemlich eingerostet sind, habe ich das Angebot sehr gerne angenommen.“

Die Zweitligamannschaft des SC Miesenbach in den 80ern. Stehend von links: Fred Feibert, Albert Ohnesorg, Peter Knick, Udo Osieka, Hans Janzer; am Brett: Jürgen Graf und Ricky Lutz. | Foto via SC Ramstein-Miesenbach

Ob als Bahnchef oder als Spieler: Die Parallelen sind für Lutz offensichtlich. Langfristiges Planen, operative Umsetzung – Strategie und Taktik: „Was besonders hilfreich ist: sich über längere Zeit konzentrieren zu können, auf ein bestimmtes Thema vollständig zu fokussieren – und dabei alles andere komplett auszublenden. Als Schachspieler lernt man das von klein auf.“

Dass er Schach nicht zum Beruf macht, sei ihm früh klar geworden: „Ich habe für mich damals festgestellt, dass ich nicht dafür gemacht bin, meinen Lebensunterhalt mit Schach zu verdienen.“ Nach der Zeit in der Sportkompanie in Warendorf legte er den Fokus auf Studium und Beruf. „Schach ist trotzdem meine Leidenschaft geblieben. Ich habe mir fest vorgenommen, diesem wunderbaren Spiel nach dem Ende meines Berufslebens wieder mehr Zeit zu widmen.“

Schach als Entspannung? Nicht ganz. „Schach ist für mich natürlich Ablenkung und Abwechslung, keine Frage. Aber weil ich für dieses Spiel so brenne, schalte ich nicht wirklich ab.“ Da seien Spaziergänge mit seiner Frau oder Konzerte in der Philharmonie vermutlich wirkungsvoller. Am Krulich-Cup nimmt mit Vorfreude teil – und hofft, dass sein großmeisterlicher Partner Milde walten lässt. Am liebsten hätte er Vincent Keymer an seiner Seite. „Wenn Vincent am letzten Tag vor allem Spaß haben will, dann würde er mir hoffentlich den ein oder anderen Patzer nachsehen.“

Der neueste Nackenschlag (für Abonnenten). Am Samstag wird Richard Lutz beim Schach Ablenkung finden, Entspannung eher nicht.
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MrX
MrX
26 Tage zuvor

Der Ort heißt Miesenbach, nicht Miesbach.
z.B.: https://sc-ramsteinmiesenbach.de/verein/vereinsgeschichte/

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
26 Tage zuvor

Wo Herr Lutz aus der Region stammt, hätte ich direkt einen Wunsch an ihn: Die Bahn sah sich anscheinend nicht in der Lage, Fan-Sonderzüge für die Fussball-Relegation zwischen Elversberg und Heidenheim anzubieten. Anstatt das offen zuzugeben, hat ein Bahn-Mitarbeiter gemeint, einen Witz machen zu müssen mit einem “Mini-Fanzug” über einer Brücke. Es wäre redlicher gewesen, einfach zu sagen “wir können das nicht” – gerade wenn man schon einen so schlechten Ruf wie die Bahn derzeit hat.

Viele Grüße, Ingo Althöfer.

Last edited 26 Tage zuvor by Ingo Althöfer