Die Taliban-Regierung in Afghanistan hat das Schachspiel mit sofortiger Wirkung auf unbestimmte Zeit aus der Öffentlichkeit verbannt. Als Begründung nennt das afghanische „Ministerium zur Förderung der Tugend und Verhütung des Lasters“, dass Schach in der Scharia als Glücksspiel gewertet werde – und damit unvereinbar mit der religiösen Auslegung der Taliban sei.
Atal Mashwani, Sprecher der afghanischen Sportdirektion, erklärte gegenüber AFP: „Es gibt religiöse Bedenken in Bezug auf den Schachsport. Bis diese geklärt sind, ist der Schachsport in Afghanistan ausgesetzt.“ Der Bann trifft auch den afghanischen Schachverband (ANCF).
Dessen Präsident Ghulam Ali Malak Zad bestätigte gegenüber Chess.com, dass weder offizielle noch inoffizielle Schachaktivitäten derzeit erlaubt seien – auch nicht in Cafés oder Parks. Selbst das private Spielen gelte als riskant. „Die Bezeichnung ‘temporäre Aussetzung’ klingt nach Überprüfung, aber es gibt weder Zeitplan noch Fahrplan für eine Wiederzulassung“, sagt Malak Zad.
Im August 2021 mit dem Einmarsch in Kabul hatten die Taliban wieder die Macht im Land übernommen. Der Schachverband hat nach der Wahrnehmung des Schachgroßmeisters und Journalisten Ian Rogers seit zwei Jahren keine wirksamen Aktivitäten mehr entfaltet. Die FIDE-Elo-Liste führt 19 Afghanen, darunter mit Zahra Yousoufi (Elo 1663) eine Frau, die noch im Januar 2025 in Pakistan ausgewertete Partien gespielt hat.
In Cafés, Parks oder im Privaten ist das Schachspiel in Afghanistan durchaus verbreitet, hat eine gewisse Geschichte und Kultur. Die Szene ist klein, aber lebendig. Bei der Schacholympiade 2018 in Batumi gewann die afghanische Mannschaft die D-Kategorie.

Häufig wird in Teehäusern Schach gespielt – eine Tradition, die jetzt zumindest unterbrochen ist. Das Verbot trifft etwa Menschen wie Azizullah Gulzada, der ein Café in Kabul betreibt, in dem regelmäßig Schach gespielt wurde. “Nie um Geld”, sagte Gulzada jetzt der AFP. „Viele junge Leute kamen jeden Tag. Sie tranken Tee und spielten Schach. Das fällt jetzt alles weg.“
Ghulam Ali Malak Zad bleibt dennoch zuversichtlich: „Unsere Spieler im Exil halten die Fahne des afghanischen Schachs hoch. Sie sind nicht nur Sportler – sie sind Botschafter unserer Identität und Widerstandskraft.“
Die Entscheidung ist Teil der allgemeinen gesellschaftlichen Unterdrückung: Auch Musik, viele Sportarten und die Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben werden in Afghanistan durch das sogenannte „Tugendgesetz“ stark eingeschränkt oder untersagt. Männer werden zunehmend wegen „westlicher Frisuren“ oder zu kurzer Bärte verfolgt.

Bereits nach der ersten Machtübernahme 1996 hatten die Taliban Schach verboten. Erst nach dem Regimewechsel 2001 wurde es wieder erlaubt. Nun wiederholt sich die Geschichte – zumindest vorläufig.
International sorgt das Schachverbot eher für Unverständnis und Hohn denn für substanzielle Kritik. Hilfe bekommt der afghanische Schachsport jetzt von dort, von wo er sie eher nicht gebrauchen kann. Der amt- und funktionslose, aber unverändert um Bedeutung ringende frühere FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow hat eine Eingabe an die Taliban zu formuliert, um eine Rücknahme der Entscheidung zu erreichen. Das Schreiben des ehemaligen Präsidenten Kalmückiens richtet sich an den per internationalem Haftbefehl gesuchten Haibatullah Achundsada, Anführer der Taliban und Emir des „Islamischen Emirats Afghanistan“.

Iljumschinows diplomatisch formulierte Bitte, das in Afghanistan verhängte Verbot zu überdenken, kommt ganz am Ende seines Schreibens. Erst einmal preist Illumschinow die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Russlands, die Taliban von der Liste der Terrororganisationen zu streichen (während etwa Exweltmeister Garri Kasparow in Putin-Russland als Terrorist gilt). Iljumschinow hofft auf diplomatische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen Russland und Afghanistan.

Das Verbot von Schach durch die Taliban in Afghanistan ist kein Einzelfall in der Geschichte. Seit Jahrhunderten wird das Spiel der Könige in bestimmten kulturellen oder religiösen Kontexten als problematisch eingestuft – mal als Glücksspiel, mal als heidnisches Relikt, mal als bürgerlicher Müßiggang. Schach wird regelmäßig zum Projektionsfeld für Machtfragen, Glaubenskonflikte oder Kontrollfantasien – oft dort, wo freies Denken als gefährlich gilt.
In der Wikipedia findet sich unter “Schachverbot” eine 1000-jährige Geschichte der Schachverbote. Bereits 1005 ließ der fatimidische Kalif al-Hakim bi-Amr Allah demnach in Ägypten Schachbretter verbrennen. Spieler wurden geschlagen. Im christlichen Mittelalter verurteilte Petrus Damiani das Spiel, weil es Priester vom Gebet ablenke. Ein Bischof, der beim Spielen gesehen wurde, musste zur Strafe Armen die Füße waschen.
Auch die orthodoxe Kirche lehnte Schach ab. 1110 verhängte Johannes Zonaras sogar die Exkommunikation. In Frankreich verbot König Ludwig IX. 1254 das Spiel nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug, in Deutschland tat es die Würzburger Synode 1329. Ivan der Schreckliche untersagte 1551 in Russland das Schach – obwohl er es selbst spielte und angeblich bei einer Partie starb.
In der islamischen Welt gab es immer wieder Fatwas gegen Schach. 2014 erklärte Großmufti Abdulaziz Al al-Sheikh aus Saudi-Arabien: Schach sei das „Werk des Satans“, mache süchtig, verursache Rivalität und lenke vom Gebet ab. Auch der schiitische Großajatollah Ali al-Sistani sprach sich gegen das Spiel aus, da Wetten im Islam verboten seien.
Unter Mao Zedong war Schach während der Kulturrevolution (1966–1976) in China verboten – als „Spiel der Bourgeoisie“. Und selbst in der westlichen Welt kam es zu Einschränkungen: Während des Zweiten Weltkriegs war Fernschach über den Atlantik in den USA verboten, um Spionage durch codierte Nachrichten zu verhindern.

Schachmatt in Kabul Der Männermarktplatz von Kabul ward über Nacht zum Sündenpfuhl. Statt lahmarschig herumzulungern und dösend antriebslos zu hungern, sind diese Kerle plötzlich wach und spielen ohne Skrupel Schach. Das hat auch bei der Sittenwacht sofort extrem Alarm gemacht und nach nicht einmal sieben Stunden war der Verbotsgrund schon gefunden: Ein Spiel mit Denken bringt nur Glück, das heißt, es ist ein Teufelsstück. Und dann ruft auch noch dieses Schach die niedrigsten Gefühle wach. Die Damen in der Brettermitte steh’n… Weiterlesen »
Ich bin praktizierender Muslim und leidenschaftlicher Schachspieler. Theologisch habe ich mich intensiv mit dem Thema Schach im Islam beschäftigt und sehe darin kein Verbot, weil es keines gibt. Die Einwände stammen meist von Gelehrten, die das Spiel nicht richtig verstehen. Schach ist ein reines Strategiespiel ohne Glücksfaktor. Es gewinnt, wer besser spielt, nicht wer Glück hat. Zudem ist belegt, dass bedeutende Persönlichkeiten aus der Frühzeit des Islam, wie der Koranschreiber und Gefährte Saʿīd ibn Jubayr, eine frühe Form des Schachs (Schatrandsch) gespielt haben. Auch der angesehene Gelehrte Imam al-Shafiʿi erwähnte eine Liste von Schachspielern aus der Zeit des Propheten. Insgesamt… Weiterlesen »