Wo die Großmeister online spielen

Wenn Großmeister online spielen, tun sie das fast immer auf zwei Plattformen: ´chess.com und/oder Lichess. Eine umfassende Analyse der Seite ChessMonitor liefert nun erstmals belastbare Daten dazu – basierend auf mehr als 175 Millionen Partien, die zwischen 2008 und 2025 gespielt wurden. Ein interessantes Ergebnis: Auf chess.com spielen mehr Großmeister, aber auf Lichess werden mehr Großmeisterpartien gespielt.

Heute sind chess.com und Lichess die beiden dominierenden Schachplattformen, so wie es vor 20 Jahren der Internet Chess Club (ICC) und playchess (Chessbase) waren. In den Anfangsjahren des Onlineschachs tummelte sich dort das Gros der Titelträger, was sich erst Ende der 2000er-Jahre änderte. Chess.com hatte nach dem offiziellen Start der Seite zwar schon eine vielköpfige Community aufgebaut, aber es fehlten die Zugpferde. 2008/09 schloss die Seite gezielt erste Kooperationen mit bekannten Spielern und organisierte erste Turniere mit moderatem Preisgeld. Seitdem zogen immer mehr Großmeister um.

Der Corona-Onlineschachboom, auch unter Großmeistern. | alle Grafiken via ChessMonitor

Lichess, seit 2010 online, lag anfangs weit zurück. Erst 2014 tauchte dort der erste Großmeister auf, aber die Zahl auf Lichess aktiver Titelträger blieb bis 2020 vergleichsweise gering. Dann kam Corona. Auf Lichess verdoppelte sich die Zahl der monatlich aktiven GMs zwischen Januar und April 2020. Im Januar 2021 erreichte sie mit 728 Spielern ihren Höchstwert. Chess.com lag etwas darüber: Im Mai 2020 waren dort 922 Großmeister aktiv.

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Nach diesem Höhepunkt flaute die GM-Online-Aktivität ab. Profis und Amateure kehrten an die Bretter zurück. 2025 liegt Chess.com bei der Zahl regelmäßig dort spielender GM vorn – was mit der größeren Zahl der Preisgeldwettbewerbe zu tun haben dürfte, auch mit dem Umstand, dass auf chess.com die Chance höher ist, sich mit der Weltelite zu messen. Wer Schach nicht nur spielt, sondern auch medial präsentiert, findet dort mehr Möglichkeiten in Sachen Reichweite und Monetarisierung.

Mehr GM auf chess.com, aber mehr GM-Partien auf Lichess – weil Lichess die Seite der Wahl ist, wenn den Großmeistern der Sinn nach Bullet steht.

Und doch ist Lichess in einem Segment vorne. Der freie Server ist klar die Plattform für Bullet-Schach. Bereits vor der Pandemie war dieser Trend sichtbar und währenddessen umso mehr. Im Mai 2020 wurden auf Lichess mehr als 128.000 Bullet-Partien von Großmeistern ausgetragen, Rekord, fünfmal mehr als auf chess.com im gleichen Zeitraum. Auch heute dominiert Lichess in dieser Kategorie. Selbst Magnus Carlsen hat, nachdem er chess.com-Botschafter wurde, einen Teil seiner Bullet-Partien auf Lichess gespielt.

Die Bullet-Dominanz von Lichess erstaunt nicht. Die werbefreie Seite ist schlanker und nach Wahrnehmung der meisten Spieler schneller – ein gewichtiger Faktor mit einer Minute oder weniger auf der Uhr.

Nebenbei: Mehr als 90 Prozent der Bullet-Partien werden im 1+0-Format gespielt. Hyperbullet-Formate wie ½+0 oder ¼+0 machen nur einen kleinen Anteil aus, fünf bzw. zwei Prozent laut der ChessMonitor-Analyse.

Im Blitz liegt chess.com vorne. Während es 2020 noch eine Phase der Annäherung gab, ist seither die Zahl der GM-Blitzpartien auf Chess.com deutlich gestiegen. Heute werden dort fast doppelt so viele Blitzpartien gespielt wie auf Lichess – Tendenz weiter steigend. Der Unterschied hängt auch hier wahrscheinlich mit den Rahmenbedingungen zusammen. Chess.com bietet regelmäßige Formate wie den Titled Tuesday, Turnierserien mit Preisgeld und starker Sichtbarkeit für Streamer.

Im Blitz öffnet sich die Schere seit 2022.

Nach Angaben von Dr. Thomas Dondorf, Betreiber von ChessMonitor, umfasst die ChessMonitor-Datenbank gut 93 Millionen Partien von Chess.com und 82 Millionen von Lichess. Alle Partien von verifizierten Großmeistern hat der Daten-Experte für obigen Vergleich separat ausgewertet.

ChessMonitor ist eine Analyseplattform für Schachspieler – entwickelt, betrieben und gepflegt von Dondorf. Die Idee zu ChessMonitor entstand 2020, als Dondorf mit dem Schachspielen begann und schnell merkte, dass es an Tools fehlte, die umfassende Statistiken über mehrere Plattformen hinweg liefern. Zunächst für den Eigenbedarf entwickelte er ein Analysewerkzeug. Die Resonanz war so gut, dass er beschloss, daraus eine öffentlich nutzbare Website zu machen. 2021 ging ChessMonitor online. Die Plattform bietet Tools wie Eröffnungsanalysen, Gegnerstatistiken und eine eigene „Masters Database“ mit zehn Millionen Turnier- und Fernpartien, die jeden Monat um bis zu 100.000 Partien wächst.

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Die Profile bekannter Spieler mit direktem Zugriff auf deren Daten müssen Nutzer nicht suchen. Sie sind von der Startseite aus unmittelbar zugänglich.

Speziell für ambitionierte Online-Spieler kann das Tool mit seiner enormen Geschwindigkeit und seinem umfassenden, kontinuierlich gepflegten Datenbestand wertvoll sein. Die Grundfunktionen der Seite sind kostenlos nutzbar, Fortgeschrittenes erfordert ein Abonnement. Dondorf sagt, er habe diverse Wünsche seiner Nutzer in die stetig erweiterte Funktionalität seines Projekts einfließen lassen. Unter den zahlenden Kunden sei mittlerweile ein erster GM.

Im März 2024 erhielt ChessMonitor als wahrscheinlich erstes Schach-Start-up überhaupt eine einjährige Förderung in Form eines Gründerstipendiums des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz – insgesamt rund 100.000 Euro. Die Mittel ermöglichten Dondorf, sich hauptberuflich der Weiterentwicklung zu widmen. Nach dem Ablauf hat Dondorf aus NRW ein weiteres, niedriger dotiertes Anschlussstipendium bekommen. ChessMonitor sei noch nicht so weit, dass es sich trägt, aber auf dem Weg dahin.

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