Yuri Yakovichs Zeit als Bundestrainer der Frauen geht nach vier Jahren zu Ende. Der Deutsche Schachbund wird den am 30. Juni auslaufenden Vertrag mit dem 62-Jährigen nicht verlängern.
Nach Informationen dieser Seite scheiterte die Vertragsverlängerung daran, dass Yakovich nicht die russische Flagge in seinem FIDE-Profil mit der „neutralen“ FIDE-Flagge ersetzen wollte. Darauf hatte der DSB bestanden, und darauf dürfte sich das nicht näher erläuterte Zitat von DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach auf der DSB-Website beziehen: „Wir haben uns im Präsidium darüber verständigt, dass wir von unseren Bedingungen nicht abweichen können.“

Die Flagge zu wechseln, ist eine der Freiheiten, die unter der Putin-Diktatur lebenden Schachspielern geblieben ist. Selbst wenn Yakovich sie in Anspruch genommen hätte, eine Vertragsverlängerung wäre heikel gewesen.
Es war ohnehin ein erstaunliches Manöver des DSB, vier Jahre lang dem für Fördergeld zuständigen Innenministerium einen Bundestrainer zu vermitteln, der auch beim putintreuen russischen Verband arbeitet und der Z-Armee beim Rekrutieren von menschlichem Kanonen- und Drohnenfutter für den „Sondereinsatz“ gegen die Ukraine beisteht. Dass das noch zwei Jahre gutgegangen wäre, erscheint zweifelhaft.

Als Yakovich im Juli 2021 antrat, hieß es noch, sein Umzug in die Niederlande stehe bevor. Dort lebt ein Teil seiner Familie, dort hat er eine Schachakademie angemeldet. Seitdem war immer wieder zu hören, der Umzug verzögere sich, zuletzt, er sei gescheitert. Statt in Utrecht wirkt er weiter als hochdekorierter Trainer seiner Akademie in der 700.000-Einwohner-Stadt Togliatti an der Wolga. Und wollte trotzdem beides sein, Bundestrainer und Leiter des Großmeisterzentrums des russischen Verbands. Der unmögliche Spagat, den aufzuführen ihm und dem DSB vier Jahre gelang, ist nun vorbei.
Yakovich kam 2021 als Nachfolger von Alexander Naumann, als die Aufruhr in der von Ullrich Krause und Marcus Fenner zerlegten Leistungssportabteilung des Verbands nach und nach abklang. Der allseits beliebte Kapitän der Frauenmannschaft hatte sich, anders als die meisten Mitläufer unter dem Führungsduo, nicht beliebig herumschubsen lassen. Er schmiss hin.
Wenig später flog der DSB-Spitze ihr Missmanagement im Leistungssport um die Ohren, als ein Dutzend Nationalspieler:innen mit Boykott drohte. Erst nach dieser Eskalation begann eine Phase, in der es schien, der Geschäftsführer und sein Präsident seien zur Besinnung gekommen und es sei ihnen ernst mit einem „Neuanfang“. Plötzlich sollten Spielerinnen und Spieler die Richtung vorgeben. Sie wurden nicht nur gehört, ihre Wünsche wurden erfüllt.
Einer dieser Wünsche war, bei den Frauen anstelle eines Kapitäns einen richtigen Bundestrainer zu installieren. Die Wunschpersonalie der Spielerinnen für diese Stelle: Yuri Yakovich, einst Top-50-Großmeister und einer der renommiertesten Trainer überhaupt. Unter Yakovichs Regie hatten russische Nationalmannschaften Medaillen in Serie geholt, dazu zahllose Erfolge seiner Schülerinnen und Schüler in Einzelturnieren.
Auch menschlich war Yakovich mit seinem ansteckenden Lachen und seiner Zuwendung zu seinen Schützlingen ein Gewinn. „My girls“ nannte er seine Spielerinnen, von denen er jede noch besser machen wollte, als sie schon ist. Nach Jahren unter dem Regiment von Bundestrainer Dorian Rogozenco kehrte Vertrauen ein, entstand Teamgeist, und alle Beteiligten hatten Freude an der Sache. Allein, sportlich lief es seitdem bestenfalls okay.

Unter Beobachtern kam Stirnrunzeln auf, als nach dem Überfall auf die Ukraine erstmals Rekrutierungsbanner für die Armee auf der Website des Schachverbands Togliatti auftauchten, wo auch die Seite von Yakovichs Akademie beheimatet ist. Nach außen hat der DSB diese Konstellation nie erklärt. Unter der Hand hieß es, er sei nun einmal der Wunschtrainer der Spielerinnen, sportlich unantastbar, menschlich integer, und der DSB handhabe diese kritische Personalie gegenüber dem deutschen Ministerium für Inneres transparent. Außerdem werde er ja bald in die Niederlande umziehen.
Yuri Yakovich hat seitdem zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, dass er die heikle Konstellation versteht, in die er sich begeben hat, und dass er sie zu managen gedenkt. Schlimmer noch, im April 2023 ließ er seinen deutschen Arbeitgeber auflaufen. In Moskau bekam Yakovich die höchste Auszeichnung des russischen Verbands verliehen, das „goldene Abzeichen“.
Während auf seiner Website Banner für das Schlachten in der Ukraine prangten, stand der deutsche Bundestrainer auf einer Bühne in Moskau. Dort erklärte er unter anderem, er sehe „seine Hauptaufgabe nicht nur darin, starke Schachspieler heranzuziehen, sondern auch, würdige Bürger unseres Landes auszubilden“. Den deutschen Schachbund traf dieser Auftritt und die Auszeichnung unvorbereitet. Yakovich hatte es nicht für nötig gehalten, den DSB vorab zu informieren.
Yakovich ist nicht der einzige Bundestrainer im Schach, der das Mitdenken im Sinne seines Arbeitgebers verweigert. Wenig später überraschte den DSB die Nachricht, dass Jan Gustafsson dem russischen WM-Kandidaten Ian Nepomniachtchi sekundiert. Auch Gustafsson fand es offenbar nicht wichtig, den DSB über diese Tätigkeit zu informieren – ein minderschwerer Fall, verglichen mit dem potenziellen Desaster, das Yakovich angerichtet hatte.
Es hätte nur ein Journalist beim Innenministerium fragen müssen, was denn die für Sportfördermittel zuständige Behörde vom Moskau-Auftritt des Bundestrainers hält. Und generell von dessen Haupttätigkeit für einen Verband, zu dessen Führungspersonal unter anderem Putin-Sprecher Dmitry Peskov gehört.
Dem zu diesem Zeitpunkt ohnehin vor dem finanziellen Kollaps stehenden DSB wären fünf- oder sechsstellige Beträge weggebrochen oder eingefroren worden. Ob den Beteiligten klar ist, was für ein Glück es war, dass Stefan Löffler (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Florian Pütz (Spiegel) oder David Kulessa (Süddeutsche Zeitung) den Skandal vor ihrer Nase nicht aufgegriffen haben?
Auch der Schreiber dieser Zeilen hat sich seinerzeit im Sinne des DSB-Leistungssports zum Komplizen gemacht und auf die naheliegende Anfrage in Berlin verzichtet. Erst im Juli 2023 erfuhren Leserinnen und Leser dieser Seite von Yakovichs goldenem Abzeichen, als Dmitry Peskov drei Monate nach dem Bundestrainer in Moskau den gleichen Orden bekam.
Offenbar hat dieses „nochmal gutgegangen“ nicht dazu geführt, dass beim DSB und in dessen Belegschaft jemand den Schuss hört. Kommunikation rund um die Personalie Yakovich fand weiterhin nicht statt. Es wurde, das im organisierten Schach übliche Prinzip, weitergemacht, als sei nichts gewesen. Bis zum nächsten Tiefpunkt am 9. September 2024.
Das große Olympia-Interview mit Bundestrainer Yakovich war die letzte Gelegenheit, der Öffentlichkeit die Personalie differenziert zu erklären. Aber der DSB ließ sich von Yakovich Bedingungen diktieren, worüber er nicht reden möchte, anstatt das überfällige Gespräch öffentlich und in aller Offenheit einzufordern. Es entstand eine peinliche Heile-Welt-Geschichte mit Yakovich als Gute-Laune-Bär. Die seit drei Jahren im Raum stehenden Fragen wurden nicht adressiert.
Aus dem deutschen Schachfunk ist seit Monaten zu hören, dass Yakovichs Ende Juni 2025 auslaufender Vertrag voraussichtlich nicht verlängert wird. Mittlerweile ist er, zumindest als Teamchef, auch sportlich nicht mehr unumstritten. Das liegt an der sang- und klanglos vergebenen Medaillenchance der Nationalmannschaft kurz vor Ende der Schacholympiade 2024.
Beim 1,5:2,5 in der zehnten Runde gegen Polen stand Hanna Marie Klek aus der offenbar von Yakovich vorgegebenen Eröffnung heraus auf Verlust. Elisabeth Pähtz hat öffentlich Zweifel an der Eröffnungswahl in jener Partie angedeutet und sie dem Vernehmen nach intern deutlich kritisiert.
Nun, da die Trennung von Yuri Yakovich bekannt ist, nimmt der Deutsche Schachbund Bewerbungen von potenziellen Bundestrainer:innen entgegen. Bis zur nächsten sportlichen Standortbestimmung der Nationalmannschaften bleiben knapp fünf Monate Zeit. Am 4. Oktober beginnt in Batumi/Georgien die Mannschaftseuropameisterschaft.
(Titelfoto: Mark Livshitz/ECU)
Finde Herr Yuri Yakovich zeigt Größe sein Heimatland nicht durch eine andere Flagge einfach zu ersetzen. Yuri Yakovichr hätte ja heucheln können.
Schon bei der Verpflichtung gab es kritische Stimmen , kein DSBler hat darauf gehört im Gegenteil.
Danke. Sehr interessant, insbesondere zum “Stillhalten”.