Vlastimil Hort (1944-2025)

Vlastimil Hort ist am Montag im Alter von 81 Jahren gestorben. Das hat jetzt die deutsche Chessbase-Seite gemeldet. Das Schach verliert einen Großmeister, der in den 1970er-Jahren zur Weltspitze gehörte, einen Wettkämpfer mit über 80 Turniersiegen, einen Nationalspieler, der bei 14 Schacholympiaden für zwei Nationen antrat, und einen TV-Kommentator, der mit hintergründigem Witz und böhmischem Charme Generationen für das Spiel begeisterte. Als Co-Kommentator der WDR-Reihe „Schach der Großmeister“ prägte er an der Seite von Helmut Pfleger mit seinem tschechisch gefärbten Akzent und seinen Geschichten jahrzehntelang das Bild des Schachs in Deutschland.

Vlastimil Hort im Schachgeflüster.

„Ich hätte nie im Leben gewinnen wollen, weil der Gegner krank ist.“ Mit diesen Worten begründete Vlastimil Hort im Schachgeflüster-Gespräch, warum er im Kandidatenviertelfinale 1977 Boris Spasski eine zusätzliche Auszeit gewährte. Exweltmeister Spasski war gesundheitlich angeschlagen, hatte aber alle ihm zustehenden Ruhetage verbraucht. Hort, in der Blüte seines Könnens, ließ ihn dennoch pausieren. In der vorletzten Partie stand Hort auf Gewinn – und überschritt die Zeit. „Ich hatte die Zeit vergessen. Ich war sehr müde.“ Am Ende verlor er das Match mit 7,5:8,5.

1977 stand Vlastimil Hort mit einem Bein im Kandidatenhalbfinale – und unterlag Boris Spasski doch noch. | Foto: Isländischer Schachverband

Vlastimil Hort wurde am 12. Januar 1944 in Kladno geboren. Mit fünf Jahren lernte er im Krankenhaus Schach. Ein Arzt zeigte ihm die ersten Züge, und das Spiel ließ ihn fortan nicht los. Mit 16 spielte er erstmals für die Tschechoslowakei bei der Schacholympiade 1960 in Leipzig. 1965 verlieh ihm die FIDE den Großmeistertitel.

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Hort gehörte in den 1970er-Jahren zur Elite des Denksports. 1970 wurde er in die Weltauswahl für den Wettkampf UdSSR gegen den Rest der Welt berufen und besiegte Lew Polugajewski mit 2,5:1,5. 1977 belegte er mit Michail Tal und Polugajewski den sechsten Platz der Weltrangliste.

Hort gewann fünfmal die tschechoslowakische Landesmeisterschaft und dreimal die deutsche. Er nahm an 14 Schacholympiaden teil, davon 11-mal für die Tschechoslowakei (1960-1984) und 3-mal für Deutschland (1988, 1990, 1992). 1972 gewann er Silber am ersten Brett, 1982 Mannschaftssilber in Luzern.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 war Hort wie viele andere tschechische Schachspieler erheblich in seiner Reisefreiheit eingeschränkt. Westliche Turniere waren nur in Ausnahmefällen erlaubt. Als Grund für sein langes Zögern, das Land zu verlassen, nannte er seinen Sohn Daniel: „Am liebsten wäre ich natürlich 1968 gegangen, aber mein Sohn war da gerade erst ein Jahr alt. Ich wollte ihn nicht alleine lassen“, erklärte er im Chessbase-Gespräch zum 80. Geburtstag Anfang 2024.

Nach dem Interzonenturnier in Tunis 1985 flüchtete Hort. Seine Rückreise in die Tschechoslowakei trat er nicht mehr an. „Ich musste diesen Schritt machen. Ich war damals für die SG Porz in der Bundesliga im Einsatz, hatte Kontakte in Deutschland, das half. Aber es war kein leichter Weg.“ Sein Sohn blieb in der Tschechoslowakei. Hort hatte ihm die Wahl gelassen mitzukommen – Daniel entschied sich dagegen. Hort ging trotzdem, ein Schritt, der ihm nun umso schwerer fiel. Zur Trennung vom Sohn kam das Risiko, dass die Flucht missglückt.

Über die Flucht von Vlastimil Hort.

In Deutschland begann er ein neues Leben. Hort schloss sich dauerhaft der SG Porz an und wurde mehrfacher Mannschaftsmeister. Später spielte er auch in der Schweiz (Luzern, Reichenstein, Zürich). In der Schweiz spielt auch eine der unzähligen Anekdoten, die Hort zu erzählen verstand wie kaum ein anderer:

1986 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft. In der Bundesliga und bei Einzelmeisterschaften zählte er bis in die 1990er-Jahre zu den prägenden Figuren. Ab den 1980ern wurde Vlastimil Hort einem breiten Publikum durch seine Mitwirken an der WDR-Sendung „Schach der Großmeister“ bekannt. Die Reihe präsentierte Schach einem Millionenpublikum als öffentliches TV-Ereignis. Hort kommentierte dort über 20 Jahre lang gemeinsam mit Helmut Pfleger.

Als 2022 Horts “Schachgeschichten” auf Tschechisch erschienen, luden ihn die Macher des Prager Schachfestivals ein, um das Werk vorzustellen. | Foto: Anezka Kruzikova/Schachfestival Prag

Hort brachte Witz, Anekdoten und Erfahrung ein. Viele Zuschauer erinnern sich an seine Kommentare mit tschechischem Akzent, seine Vergleiche mit Fußball oder Küche, seine Aphorismen. Hort verstand es, den Schachkampf am Brett in eine Geschichte zu verwandeln – ohne den sportlichen Ernst zu verlieren. Die Rollenverteilung: Pfleger analysierte die Züge, Hort erzählte die Geschichten. „Wir waren wie siamesische Zwillinge. Helmut Pfleger war Zwilling A – und ich war Zwilling B“, sagte Hort rückblickend.

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Kortschnoi gegen Hübner mit Hort und Pfleger.

Als die Sendung 2005 nach mehr als zwei Jahrzehnten endete, wurden Pfleger und Hort vom WDR mit Porträtplastiken verabschiedet. Das Format hatte Maßstäbe gesetzt. Neben der Fernseharbeit produzierte Hort Lehr-DVDs, unter anderem über seine Partien gegen Weltmeister und sowjetische Spitzenspieler, gemeinsam mit Helmut Pfleger.

Hort und Pfleger, Zwilling A und Zwilling B.

Fürs Schachpublikum schöpfte Hort bis fast zum Ende regelmäßig aus einem Jahrzehnte umspannenden Fundus von Anekdoten und Geschichten. Zum Beispiel die, wie er Bobby Fischer 1968 zum Pilzesammeln mitnahm – und sich fragte, ob Fischer davor jemals in einem Wald gewesen war. Fischer sammelte eifrig, darunter manches Exemplar, das unbekömmlich gewesen wäre. Hinterher weigerte sich Fischer, als Erster zu essen. Also aß Hort vor, während Fischer ihn aufmerksam beobachtete. Erst nachdem Hort die Mahlzeit ohne Anzeichen einer Vergiftung überstanden hatte, war Fischer bereit, ebenfalls zu kosten.

Eine andere Episode spielt in im verschneiten, nächtlichen London, wo Hort Ende 1967 auf dem Weg zum Traditionsturnier in Hastings gestrandet war. Frierend hatte er sich unter eine Tanne schlafen gelegt – und wurde von zwei Polizisten geweckt. Der tschechische Pass und die Einladung nach Hastings überzeugten die Ordnungshüter, dass sie es mit einem legitimen Schachmeister zu tun haben. Sie boten Hort an, die Nacht auf einer Pritsche in einer Gefängniszelle zu verbringen, bevor er tags darauf die Weiterreise nach Hastings antrat.

2019 erschienen seine “Schachgeschichten” als Buch, das 2022 in tschechischer Sprache erschien – eine Sammlung von Erlebnissen und Begegnungen in der Schachszene oder mit bekannten Leuten aus dieser Szene, etwa mit dem misstrauischen Pilzesammler Bobby Fischer. Ein zweiter Band war in Vorbereitung.

Mit dem Anfang Januar gestorbenen Robert Hübner verband Vlastimil Hort eine enge Freundschaft.

In seinen letzten Jahren lebte Hort mit seiner Frau Brigitte in Eitorf, einer Gemeinde im Rhein-Sieg-Kreis. Dort schrieb er seine Texte handschriftlich, Brigitte übertrug sie digital. Zuletzt litt er an Diabetes. Reisen wurden unmöglich, das Gehen fiel ihm schwer, auch das Spielen musste er aufgeben. Zuletzt verließ ihn gänzlich die Kraft.

Am 12. Mai 2025 ist Vlastimil Hort in Eitorf gestorben.

Vlastimil Horts Schachgeschichten.
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Kai Keggenhoff
Kai Keggenhoff
1 Monat zuvor

Das ist traurig. Herr Hort, zusammen mit Dr. Pfleger und dem WDR, hat in den achtziger Jahre sehr dazu beigetragen, daß ich mich einem Schachverein angeschlossen habe.
Auch in den 80ern durfte ich einmal auf einer Simultanveranstaltung in Köln gegen ihn spielen. Französische Vorstoßvariante, habe irgendwann einen Bauern vertändelt und wurde dann im Endspiel chancenlos zusammengeschoben.
Mögen Sie in Frieden ruhen.

Victor Busch
Victor Busch
1 Monat zuvor

Hort war großartig, insbesondere als Kommentator.

Ich finde es schade, dass wir heute mit dem Internet zwar von einem Schachgroßereignis zum nächsten weiterschalten können, die deutschen Kommentatoren aber keine Geschichten wie Hort erzählen können und keinen Humor wie Hort versprühen. Er hat mit seinen Geschichten viele Menschen an das Schach herangeführt, weil er es aus der “nerdigen” Ecke geholt hat.

Mit ihm verliert das Schach viel an Unterhaltungswert.
Ruhe in Frieden, Vlastimil!

Christoph
Christoph
1 Monat zuvor

1983 und1984 hatte ich zwei mal, sich “beim Porzer Open mitgespielt. Es gab da – bei einem von den beiden – ein Simul mit GM Hort. Als ich recht frueh ankam – Hotel ganz in der Naehe – half ich beim aufbauen und auch GM Hort schleppte Tische und Stuehle. Einer der mithalf, sich ganz normal einfuegte und mit uns Patzern scherzte, beeindruckend

PS: Ich hatte tatsaechlich ein Remis erreicht..

Marc
Marc
1 Monat zuvor

Ruhe in Frieden.